Wer Massenmörder für unbegreiflich hält, macht es sich zu einfach, schreibt Klaus Theweleit in seinem neuen Buch «Das Lachen der Täter».
Am schlimmsten sind die Szenen aus Ruanda. Das Hacken der Macheten in weiches Menschenfleisch, spritzendes Blut, abgetrennte Köpfe, winselnde Opfer. Man will nicht weiterlesen. Und wann immer man erschöpft hofft, dass es vorbei sei, wird es noch schlimmer: Der Killer bekommt einen «harten Tötungsschwanz». Srebrenica, Utøya, das Morden des IS. Seitenweise Abschlachtungen. Die Hintergründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Eines aber ist den beschriebenen Szenen gemeinsam: Die Täter lächeln.
In seinem neuen Buch «Das Lachen der Täter» untersucht der deutsche Kulturtheoretiker Klaus Theweleit das Glück, das ein bestimmter Mördertypus beim Töten empfindet: lustvolle Freude angesichts der eigenen Gräueltaten. Wir kennen das von Aufzeichnungen aus dem Dritten Reich, wir kennen es von Anders Behring Breivik, der vor Gericht bei der Aufzählung seiner Morde Freudentränen in den Augen hatte, und der Attentäter im tunesischen Badeort soll während der Tat ebenfalls gelacht haben.
Allerdings – und auch darum geht es in dem Buch – findet man lachende Täter auch im Alltag. Sogar auf hiesigen Pausenplätzen, wo Jugendliche johlend sogenannte Happy-Slapping-Videos drehen: Ein völlig unbeteiligter Mensch wird unvermittelt angegriffen und ins Gesicht geschlagen, einer aus der Gruppe filmt den Angriff und das Video wird ins Netz gestellt.
Der Mord ist eine Art Spannungsausgleich, der den Täter ins Lot bringt. Das bereitet ihm eine solche Lust, dass er lächelt – oder sogar lacht.
Klaus Theweleit sucht Erklärungen für dieses Lachen, indem er das innere Erleben der Täter bei der Tat rekonstruiert. Das ist ein unkonventionelles Vorgehen und nicht immer leicht zu verstehen. Aber mithilfe dieser Psychogramme bekommt man tatsächlich eine Vorstellung davon, warum manche Männer (Frauen töten laut Theweleit in der Regel nicht auf exzessive Weise) diese ungeheuerliche Gewalt ausüben: Der Mord ist eine Art Spannungsausgleich, der den Täter ins Lot bringt. Das bereitet ihm eine solche Lust, dass er lächelt – oder sogar lacht.
Beim Lachen sind siebzehn Muskeln innerhalb der Gesichtsregion beteiligt, achtzig am ganzen Körper, es ist ein orgasmusähnlicher Zustand. Wer lacht, empfindet nichts als eben die Wonne seines Gelächters, schreibt Theweleit. Der Täter hat also beim Mord nicht das Gefühl, einen anderen Menschen zu töten, sondern erlebt vielmehr das erhebende Moment, das eigene Selbst «aufzurichten».
Unerreichbares Männerideal
Der Autor stützt sich in seiner Analyse auf die Figur des «soldatischen Mannes», wie er ihn auch schon in seinem Erfolgswerk «Männerphantasien» (1977) schilderte: Anders als die Frankfurter Schule, die sich mehr um die dem Faschismus vorangehenden historischen, psychologischen (autoritäre Erziehung), kulturellen und sozioökonomischen Faktoren kümmerte, versuchte Theweleit, die psychologische Attraktivität des Faschismus nachvollziehbar zu machen.
Auch im neuen Buch schaut Theweleit auf die speziellen Konstellationen in der Psyche der Mörder. Zum Beispiel verweist er auf Beschädigungen, Misshandlungen, die manche dieser Mörder erfahren haben, und die sich deshalb nur mit Gewalt stabilisieren können. Das liege auch daran, dass Männer – in fast allen Kulturen – dazu angehalten werden, ihre Emotionen körperlich abzureagieren. Aber auch die «psychophysischen Turbulenzen spätpubertärer Adoleszenz» spielen eine Rolle.
