Das Kasernenareal könnte zum attraktivsten Ort in Basel werden – doch viele Kompromisse verhindern den grossen Durchbruch.
Daniel Vasella, das ist das Böse. Der «Abzocker», der auch fürs Nichtstun noch viele Millionen kassieren wollte. Über diesen Vasella ist in den vergangenen Wochen viel geredet worden. Dabei gibt es auch den anderen Vasella, den Schaffer, der in Basel viel geleistet hat. Der Novartis Campus, diese in wenigen Jahren aufgezogene Stadt vor der Stadt, diese neue Heimat für Spitzenforschung und Spitzenarchitektur, das war Vasellas Plan.
Dem wollte die rot-grüne Regierung in nichts nachstehen. «Es geht doch nicht, dass in Basel nur den grossen Firmen wie Novartis ein grosser Wurf gelingt. Das muss die Stadt auch schaffen», sagte der Grüne Regierungsrat Guy Morin Ende 2008 in einer Diskussionsrunde von Radio X auf dem Kasernenareal. Dazu brauche es nur ein bisschen Mut. «Und dazu können das neue Präsidialdepartement und die Stadtentwicklung der Stadt verhelfen», erklärte der kommende Regierungspräsident mit wachsender Begeisterung. Und warum nicht gerade hier Mut zeigen, auf dem Kasernenareal, mit einem Durchbruch zum Rhein und einem kulturellen Zentrum?
Die Idee kam gut an, wie der Jubel der Zuhörerinnen und Zuhörer auf dem Kasernenareal zeigte.
Viele Visionen – zu viele Verantwortliche
Hier im Kleinbasel sollte die Stadt mit dem Wasser verbunden werden, in perfekter Harmonie, wie beim Markusplatz in Venedig, mit dem die Stadtplaner das Kasernenareal ohne falsche Bescheidenheit verglichen. Andere schlugen vor, bei der Kaserne einen Hafen zu bauen. Oder warum nicht Proberäume schaffen, ein Kulturzentrum, ein Hotel, eine Musikhalle, einen Stadtpark? Und möglichst viele neue Restaurants, Bistros und Läden sollte es auch noch geben. Endlich etwas mehr Betrieb, endlich etwas mehr Leben in der beschaulichen Stadt.
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Anstatt immer fantastischere Ideen zu entwickeln, hätte man vielleicht besser bei der Pharma nachgefragt, wie man einen grossen Wurf macht. Die Antwort wäre interessant gewesen. Und eigentlich recht banal: Es braucht klare Verantwortlichkeiten. Einer muss die Vision haben und bereit sein, das entsprechende Projekt auch gegen Widerstände durchzuziehen und gegen Kritik zu verteidigen. Das war im Falle des Novartis Campus Daniel Vasella.
Dann braucht es einen kreativen Kopf, der das Projekt ausarbeitet. Dafür hat sich Novartis einen Mann ausgewählt, dessen Name schon ein Kunstwerk ist: Vittorio Magnago Lampugnani, Architekt und ETH-Professor. «Bei einer gestalterischen Umsetzung dürfen nicht zu viele Leute mitreden, sonst entsteht kein gutes Werk. Dafür muss man jemandem vertrauen und ihn machen lassen», sagt er.
Bei der Kaserne läuft es gerade umgekehrt: Alle reden mit – und so entstand in den vergangenen 40 Jahren neben vielen Ideen höchstens noch viel Papier. Die ersten Seiten stammen vom Ideenwettbewerb «Ent-stoh-Loo». Danach fällten Regierung und Parlament ihre ersten Grundsatzentscheide, ohne Entscheidungsgrundlage allerdings. Die musste erst noch geschaffen werden.
«Experimentierfeld», «Brutstätte», «Cluster» –das tönt gut: Aber was ist damit gemeint?
Den Auftrag erhielt 2006 Heller Enterprises, ein Büro für Kulturprojekte, das unter anderem die Schaffung einer «Brutstätte» anregte. Das war das Konzept, das der Regierung am besten gefiel, weil «dieses kulturpolitisch intendierte Modell» auf «inhaltlicher und programmatischer Ebene ansetzt», wie es in einer Regierungserklärung heisst. Und weiter: «Das Kasernenareal soll sich demnach zum städtischen Experimentierfeld mit Treibhauscharakter entwickeln, es soll ein Cluster mit aufeinander abgestimmten und sich gegenseitig stärkenden Nutzungen entstehen.»
