Benfica-Stürmer Jonas Gonçalves – der Apotheker mit dem Torinstinkt

Jonas Gonçalves ist die schillernde Figur in Benfica Lissabons Offensive, wo auch der Schweizer Nationalspieler Haris Seferovic um einen Platz buhlt. Am Mittwoch ist der üppig besetzte Sturm der Portugiesen im St.-Jakob-Park gegen den FC Basel zu sehen.

94 Tore in drei Jahren: Jonas im Trikot von Benfica Lissabon. (Bild: Imago)

Es war vielleicht nicht das schönste Tor. Ein einfaches war es sicher nicht. Einen Corner wollte er mit der Hacke verwandeln, was nicht gelang, aber immerhin reichte der Kontakt, damit der Ball in seiner Nähe blieb. Ein Abpraller vom eigenen Bein landete dann direkt vor seinen Füssen, er brauchte nur noch einzuschieben. Ein Tor irgendwo zwischen Kunst und Glück, wie das bei Goalgettern eben so ist. Und ein solcher ist dieser Jonas Gonçalves allemal.

Das Tor am Samstag für Benfica zum 2:0-Endstand gegen Paços de Ferreira war sein achtes im siebten Ligaspiel. Es trug zur Beruhigung bei in einer noch jungen Saison, in der rund um den Verein nach zwischenzeitlich drei sieglosen Partien am Stück in Champions League, Liga und Pokal bereits das Wort «Krise» die Runde machte. Es war Jonas’ 94. Tor für die Lissabonner in gerade mal drei Jahren. Als zweiter Ausländer der Klubgeschichte nach dem Paraguayer Óscar Cardozo (171) dürfte er bald die 100er-Marke erreichen.

Tore aller Art waren darunter, schöne und reingedrückte, schwierige und zufällige. Jonas ist ein variabler, und gerade deshalb nicht leicht zu kategorisierender Stürmer. Mittelgross, mittelschnell, mitteltechnisch, mittelkopfballstark und mit beiden Füssen etwa gleich gefährlich. Auch seine beste Position ist irgendwo mittel – zwischen hängender und echter Spitze.

Bei Benfica hat er in der Regel einen Neuner vor sich, zuletzt stets Haris Seferovic, einer von drei weiteren Kandidaten für die Besetzung des Angriffs (siehe unten). Jonas aber bleibt trotz fortgeschrittenen Alters allenfalls in unwichtigen Spielen mal draussen.

Benficas vergebliches Anrennen im ersten Gruppenspiel der Champions League gegen ZSKA Moskau: Andrija Zivkovic und Jonas gegen Aleksandr Golovin (von rechts).

33 Jahre – seine leicht graumelierten Schläfen erzählen davon. Für die Benfica-Fans ist Jonas’ Alter ein Segen, sonst wäre er längst weggekauft worden, wie Renato Sanches, Gaitán, Guedes in der vergangenen Saison. Und wie Ederson, Lindelöf, Semedo und Mitroglu, die Benfica immerhin 120 Millionen Euro Transferentschädigung eingetragen haben.

Die anderen kommen und gehen, derweil Jonas zusammen mit seinem brasilianischen Landsmann, Abwehrchef Luisão (36), die Rolle der Identifikationsfigur gibt – obwohl er elf Jahre später kam als der treue Kapitän.

Eine Karriere über Umwege

Jahre und Alter sind bei Jonas relativ, denn er wurde erst als Twen zum Fussballprofi. Vorher studierte der Lehrersohn, väter- wie mütterlicherseits, aus einer Kleinstadt im Bundesstaat São Paulo den Apothekerberuf, mit exzellenten Noten, wie es heisst. Jonas war zu heimatverbunden, um sich weiter fort zu bewegen. «Ich wohnte zu Hause, studierte und wollte nicht von der Familie weg», erinnerte er sich einmal. «Bis ich 20 war, habe ich nie einen ernsthaften Vertrag unterschrieben.»

Es dauerte dann weitere fünf Jahre, ehe er sich nach Stationen bei Guarani, Santos und einer Ausleihe zu Portuguesa – alle im Bundesstaat São Paulo – im zweiten Anlauf beim Spitzenklub Grêmio im südbrasilianischen Porto Alegre durchsetzte. Sein Selbstvertrauen überlebte sogar einen dieser You-tube-Momente, als er in einer Torszene gleich dreifach scheiterte.

Allen Spott beantwortete Jonas im Jahr darauf ganz trocken mit der Torschützenkrone der brasilianischen Meisterschaft. Mittlerweile nannten sie ihn den «Detonator», weil er mit Leichtigkeit die gegnerischen Abwehrreihen sprengte.

Anfang 2011 wechselte er nach Valencia, wo der FC Basel ihn im Uefa-Cup-Viertelfinale 2014 kennenlernte (3:0, 0:5). Am Mittelmeer schlug sich Jonas mit einer Torquote von 0,33 Prozent ordentlich, aber nicht gut genug, um von dem notorisch unruhigen Verein für unabkömmlich erklärt zu werden. Im September 2014 forcierte er einen ablösefreien Wechsel zu Benfica. Es sollte sich als das Beste herausstellen, was er tun konnte.