Das klingt verschwurbelt, ist aber wichtig: Theweleit meint damit die Schwierigkeit, männlich zu werden in einer Gesellschaft, in der Mannsein bis heute mit Autonomie und Überlegenheit gleichgesetzt ist. Ein Mann muss auf sich allein gestellt sein, braucht keine Hilfe oder Bindung und hat eine unverletzbare «Panzer-Körpergrenze» – eine Art Ego-Shooter-Selbst.
Allerdings handelt es sich um ein Ideal, das unerreichbar ist. In der Wirklichkeit sind Menschen immer verletzlich, unfertig. Theweleits These ist, dass die Furcht, dieses Ideal nicht zu erreichen, bei jungen Männern besonders ausgeprägt ist. Und dass manche von ihnen die Erniedrigung oder gar Vernichtung Anderer als ultimativen Schutz vor Verletzlichkeit, Bedrohung und Verunsicherung erleben.
Viele junge Männer nehmen – so Theweleit weiter – «die schiere Existenz anderer» bereits als Bedrohung wahr. Indem sie zu Mördern werden, entledigen sie sich ihrer. Ein Mörder muss keinen Widerspruch mehr ertragen, keine Andersartigkeit, keine Vielfalt; die Körpergrenzen (und meistens auch die Landesgrenzen) sollen auf diese Weise dicht gemacht werden.
Der lachende Täter braucht das Gefühl, im Auftrag von etwas Grösserem zu handeln.
Während Medien gerne die ideologische Überzeugung der Täter in den Vordergrund stellen, hält Theweleit sie für zweitrangig: Die Grundempfindungen der Täter seien ähnlich, die Ideologien austauschbar. Die IS-Killer berufen sich auf den Koran, eine besondere Religiosität haben sie allerdings nicht. Breivik berief sich auf das Christentum, gläubig aber war er nie. Kurz: Breivik ist von der mentalen Struktur her seinem Feindbild, dem Islamisten, ähnlicher als seinem Vorbild, den SS-Schergen. Sie alle wollen die Auslöschung des Feindes.
Laut Theweleit sind die Ideologien zwar austauschbar, aber unverzichtbar. Der lachende Täter braucht das Gefühl, im Auftrag von etwas Grösserem zu handeln: etwa dem Koran, dem Christentum oder einer höheren Rasse. Er versteht sich als Krieger für die gute Sache, verbindet sein eigenes kleines Leben mit dem Weltzusammenhang und konstruiert sich auf diese Weise eine Art Tötungsrecht. Der ideologische Täter ist nicht nur ein berechtigter, sondern auch ein gerechter Killer. Er sieht sich als Erlöser der Welt und tritt an, uns zu heilen. Er ist der Therapeut, nicht der Patient.
Plötzliche Mutation zum Monster
«Die Zeit wird kommen, da werdet ihr mir ein Denkmal setzen», sagte Breivik vor Gericht. Das klingt psychopathisch. Dennoch greift es zu kurz, solche Typen als durchgeknallt oder krank zu beschreiben. Breivik handelte bei vollem Bewusstsein, er entschloss sich aktiv und freiwillig zu einer bestimmten Weltinterpretation und zog daraus eine in seinen Augen logische Konsequenz. Der Aspekt ist Theweleit wichtig, denn er will diesen Tätertyp zur Verantwortung ziehen, ihn nicht als «kranke Ausnahme» verstanden wissen, sondern als Teil unserer Gesellschaft.
Wie Theweleit schon in den «Männerphantasien» anmerkte: Es waren immer auch «ganz normale Männer», die die SS-Killerkommandos durchführten – liebende Familienväter, fleissige Arbeiter. Eine Erkenntnis, die für Theweleit ebenso banal wie entscheidend ist: Selbstverständlich waren es «ganz normale Männer»!