Klingt wichtig. Nur: Was heisst das eigentlich? Dieser Frage ging neben Regierung und Parlament auch die interdepartementale Projektgruppe Entwicklung Kasernenareal (i-PEK) auf den Grund, ebenso eine weitere Arbeitsgruppe mit Behördenvertretern, Nutzern und Quartiervereinen und mehrere Szenarienworkshops.
Allmählich wurde es unübersichtlich, und so musste eine neue Studie her, eine Machbarkeitsstudie, welche die verschiedensten Ideen nochmals bündelte. Selbstverständlich wurden diese Ergebnisse dann auch noch einer «Echogruppe» vorgelegt. Es hätte ja sein können, dass es rund um die Kaserne irgendjemanden gab, der seine Einwände noch nicht einbringen konnte.
Kommission pocht auf Prüfung einer grosszügigen Öffnung
Und so wurden die einst grossen Ideen immer mehr kleingeredet. Neustes Zwischenresultat ist der regierungsrätliche Ratschlag zur Gesamtsanierung des Kasernenhauptbaus. Eine Vorlage, mit der die vorberatende Bau- und Raumplanungskommission nur sehr bedingt zufrieden ist.
Ihrer Meinung nach muss die grosszügige Öffnung des Platzes zum Rhein beim Architekturwettbewerb unbedingt geprüft werden. Aller Voraussicht nach wird sich der Grosse Rat dieser Forderung anschliessen und den Kredit von 2,3 Millionen Franken für die Projektionierung verabschieden.
Damit kann Guy Morin, Regierungspräsident und oberster Stadtentwickler, gut leben, wie er sagt: «Entscheidend ist, dass mit der Projektierung nun etwas in Gang kommt, auf das wir seit 40 Jahren warten.» Er sei überzeugt, dass sich aus dem Architekturwettbewerb ein «tolles» Projekt ergebe. Was soll er auch anderes sagen, nachdem sein Departement das Geschäft vom Baudepartement übernommen hat, mit dem Versprechen, einen grossen Wurf zu landen?
Sprengen!
Andere geben sich schon sehr viel zurückhaltender. Architekt Jacques Herzog zum Beispiel, der 1998 in einem Interview mit der «Basler Zeitung» noch forsch verlangt hatte, der Kasernen-Hauptbau müsse gesprengt werden: «Diese Kaserne ist ein Klotz, der die Beziehung zum Rhein abblockt.» Eine Stadt wie Basel müsse sich verändern, sonst sterbe sie. Heute redet er dagegen nur noch von einer «respektvollen Öffnung» in der Mitte, die Rhein und Kasernenhof verbindet.
Warum diese plötzliche Zurückhaltung, Herr Herzog? Weil seine früheren Aussagen in erster Linie eine Provokation waren, um eine Debatte in Gang zu bringen, sagt er. Vielleicht hofft er aber auch ganz einfach auf einen Auftrag (im Präsidialdepartement sähe man Herzog beziehungsweise sein Architekturbüro auch gerne in der Jury oder im Wettbewerb).
Ist die Basler Stadtplanung zu mutlos?
Das Kasernenareal soll einen seitlichen Durchbruch erfahren. Mehr liegt nicht drin, findet die Basler Regierung heute. Ist das so?
Oder fehlt den Basler Behörden schlicht der Mut für einen grossen Wurf?
Kerstin Wenk, SP-Grossrätin und Mitglied im Komitee «Kulturstadt Jetzt» streitet mit Tattoo-Chef Erik Juillard darüber, ob es der Basler Stadtplanung an Visionen und Durchsetzungskraft fehlt. Mischen Sie sich ein!
Oder er ist einfach realistisch geworden. Genau wie Tobit Schäfer, der sich mit der Gruppierung «Kulturstadt Jetzt» für eine möglichst grosszügige Öffnung des Platzes einsetzt. «Wenn ein Militärmusikveranstalter und die Denkmalpflege bei der Stadtentwicklung eine entscheidende Rolle spielen, wird das kaum zu progressiven Lösungen führen», sagt der SP-Grossrat.
Die Denkmalpflege und das Militärmusikfestival, sprich das Basel Tattoo: Damit hat Schäfer die beiden grössten Bedenkenträger rund ums Kasernenareal angesprochen. Und die beiden einflussreichsten.
