Peter Wanner, Verleger des Aargauer Medienkonzerns AZ Medien, hat gerne starke Männer um sich. Er umgibt sich mit einer Korona von Einflüsterern und Beratern. So heisst es in seinem Umfeld. Manche steigen in seiner Gunst, manche sinken. Manche versuchen, auf Kosten anderer vorwärtszukommen.
Wanner holt sich vor allem dann Rat, wenn er selber nicht weiterweiss. In Basel beispielsweise. Da kämpft Wanner seit 2012 mit einer Stadtausgabe der «Basellandschaftlichen Zeitung» um Leser und Inserenten. Doch für Wanner ist die «bz Basel» trotz ordentlichem Geschäftsgang ein Sorgenkind geblieben. Mal ist sie in seinen Augen politisch falsch positioniert, mal inhaltlich, mal kommerziell.
Weiterhelfen soll Wanner seit Jahren ein Berater in wechselnder Besetzung. Erst durfte der Basler Öko-Unternehmer Daniel Wiener bei ihm seine Vorstellungen einspeisen. Zeitweise liess sich Wanner auch vom früheren FCB-Präsidenten Bernhard Heusler Ratschläge erteilen. Jetzt hat er einen Narren an Thomas Kessler gefressen.
Was diesem nicht ungelegen kommt. Denn Kessler ist ein Mann, der das Publikum braucht. Als er noch Basler Stadtentwickler war, funkte er auf allen Kanälen, sprach über Migration, das Asylwesen und Ladenöffnungszeiten. Kein Problem, für das Kessler keine Lösung parat hatte. Jedenfalls so lange, bis ihm der damalige Regierungspräsident Guy Morin den Apparat abdrehte und ihn mit kolportiert zwei Jahreslöhnen Abfindung aus dem Amt hievte.
Kessler bombardiert die Redaktion mit Ratschlägen
Seither hat Kessler neue Aufgaben gefunden. Er berät Kommunen und staatliche Gremien in Sicherheits- und Integrationsfragen. Er will für die Basler FDP in den Nationalrat. Und er fungiert als publizistischer Beirat für die «bz Basel».
Nun ist Kessler kein Beirat, der sich damit begnügt, drei, vier Mal im Jahr für teures Geld seine Gewissheiten zum Besten zu geben. Er mischt sich ins Tagesgeschäft ein. Von Ende Januar, als er zum Leiter des Beirats erkoren wurde, bis Juni verschickte Kessler praktisch täglich eine Blattkritik an die Redaktion. Zu den Empfängern zählten, wie Kessler bestätigt, Chefredaktor David Sieber, sein Stellvertreter sowie der Redaktor des jeweils von ihm kritisierten Artikels.
Man stelle sich die Aufregung vor, hätte Christoph Blocher dies bei der «Basler Zeitung» so gehandhabt.
In den Posteingängen der Redaktoren stauten sich Kesslers Einschätzungen. Dazu kamen ebenfalls beinahe täglich verfasste Anregungen und Storyideen, oft nach Mitternacht verschickt. Kessler fungierte beinahe ein halbes Jahr lang als Schattenchefredaktor, sodass es der Redaktion bald zu viel wurde. «Ich arbeite manchmal eben auch spätabends», sagt Kessler. Er habe aber Verständnis für die bestehende Betriebskultur «und die Anregungen des Beirats dann jeweils zeitig gebündelt».
«Seit Bestehen des Publizistischen Beirats ist die Zeitung deutlich besser geworden», sagt Peter Wanner.
AZ-Verleger Wanner lobt den Aktivismus seines Beirats ausdrücklich: «Für die Redaktion war das etwas ungewohnt, geschadet hats aber nicht. Im Gegenteil: Seit Bestehen des Publizistischen Beirats ist die Zeitung deutlich besser geworden.» Und Kessler fügt an: «Die Professionalität der Journalisten war damit nie infrage gestellt – im Gegenteil. Die Unabhängigkeit der Redaktion ist zentral.»
Das nimmt die Redaktion freilich anders wahr. Besonders gerne äussert sich Kessler nämlich zu Fragen der Stadtentwicklung, dazu kritisiert er regelmässig seinen früheren Arbeitgeber, die Basler Regierung. Dinge halt, die Thomas Kessler beschäftigen, als ehemaliger Kantonsangestellter, vor allem aber als FDP-Nationalratskandidat.
