Arme Menschen finden in Basel selten eine bezahlbare Wohnung. Und wer in die Sozialhilfe abrutscht, dem droht der Verlust der bisherigen Wohnung: Letztes Jahr erteilte das Amt 700 solche Verfügungen. «Schwarzer Peter» & Co. denken nun über eine Initiative nach: Das Recht auf eine Wohnung für alle.
Sein Leben hatte sich G.M. schöner vorgestellt. Nun sitzt er in der 19 Quadratmeter grossen Wohnung an der Klybeckstrasse 254 und wartet auf eine Perspektive. Irgendeine. Seit sechs Jahren lebt der Ghanaer in der Wohnung, die keine Küche hat und alles andere als heimelig wirkt. Eine bessere Bleibe kann er sich als Sozialhilfebezüger nicht leisten. «Ich habe versucht, mir eine andere Wohnung zu suchen. Aber ich habe keine Chance.»
Für Menschen am Rande der Gesellschaft ist es beinahe unmöglich geworden, eine bezahlbare, gute und genügend grosse Wohnung zu finden, wie eine Studie der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und der Fachhochschule Nordwestschweiz zeigt. Vor allem Alleinerziehende und Ausländer müssen sich oft mit einer unbefriedigenden Wohnsituation abfinden.
G.M. ist dankbar, dass er überhaupt eine Bleibe hat. «Ich darf mich nicht beklagen, ich habe immerhin ein Dach über dem Kopf. Viele, die ich kenne, leben auf der Strasse.» Der 56-Jährige arbeitete elf Jahre lang bei den SBB als Wagenreiniger, bevor er den Job verlor und dann in die Sozialhilfe abrutschte.
Wohnungen sind oft teurer als 700 Franken
700 Franken kostet die Wohnung von G.M. an der Klybeckstrasse 254 – exakt so viel, wie die Sozialhilfe Alleinstehenden für eine Wohnung bezahlt. Wer im ehemaligen Migrosblock wohnt, hat meist einige Tiefschläge erlebt. In der Liegenschaft, die vor zwei Jahren wegen einer Zwangsversteigerung für Schlagzeilen sorgte und nun im Besitz einer Privatperson aus dem Kanton Solothurn ist, leben praktisch nur Sozialhilfeempfänger oder solche, die kurz vor dem Gang zum Sozialamt stehen.
Die Liegenschaft ist fast Glück im Unglück: Auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Basel ist gerade für die Armen kaum Wohnraum vorhanden. Für alleinstehende Sozialhilfeempfänger ist es praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, eine angemessene Bleibe zu finden. Ein Blick auf das Wohnportal «Homegate» zeigt: Für 700 Franken ist in Basel kaum eine Wohnung zu haben.
Das weiss auch Nicole Wagner, Leiterin der Basler Sozialhilfe, die derzeit rund 5400 Dossiers betreut. «Da die finanziellen Möglichkeiten bescheiden sind, ist es schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden.» Das Problem habe sich in den letzten zwei Jahren durch den angespannten Wohnungsmarkt akzentuiert.
Liegenschaftsbesitzer wissen genau, was die Sozialhilfe zahlt – und legen die Mieten entsprechend fest.
Der Wert von 700 Franken für Alleinstehende gilt seit 2013 (zuvor waren es 650 Franken). Eine erneute Anpassung ist gemäss Wagner nicht vorgesehen – auch wenn Wohnen in Basel immer teurer wird: «Wie sich bei der Anhebung des Mietzinsgrenzwertes vor drei Jahren gezeigt hat, ist die Wirkung sehr kurzfristig. Nach etwa einem Jahr stellte sich die Problematik wieder im gleichen Ausmass wie zuvor», sagt Wagner und spricht ein altes Problem an: Liegenschaftsbesitzer wissen genau, was die Sozialhilfe zahlt – und legen die Miete für eine Wohnung, und ist sie noch so eine Bruchbrude, oft genau aufs Maximum fest.
Aber selbst wer eine Wohnung hat und in die Sozialhilfe rutscht, läuft Gefahr, sie zu verlieren. Wie Wagner sagt, musste die Sozialhilfe vergangenes Jahr 700 Verfügungen erteilen, in denen die Bezüger angehalten wurden, sich mit Hilfe der IG Wohnen innert sechs Monaten eine günstigere Wohnung zu suchen, weil die bestehende zu teuer sei.
Nahezu alle Verfügungen richteten sich dabei an Menschen, die neu zur Sozialhilfe gekommen sind. Das heisst: Die Wohnungen waren von Anfang an teurer als von der Sozialhilfe bewilligt. Die Sozialhilfe zahlt nur in Ausnahmefällen mehr – etwa, wenn jemand im Rollstuhl in einer Liegenschaft leben muss, die über einen Lift verfügt.
Wer in seiner Wohnung bleibt, macht sich verdächtig
Mit Sanktionen müssen die Bezüger jedoch nicht unmittelbar rechnen, wenn sie trotz Verfügung nicht ausziehen. Dann wird nur noch der Betrag in der Höhe des Mietzinsgrenzwertes direkt aufs Konto ausbezahlt – bei einer Einzelperson wären das die 700 Franken. «Die Differenz zum tatsächlichen Mietzins muss die betroffene Person aus dem Grundbedarf finanzieren», sagt Wagner.
Wer jedoch weiterhin in der teuren Wohnung bleibt, macht sich verdächtig. Das Amt schaut nämlich genau hin: Übersteigt die Differenz eine bestimmte Grenze im Verhältnis zum Grundbedarf (so, dass der Grundbedarf nicht mehr ausreicht, um die elementaren Bedürfnisse zu decken), erfolgt eine Überprüfung, ob Einkommen nicht deklariert werden und der Bezüger überhaupt noch Anspruch auf Sozialhilfe hat.
Wie viele Betroffene sich tatsächlich eine günstigere Wohnung suchen, auf der Strasse landen oder zu Bekannten ziehen, ist unkar. Was nach den Verfügungen passiert, erfasst die Sozialhilfe nicht.
«Die Situation hat sich massiv verschäft. Auch immer mehr Leute aus dem unteren Mittelstand machen Gebrauch von der Meldeadresse.»
Dass ärmere Menschen es immer schwieriger auf dem Basler Wohnungsmarkt haben, merkt auch der Verein für Gassenarbeit «Schwarzer Peter». Der Verein bietet Menschen ohne festen Wohnsitz sogenannte Meldeadressen an. Kamen 2010 rund 100 Menschen auf diesem Weg an ihre Post, sind es momentan 370. «Die Situation hat sich massiv verschärft», sagt Gassenarbeiter Michel Steiner.
Bemerkenswert sei, dass immer mehr Menschen aus dem unteren Mittelstand, die nach einem Schicksalsschlag in die Armutsspirale geraten, von der Meldeadresse des «Schwarzen Peter» Gebrauch machen würden. «Es sind immer mehr Leute, denen man es nicht unbedingt ansieht.» Der Verein denkt nun mit anderen Organisationen darüber nach, eine Initiative zu lancieren, die in der Verfassung festschreibt: Alle Menschen haben in Basel das Recht auf eine Wohnung.
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Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt spüren auch die Verantwortlichen der Familienmietzinsbeiträge: Die Zahl der Familien, die vom Kanton Basel-Stadt Mietzinsbeiträge erhalten, hat sich seit 2009 fast verzehnfacht.