Zum Tod des Soziologen Ulrich Beck

Mit Ulrich Beck ist ein leidenschaftlicher und kreativer Geisteswissenschaftler gegangen, der wichtige gesellschaftliche Fragen aufwarf. Sein Buch «Risikogesellschaft», das 1986, im Jahr der Atomkatastrophe von Tschernobyl, erschienen ist, zählt zu den Standardwerken der modernen Soziologie.

Ulrich Beck (15. Mai 1944 bis 1. Januar 2015) (Bild: Keystone)

Mit Ulrich Beck ist ein leidenschaftlicher und kreativer Geisteswissenschaftler gegangen, der wichtige gesellschaftliche Fragen aufwarf. Sein Buch «Risikogesellschaft», das 1986, im Jahr der Atomkatastrophe von Tschernobyl, erschienen ist, zählt zu den Standardwerken der modernen Soziologie.

Seine gute Laune und sein Optimismus waren ansteckend, seine Auftritte ein Erlebnis. Am 1. Januar ist der deutsche Soziologe im Alter von 70 Jahren gestorben.

Beck sah die «Risikogesellschaft» (1986) als Produkt der Moderne. Sie dokumentiert den bruchartigen Übergang von der industriellen zur reflexiven Moderne. Neue, selbst geschaffene Risiken überlagern alte Klassengefüge.

Technische Fortschritte zeitigen unerwartete Nebenfolgen. Ökologische Bedrohungen kumulieren sich und relativieren Fragen von Arm und Reich. Viele Umweltprobleme sind kaum fassbar und daher umso schwieriger zu bewältigen; zumal mehr Wissen vor allem auch mehr offene Fragen generiert. Das verunsichert. Davon geht Beck aus.

Jenseits von Klasse und Schicht

Die Individualisierung sozialer Ungleichheit kennzeichnet, so Beck, eine soziale Strukturierung «Jenseits von Klasse und Schicht». Tradierte Bande und geschlechtsspezifische Stereotype weichen auf. Die standardisierte Erwerbsarbeit erodiert. Wechselhafte Lebensverläufe mit «Bastelbiografien» lösen «Normalbiografien» ab.

Vielfältige Gestaltungs- und Wahlmöglichkeiten kompensieren den Verlust. Vor der politisch-administrativen Steuerung kommen verbandliche und wirtschaftliche Akteure stärker zum Zug; zudem soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Einrichtungen.

Daniel Cohn Bendit über Ulrich Beck («Echo der Zeit», SRF, 3.1.2015):

Nationalstaatliches Denken will Beck kosmopolitisch überwinden. Dies auch deshalb, weil Umweltprobleme vor Landesgrenzen keinen Halt machen. Globalisiert erweisen sie sich als weltinnere Aufgabe. Die Weltgesellschaft entwickelt ein Bewusstsein ihrer selbst. Sie geht das, was sie gefährdet, gemeinsam an.

So entsteht eine übergreifende Community. Das Überleben lässt sich nur so sichern. Ist die Globalisierung ein wirtschaftlicher Globalismus, dann droht ein bornierter Provinzialismus. Politische und kulturelle Globalität ermöglichen hingegen eine solidarische Regionalität. Hoffentlich.

Sowohl als auch

Die industrielle Moderne kennzeichnet Ulrich Beck als zweckrationale. Vordergründige Klarheiten prägen das ultimative Entweder-oder-Denken. Anders verhält es sich in der reflexiven Moderne. Hier antizipieren Menschen ihre Zukunft. Sie erkennen, was passiert, wenn Nebenfolgen dominieren und auf jene zurückfallen, die sie verursachen. Dann wird es gefährlich. Und diese Einsicht fördert nach Beck die Bereitschaft, sich zu engagieren.

Das ist eine zuversichtliche Option. Schön wärs. Leider lassen sich aber gerade unter Bedingungen sozialer Ungleichheit viele Probleme einfach abwälzen. 

Die Individualisierung basiert, so Beck, auf einer dynamischen Pluralisierung. Diese bringt zum einen mehr Ambivalenzen mit sich und sie sucht zum andern das verbindende Und sowie das Sowohl-als-auch. Die «neue Identität» lässt Widersprüche zu. Das mag erfreulich sein, je nach dem, welche Widersprüche gemeint sind. Die Verunsicherung kann aber auch in Wissenschaft und Politik dazu führen, in Beliebigkeit abzudriften oder Halt bei populistischen Ideologien zu suchen.

Neue Verbindlichkeit

Ulrich Beck fokussiert auf ökologische Nebenfolgen. Das ist gewiss wichtig. Und damit berührt er seit dem Atomkatastrophe in Tschernobyl viele Seelen. Die Individualisierung erklärt er aus Prozessen der Auflösung. Sie ist für ihn sogar Voraussetzung für neue Verbindlichkeiten, die aus freien Stücken zustande kommen. Da denkt Beck in Wünschen, wie bei sozialen Ungleichheiten.

(SRF, «Tagesschau», 3.1.2015)

Beck sieht zwar durchaus, dass es ein Oben und Unten gibt. Er vernachlässigt aber vertikale Klassengefüge, die mit der von ihm betonten «Enttraditionalisierung» keineswegs passé sind.

Und er plädierte dafür, Grenzen zu überwinden und sich einzumischen. Beck wirkte in Fachverbänden mit, unterstützte in Deutschland die rot-grüne Mitte, lehnte im Kontext von Automatisierung und Flexibilisierung die Konzeption der Vollbeschäftigung ab, rief zunächst zu mehr Bürgerarbeit auf, trat später für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein und engagierte sich für eine postnationale Demokratie mit einem stark föderalistischen und zivilgesellschaftlichen Europa von unten, das die Macht der transnationalen Konzerne eindämmt und weltweit eine Finanztransaktionssteuer durchsetzt.

Ulrich Beck, 1944 geboren, wuchs in Hannover auf, studierte Soziologie, Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft. Er lehrte hauptberuflich an Hochschulen in Bamberg, München und als Gastprofessor in Frankreich, England und anderswo. Er publizierte viel und breit, auch über Gott und, mit seiner Partnerin Elisabeth Beck-Gernsheim, über die Liebe.

Mit ihm ist ein leidenschaftlicher und kreativer Soziologe gegangen, der viele wichtige gesellschaftliche Fragen aufwarf.


Literatur von Ulrich Beck:

  • Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1986
  • Die Erfindung des Politischen. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993
  • Ulrich Beck, Antony Giddens, Scott Lash, Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1996
  • Weltrisikogesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2007

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