Einmal drückte er sein Unverständnis darüber aus, dass die «bz Basel» eine Demonstration von Basler Kurden zu den Zuständen in der Türkei nicht abdeckte. Das war für ihn besonders ärgerlich. Denn: Thomas Kessler hielt an dieser Demo einen Vortrag.
Mehr Innovation, Forschung, Wirtschaft
Seit Juni landen nun sämtliche Wortmeldungen Kesslers gebündelt zunächst bei Chefredaktor David Sieber, der dann entscheidet, was damit passieren soll. «Und das nur zu Bürozeiten», wie Kessler erklärt. Sieber selber will sich nur zurückhaltend zum Einfluss Kesslers auf sein Blatt äussern:
«Die beiden Beiräte Thomas Kessler und Beat Oberlin haben auf Wunsch der Redaktion über mehrere Wochen eine schriftliche Blattkritik gemacht, meistens in Form eines Vergleichs mit der BaZ. Darüber hinaus liefert Kessler Inputs. Die Redaktion ist völlig frei, diese aufzunehmen oder eben auch nicht.»
Seit er von Sieber im Tagesgeschäft zurückgebunden wurde, hat sich die Rolle Thomas Kesslers verändert. Sie ist indes nicht kleiner geworden – ganz im Gegenteil. Kessler erklärt das so: Die Rolle des Beirats habe sich mit den Veränderungen auf dem Medienplatz Basel weiterentwickelt. Man beschäftige sich vermehrt auch mit strategischen Fragen: «Die Rolle Basels in der Schweiz mit der Forschung, Universität, Wirtschaft, Kultur und Innovation ist ein Thema.»
AZ-Verleger Wanner bestätigt den geplanten Umbau der Basler Aussenstelle: «Diese Themen sind tatsächlich noch untergewichtet im Blatt. Es geht auch um die Wahrnehmung Basels in der übrigen Schweiz. Da besteht Handlungsbedarf.» Welchen Einfluss die Neuausrichtung auf die Besetzung der Redaktion oder die tägliche Publizistik haben wird, bleibt unklar. Ebenfalls, welche Leserschaft sich dafür interessieren würde.
Die nächste Strategiesitzung soll bereits Mitte September stattfinden. Dann setzt sich Kessler mit den weiteren Beiräten – Ex-Banker Beat Oberlin, AZ-Verleger Peter Wanner, CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter sowie Ex-SP-Grossrätin Dominique König – an den Tisch. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie sich die «bz Basel» angesichts der Übernahme der «Basler Zeitung» durch Tamedia weiterentwickelt.
Kessler spricht von einer «intensiven Begleitung durch den Beirat». «Das geht nicht ein bisschen nebenbei.» Nicht eingebunden in den Strategieprozess ist die Chefredaktion der «bz Basel».
Doppelrolle nicht deklariert
Thomas Kessler kann daran nichts Problematisches erkennen. Auch wenn er selber aktiver Politiker mit grossen Ambitionen ist. Regelmässig kommt er in dieser Rolle auch in der «bz Basel» zu Wort. Kaum einmal wird dabei deklariert, dass Kessler Beirat ist. Auch nicht, als das Blatt ausführlich über das neue Parteiprogramm der FDP Basel-Stadt berichtete und dabei insbesondere Kesslers ewigen Wunsch nach einer Drogenliberalisierung hervorhob. Dazu schreibt er eine regelmässige Kolumne im Blatt.
Mitte Oktober wird die Basler FDP entscheiden, ob sie mit Kessler als Spitzenkandidat in den Wahlkampf um den Nationalrat geht. Die Kandidatur gilt mittlerweile als Formsache. Dann wird der Mann, der so gerne spricht, noch mehr Aufmerksamkeit benötigen. Für die Redaktion der «bz Basel» sind das keine guten Aussichten, zumal Kessler als Beirat nicht kürzertreten will.
Auch das ist mit Peter Wanner so abgesprochen. Kessler soll unbedingt Beirat bleiben. «Ich halte ihn für eine aussergewöhnlich spannende und anregende Persönlichkeit», sagt der AZ-Verleger. Am Redaktionssitz der «bz Basel» dürfte das wie eine Drohung klingen.