Exzessive Mörder sind keine Ausnahmen, sie sind bloss radikale Versionen dessen, was in der Gesellschaft ohnehin herumgeistert.
Wann immer ein Mörder zur Tat schreitet, heisst es in den Medien oft ganz überrascht: «Er führte ein unauffälliges Leben» – und plötzlich geschieht die Mutation zum Monster. Theweleit stemmt sich gegen eine solche Perspektive, gegen die Unterscheidung zwischen «normalen Männern» und «enthemmten Massenmördern». Denn damit wird verdrängt, dass das Morden Ausdruck eines bestimmten, bis heute verbreiteten, eben «normalen» Männlichkeitskonstrukts ist. Manche Typen beteiligen sich daran; und wenn es erlaubt oder vorgeschrieben ist, mit besonderem Vergnügen. Und andere tun das nicht. Beide sind, so Theweleit, «ganz normal». Was er damit meint: Die exzessiven Mörder sind keine Ausnahmen, sie sind bloss radikale Versionen dessen, was in der Gesellschaft ohnehin herumgeistert.
Hier kommt Theweleit zu einem weiteren wichtigen Schluss: Radikale rassistische Täter wie Breivik zeichnen sich nicht durch ihre Differenz zu den «durchschnittlich» ausländerfeindlichen Bürgern aus, sondern vor allem durch ihre Ähnlichkeit mit ihnen und der verbreiteten Meinung, dass das Fremde irgendwie stört. Fundamentalisten entwickeln ihre Vorstellungen ja nicht über Nacht. Ihr Denken entsteht aus der Kultur, mit der sie aufgewachsen sind. Anders ausgedrückt: Letztlich gibt es eine Verbindung zwischen Breiviks Hass auf Ausländer und – zum Beispiel – dem Wunsch vieler heutiger Eltern, ihren Nachwuchs nicht auf Schulen zu schicken, auf die zu viele Kinder mit Migrationshintergrund gehen.
Mehr Kunstwerk als Wissenschaft
Vielleicht sind es also gar nicht die extremen Täter, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, sondern die Kulturen, aus denen sie entstanden sind. Nehmen wir die aktuellen autoritären Redeformen in Talkshows («Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…») oder die rechthaberischen bis hasserfüllten Kommentare im Internet: Theweleit nennt das «Beweisreden» und meint damit einen Debattenstil, der keinen Widerspruch duldet und einen absoluten Anspruch auf die Wahrheit erhebt. Diese Redeform, so Theweleit weiter, setzt sich nicht mit anderen auseinander, nimmt nicht deren Gefühle wahr, nimmt sie nicht ernst, sondern will sie vernichten. Wer redet, nur um eigene Standpunkte zu untermauern, ist laut Theweleit strukturell ein Faschist. Unabhängig davon, was er sagt.
Sicher, man hätte sich zuweilen im Buch etwas mehr Trennschärfe gewünscht: Breivik, Jihadisten, die SS, Ruanda, Internet-Trolls – die Gemeinsamkeiten leuchten zwar irgendwie ein, die Unterschiede aber sind unscharf. Was macht den jugendlichen Muslim zum lachenden Täter, was den Hutu-Rebellen? Das Buch mäandert, entzieht sich einer klaren Systematik. Theweleit tendiert zur ahistorischen Diagnostik, zur Universalisierung eines bestimmten Gewalt-Typus. Andererseits ist es auch dieser grossspurige Stil, der Bruch mit der klassischen wissenschaftlichen Herangehensweise, der besticht: Das Buch ist erfrischend unakademisch – und zugleich theoriesatt. Mehr Kunstwerk als Wissenschaft. Theweleit ist nicht leicht zugänglich, er schreibt bildhaft und assoziativ. Auf jeden Fall sind seine vielleicht nicht ganz zu Ende gedachten Analysen wichtige Denkanreger.
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Klaus Theweleit, «Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust». Residenz Verlag 2015, 248 Seiten, 31.80 Franken.