Kompromisse drohen, alles zu vermasseln
«Das Tattoo hat eine grosse Ausstrahlung und viel Publikum», anerkennt Morin. «Wir haben null Interesse, dass diese Veranstaltung erschwert oder gar verunmöglicht wird.» Und zur Denkmalpflege sagt er: «Wir haben ein grosses Interesse an einer einvernehmlichen Lösung mit ihr.» Morins Begründung: Die Denkmalpflege könnte die Unterschutzstellung des Hauptbaus beantragen. Stimmt die Regierung zu, ist die Öffnung vom Tisch, lehnt sie ab, können die freiwillige Denkmalpflege oder der Heimatschutz diesen Entscheid anfechten – vor dem Verwaltungsgericht und allenfalls vor dem Bundesgericht.
«Das würde lange dauern und könnte das ganze Projekt infrage stellen», sagt Morin. Eine Argumentation, mit der die Regierung der Denkmalpflege, die auch beim Architekturwettbewerb mitentscheiden wird, faktisch ein Vetorecht einräumt.
Da sind sie wieder – die Einzelinteressen, die einen grossen Wurf verhindern.
Dabei ist deren Meinung nicht in Stein gemeisselt, empfahlen ihre Vorgänger doch Mitte der 1950er-Jahre, den Haupttrakt der Kaserne nicht gerade zu sprengen, aber zu verschieben: an die Klybeckstrasse. Auf diese Weise könne «der Hof rheinwärts geöffnet» und «die Klingentalkirche (…) voll überschaubar» gemacht werden. Heute dagegen verbitten sich die Denkmalschützer mutige Eingriffe an dem angeblich schützenswerten Militärtrakt.
Und das Tattoo? Erst 2006 eingeführt, hat sich der Open-Air-Anlass rasch etabliert – und wehrt sich gegen eine grosse Öffnung, fast schon trotzig, vor der Trutzburg. Nur, weil die Kaserne eine nette Kulisse darstellt? «Nein, sie ist auch ein historisches Monument», betont Festivalchef Erik Julliard (siehe auch unsere Wochendebatte). Ein Abbruch des Hauptbaus käme ihm auch aus logistischen Gründen in die Quere: «Wir brauchen die Räume für die Unterbringung der Musiker. Zudem hat der Bau akustische Vorteile, weil der Schall sonst über den Rhein getragen würde.»
Da sind sie wieder: die Partikularinteressen, die auf diesem Areal so stark aufeinanderprallen, dass einem Aussenstehenden schwindlig wird angesichts all der verschiedenen Fronten. Eine Territorialverteidigung.
Kurz vor dem Ziel – das war einmal
Dabei hat Basel schon kurz nach der Einweihung dieses Territoriums den Kürzeren gezogen. Bei der Reorganisation der eidgenössischen Waffenplätze 1876 ging der Stadtkanton leer aus. Aarau und Liestal erhielten den Vorzug. In seinem Buch «Die Kaserne in Basel» (Christoph Merian Verlag, 2012) führt David Tréfás diese «Marginalisierung Basels in der eidgenössischen Militärorganisation» vor Augen: Die Basler Kaserne war zu peripher für die Restschweiz und doch eingekesselt im Kleinbasel. Weshalb hier bald nur noch Sanitäter ausgebildet wurden.
Auf den Auszug der Sanitäter folgte eine Pflästerlipolitik. Sicher, das Areal wurde in den letzten 40 Jahren belebt, Kunstschaffende zogen ein, Gastronomen auch, Theater- und Musikschaffende fanden ihre Bühnen, Boxer ihren Ring, Schulklassen ihre Zimmer, Studenten ihre Ateliers, Muslime ihre Moschee. Und zahlreiche Amtsstellen fanden hier ihre kleinen Zuständigkeiten. Versuche einer Gesamtplanung führten immer wieder zu Roundtables und Studien und Wettbewerben – und schliesslich zu einer Stagnation, zur ewigen Baustelle, zum dauerhaften Provisorium.
Nur einmal schien es, als stünde man kurz vor einem grossen Durchbruch – im wörtlichen Sinn: Ende der 1980er-Jahre wollte das Baudepartement die Arealgestaltung endlich zu einem Ziel führen. Eine Jury kürte das Projekt «Die Wiese zwingt den Rhein ins Knie» zum Wettbewerbssieger.
