Schweizer Politiker, allen voran Vertreter des wirtschafts- und grünliberalen Flügels, fordern freie Fahrt für Uber. Doch nun legt eine neue Studie aus den USA nahe, dass der Service zum Stau-Problem in Städten beiträgt.
Egal, wie man zum politisch umstrittenen Fahrdienst Uber aus den USA steht: Ein Thema hatte bisher nicht viel Anlass zu Diskussionen gegeben. Uber gibt nämlich vor, viel zur Verkehrsentlastung beizutragen – und damit auch eine ökologisch wertvolle Firma zu sein.
Gegen Stau- und Abgasreduktionen hält niemand grosse Reden.
Uber erreicht dieses Ziel angeblich mit seinen Diensten UberPool und UberShare. Mehrere Fahrgäste teilen sich einen Fahrer. Das weckt überall grosse Hoffnungen. Unlängst fasste Nachhaltigkeits-Lobbyist und Ökonome Daniel Wiener die Verheissungen des Silicon-Valley-Konzerns prägnant – und selbst hoffnungsvoll, da angeblich unverzichtbar für eine zukünftige «Smart Regio Basel» – in der «bz Basel» wie folgt zusammen:
«Sobald die Dichte an Uber-Fahrten einen gewissen Schwellenwert erreicht hat, wird das Unternehmen die nächste Raketenstufe zünden: UberPool bündelt die Fahrten von unabhängigen Kunden, die in eine ähnliche Richtung müssen. Dies entlastet auch das Strassennetz und die Umwelt.»
Das ist 1:1 das PR-Argument, mit dem die Firma um den Globus tingelt. Der Premier des australischen Bundeslandes New South Wales, Mike Baird, weihte die Uber-Büros in Sidney höchstpersönlich ein. Die Firma wird von Politikern wie ein Retter empfangen, denn sie soll richten, was sie mit ÖV nicht mehr richten wollen: Sidney wächst rasant schnell – und die Strassen sind schon jetzt hoffnungslos überlastet.
Australiens konservatives Blatt «Daily Telegraph» berichtete so über das Ereignis:
«Die dunklen Wolken am Horizont, die die Lebensqualität der Einwohner bedrohen, heissen höhere Dichte und extreme Verkehrsstaus… Doch jetzt kommt Uber… Uber hat einen Plan, die Firma glaubt, Stau-, Umwelt- und Parking-Probleme wegzubekommen. …UberPool, schon aktiv in 20 Märkten auf der Welt, …wird ein Game Changer für Sidney werden.»
Die Hoffnungen am anderen Ende der Welt unterscheiden sich nicht von den Hoffnungen der Schweizer Uber-Fans.
Studie: Uber verstopft Strassen von New York
Eine neue, umfangreiche Studie über die Entwicklung des öffentlichen und des privaten Verkehrs in New York widerspricht nun allerdings all den Annahmen – oder sind es Wunschvorstellungen? – diametral. Die Studie zeigt, dass ein Siegeszug von Uber nicht in jedem Fall für eine Verkehrsentlastung sorgen muss. Im Gegenteil: Uber hat laut den Daten die Stau-Lage in der Millionen-Metropole verschlimmert.
In Zahlen: Während die öffentlichen Verkehrsmittel von 2012 bis 2013 einen massiven jährlichen Zuwachs an Passagieren verzeichnen konnten (U-Bahn: Über 50 Millionen Fahrgäste pro Jahr, Bus: Über 15 Millionen pro Jahr), haben Taxi- und ähnliche Services im gleichen Zeitraum über zwei Millionen Passagiere pro Jahr verloren. Dieser Trend hat sich von 2015 bis 2016 ins Gegenteil verkehrt: Die U-Bahn verlor über fünf Millionen Fahrgäste, der Bus über über zehn Millionen innert eines Jahres.
Fahrdienste wie Uber legten hingegen zu, laut der Studie um über 25 Millionen Fahrgäste im selben Zeitraum.
Das entspreche zusätzlichen 600 Millionen Meilen pro Jahr auf den Strassen von New York – eine Zunahme des Strassenverkehrs um fast 4 Prozent. Der Trend werde laut Studien-Autor Bruce Schaller anhalten und sich noch verschärfen.
Seine Studie scheint ein Horror-Szenario zu bestätigen, das verkehrspolitisch engagierte New Yorker schon länger beschäftigt. Es sei nicht auszudenken, so das Argument, was passiere, wenn die Billig-Lohn-Politik von Uber schon nur dazu führe, dass ein kleiner Prozentsatz der Pendler von der U-Bahn auf Uber umsteigen würde – von ersten Städten wird der Service neuerdings sogar subventioniert. Bei über 5,5 Millionen Fahrten pro Werktag in New York wäre man schnell bei zehn- oder hunderttausenden zusätzlichen Autos.
Grünliberale: Schweizer Uber-Turbos
Solche Überlegungen scheinen die von der TagesWoche angefragten Schweizer Uber-Fans nicht zu kümmern. Gleich wie die Australier in Sydney argumentieren, allen anderen wirtschaftsliberalen Parteien voran, die Grünliberalen. Und zwar sowohl auf nationaler als auch auf kantonaler Ebene.
So hat etwa GLP-Vizepräsident Jürg Grossen im vergangenen Jahr ein Postulat im Nationalrat eingereicht, das «neue Online-Vermittlungsdienste/digitale Mobilitätsplattformen zulassen und gleichzeitig faire Wettbewerbsbedingungen mit dem herkömmlichen Taxi-Gewerbe ermöglichen» will – und zwar «prioritär durch weniger Reglementierung und Bürokratie».
Was das für den Arbeitnehmerschutz und die Sicherheit im Strassenverkehr konkret bedeutet, wurde in der TagesWoche im Zusammenhang mit einer FDP-Motion bereits kommentiert.
Auch Judith Bellaiche, Kantonsrätin und Vize-Fraktionschefin der Zürcher Grünliberalen, möchte gegenüber der TagesWoche die «klare Stossrichtung von Uber hervorheben, nicht einfach einen neuartigen Taxiservice zur Verfügung zu stellen, sondern mit den Dienstleistungen UberPool und UberCommute eine echte Alternative zum täglichen Gebrauch des eigenen Wagens anzubieten».
Sie sei der festen Überzeugung, dass «ein gewaltiges Potential zur Reduktion des motorisierten Individualverkehrs vorliegt, wenn Ride-Sharing Modelle wie UberPool und UberCommute intelligent eingesetzt werden können». Es fehle dazu in der Schweiz heute nur noch «an den regulatorischen Rahmenbedingungen.»
Wie diese auszusehen haben, das ist auch für Bellaiche klar: Deregulierung. Bellaiche zur TagesWoche: «Ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit, wie sie spezifisch bei Uber immer wieder thematisiert wird, ist grundsätzlich zurückzuweisen.»
Grün und wirtschaftsliberal
Eine mögliche Zunahme des Strassenverkehrs war allerdings bisher kein Thema. Auf die neue Studie angesprochen, zieht Judith Bellaiche diese in Zweifel und verweist auf andere Studien, die angeblich neutraler seien. Die Politikerin: «Ride-Sharing Modelle sind aus meiner Sicht sowohl grün als auch liberal.» Und: «Über den Erfolg von UberPool und UberCommute liegen mir offenbar andere Informationen als Ihnen vor.» Eine «andere, wissenschaftliche und unparteiische Grundlage, meine Meinung zu ändern, liegt mir derzeit nicht vor», so die Politikerin.
Auf die Studie angesprochen betont Nationalrat Jürg Grossen, die Grünliberalen hätten Uber nie «gefördert», man wolle einfach «die beliebten und guten Dienstleistungen von Uber mit einer Deregulierung im Taxibereich auch in der Schweiz ermöglichen. Das wollen wir mit gleich langen Spiessen für alle erreichen und deshalb setzen wir uns auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene dafür ein.» Zum ökologischen Aspekt sagt er, seine Partei wolle anstelle einer «dogmatischen Strasse gegen Schiene-Diskussion» die «kombinierte Mobilität fördern»: «Wir setzen uns schon seit Jahren für die umweltfreundliche Elektromobilität und für Mobility Pricing ein, um die Spitzen für alle Verkehrsträger zu glätten».
«Es gibt Grenzen des Liberalen, um das Grüne zu sichern, das ist so. Und wir schlagen dann auch Regulierungen vor», hält der grünliberale Basler Grossrat David Wüest-Rudin fest. «Aber nicht hier», beim Thema Uber, fügt er an, es sei das «falsche Argument und der falsche Ansatz». Warum? Würde man nach dieser Logik, so Wüest-Rudin, «überspitzt gesagt, Uber verbieten oder einschränken wollen, weil Uber mehr Autofahrten provoziert, müsste man ja auch das Autofahren generell und vor allem das noch viel schädlichere Fliegen verbieten oder einschränken».
Nach exakt «gleich langen Spiessen» klingen die Vorschläge des Baslers dann aber doch nicht ganz. Der richtige Ansatz, so Wüest-Rudin: «Die Reaktion muss eine andere sein: Noch besserer ÖV, noch bessere Veloinfrastruktur, kein Ausbau der Autoinfrastruktur und vor allem: Möglichst rasche Umstellung aller Fahrzeuge auf Elektroantrieb mit 100 Prozent erneuerbarer Stromerzeugung!»
Mehr Studien, mehr Wissen
Welche Meinung man auch immer vertritt: Weder das Verkehrsproblem noch die modernen Fahrdienste werden verschwinden. Die Frage ist, wie man mit ihnen umgeht. Wenig hilfreich scheint, neue Informationen einfach beiseite zu schieben. Wenn schon, sollte man die konkreten Auswirkungen, die Fahrdienste auf Verkehr und Gesellschaft haben, noch eingehender, mit neuen Studien, untersuchen.
Dass Ride Sharing für sich allein betrachtet zu einer Reduktion der Anzahl Fahrzeuge auf den Strassen führt, ist logisch. Doch oft bilden einzelne Studien nicht das Gesamtverhalten von Verkehrsteilnehmern ab. «Es ist nicht einfach», bringt es Susan Shaheen, Forscherin für nachhaltigen Verkehr von der University of California-Berkeley, gegenüber wamu.org auf den Punkt. «Wir müssen das Verhalten der Nutzer verstehen. Verzichten sie auf ein Auto? Haben sie auf den Kauf eines Autos verzichtet, weil sie einen dieser Dienste nutzen?»
Die vorläufigen Ergebnisse einer weiteren Studie über einen Ride-Sharing-Service in fünf grossen amerikanischen Städten haben fürs erste einmal «verschiedene Auswirkungen» festgestellt. Ein Punkt dürfte grün tickenden Verkehrspolitikern zu denken geben: «Eine Mehrheit der Teilnehmer an der Studie nutzen den ÖV weniger oft».