Eine keilförmige Wiese zum Verweilen, ein Durchgang durch den Hauptbau zum Rhein, das wollte man realisieren, lange bevor der Begriff Mediterranisierung dem Volksmund vertraut war. Doch das Projekt verstaubte in der Schublade, ehe es 1992 endgültig in den Archiven verschwand. Weil die Stadt die nötigen 3,7 Millionen Franken nicht aufbringen konnte – oder wollte. Die Territorialverteidigung ging weiter.
Und heute? «Ausser der guten Absicht hat sich nichts geändert», sagt Pascal Biedermann, der kaum noch daran glauben mag, dass hier Grosses entsteht. Er ist Präsident von Pro Kasernenareal und ernüchtert darüber, dass über die Form entschieden werden soll, solange die Nutzung und Ausrichtung unklar ist. Und auch darüber, dass der Staat die Fäden in der Hand behalten will. «Meine Erkenntnis nach all den Jahren: Es wird hier immer nur Kompromisslösungen geben. Das Konstrukt Staat kann keine grossen Würfe landen.»
Mit dem Start des Architekturwettbewerbs wird womöglich die letzte kreative Chance vertan.
Biedermann arbeitet bei der Kantensprung AG, die in den letzten 15 Jahren grosse Umnutzungen realisiert hat, man denke an das Gundeldinger Feld oder das Walzwerk Münchenstein. «Der Staat kann lenken, die treibende Kraft kommt aber immer von privater Seite», sagt er aus seiner Erfahrung. «Wir boten dem Kanton auch schon mal an, das Kasernenareal im Baurecht zu kaufen. Eine Provokation, klar. Sie stiess nicht auf Gehör.»
Sich Gehör verschaffen, das wollen viele, die auf diesem Areal Interessen verfolgen. Biedermann vergleicht es mit einem gewaltigen Soundcheck, der hier durchgeführt wird – ehe überhaupt klar ist, welchen Song man gemeinsam spielen wolle.
Die Form müsste der Funktion folgen
Womit wir wieder bei der Musik wären – und bei Erik Julliard, der lauter posaunt als manch ganzjähriger Nutzer. Zuletzt etwa auf Telebasel, wo er über den Bau eines eigenen Stadions nachdachte und dafür von den Behörden selbstbewusst Platz und Planungssicherheit einforderte. «Julliard hat Macht. Er macht aber auch etwas. Andere haben nur eine Meinung», attestiert ihm Biedermann. Und was hat denn Biedermann selber? «Eine Haltung. Die Stadt sollte die Arealverwaltung einer privaten Trägerschaft geben, diese den integralen Prozess vorantreiben. Und dann bauliche Massnahmen erwägen. Form follows function.»
Mit dem Grossratsentscheid am 13. März und dem Start des Architekturwettbewerbs wird womöglich die allerletzte Chance vertan, diese eigentliche Selbstverständlichkeit auf dem Kasernenareal durchzusetzen. Und sich Klarheit zu verschaffen über die Aufgabe dieses Platzes und über die Verantwortlichkeiten darum herum.
Mehr Luft, mehr Licht!
Fest steht: 2015 zieht die Hochschule für Gestaltung und Kunst aus, werden Räume frei. Wie eine künftige Nutzung des Hauptbaus aussehen könnte, dafür wurden zuletzt 2012 Szenarien entwickelt. Denkbar wären demnach unter anderem Räume für Kultur und Kreativwirtschaft, Treffpunkte für die Bevölkerung, Restaurants und Bistros. Daneben war die Rede von einem «Forum Stadtkultur», in dem «das vielschichtige theoretische und praktische Wissen zum Thema Stadt gesammelt und in unterschiedlichen Formaten vermittelt werden kann». Vielleicht ja auch das Wissen, wie man Arealentwicklungen zielstrebiger erreichen könnte – mit ein paar Planungsjahrzehnten weniger.
Womöglich erinnert man sich dort dann auch an die Taten jener Basler Regierungsräte, die 1859 die Niederlegung der Stadtmauern beschlossen hatten – und die 1878 auch die Riegelfunktion der Kaserne hinterfragten, auf «dass es bei einer anderweitigen Verwendung möglich werde, der kleinen Stadt nach einer Richtung hin Luft und Licht zu verschaffen, der sie bis dahin vollständig verschlossen war».
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.03.13