Die WM 2018 als letztes grosses Ziel

Seither hat er derart die Register gesprengt, dass er in der Saison 2015/16 lange mit Messi, Ronaldo und Luis Suárez um den «Goldenen Schuh» für Europas besten Torjäger kämpfte. Letztlich triumphierte Suárez, aber erstens «war ich schon glücklich, in so einem Rennen dabei zu sein» (Jonas), und zweitens brachten ihm seine 32 Treffer erstmals nach vier Jahren Pause wieder ein Aufgebot für das brasilianische Nationalteam ein.

Konsterniert: Die Benfica-Spieler nach der Heimniederlage gegen Moskau.

Bald fiel er jedoch wieder vom Radar: Im Sommer 2016 musste er am Knöchel operiert werden, eine Bakterieninfektion verzögerte den Heilungsprozess, und er verpasste die komplette erste Saisonhälfte. Jetzt ist er zurück und hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: «Mein Ziel ist die WM 2018, dafür arbeite ich jeden Tag.» Mit seiner bisherigen Trefferquote in dieser Saison scheint er auf dem besten Weg zurück in die Seleção.

Nach seinem Tor am Samstag schwang er vor der Kamera einen imaginären Taktstock. Er wollte damit allerdings nicht den Zampano markieren, sondern seinen Bekannten João Carlos Martins grüssen, der einst einer der weltbesten Pianisten war, bei Verletzungen nach einem Raubüberfall das Gefühl im rechten Arm verlor und sich schliesslich zum gefeierten Dirigenten umschulte. Später erklärte Jonas: «Seine Geschichte ist ein leuchtendes Beispiel für alle, die in Schwierigkeiten stecken.» Auch für einen Fussballer, dessen Karriere nicht immer geradlinig verlief.

Jonas’ Partner: Der Schweizer, der Rekordtransfer und der Freund von Neymars Schwester

Haris Seferovic

Haris Seferovic: Glänzender Einstand bei Benfica.

Alles deutet daraufhin, dass der Schweizer Nationalspieler im Joggeli von Beginn an auflaufen darf – zu seinem ersten Klubspiel auf Schweizer Boden, seit er am 11. Dezember 2011 bei Xamax Neuchâtel just gegen den FC Basel für die letzte Minute eingewechselt wurde (Endstand 1:1). Die Odyssee seiner Karriere hat den 25-Jährigen nun nach Lissabon verschlagen, und wie meistens bei ihm verlief der Start vielversprechend. Seferovic traf in den ersten vier Pflichtspielen und hätte mit einem weiteren Tor im fünften sogar einen Klubrekord des portugiesischen Idols Eusébio und des Spaniers Nolito egalisiert. Es sollte nicht sein, seither war er nur noch beim unglücklich 1:2 verlorenen Champions-League-Auftakt gegen ZSKA erfolgreich. Trainer Rui Vitória hält zuletzt trotzdem weiter an ihm fest, er schätzt nicht zuletzt seine Beweglichkeit.

Raúl Jimenez

Raul Jimenez, die teuerste Verpflichtung von Benfica (hier mit Jonas).

Es ist schon ironisch: Der Mexikaner ist der teuerste Transfer in Benficas Klubgeschichte und war trotzdem noch nie Stammspieler. 2015 kam er für 22 Millionen Euro von einer Statistenrolle bei Atlético Madrid. In Lissabon musste er sich zunächst hinter Kostas Mitroglu anstellen und nun hinter Seferovic. Der 26-Jährige hat sich trotzdem nie entmutigen lassen und schon viele wichtige Jokertore erzielt. Nachdem er auch bei seinem einzigen Startelfeinsatz in dieser Saison zum 1:1 im Pokal gegen Braga traf, mehren sich die Forderungen, ihn öfter von Anfang an zu bringen. Die Statistiken haben seine Fans auf ihrer Seite: In den letzten zwölf Partien, zu denen er beim Anstoss auf dem Platz stand, traf Jiménez elf Mal.

Gabriel Barbosa «Gabigol»

Gabigoal» – der Übername für Gabriel Barbosa (unten), die nächste brasilianische Sturmhoffnung.

Privat läuft es ganz gut für den 21-jährigen Brasilianer: den Sommer verbrachte er im Liebesurlaub mit Neymars Schwester Rafaella. Auf dem Platz allerdings ist eine Karriere, die ihm eigentlich einen festen Platz in der Nationalelf neben dem Bruder seiner Freundin bescheren sollte, schwer ins Stocken geraten. Nach Gold bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro wechselte «Gabigol» für 30 Millionen Euro zu Inter Mailand. Ein Tor in nur zehn Spielen war die magere Bilanz seiner ersten Saison in Europa. Im Sommer boten ihn die Italiener daraufhin dem halben Kontinent zur Ausleihe an. Benfica schlug nach dem Verkauf von Mitroglu an Olympique Marseille schliesslich zu. 89 Minuten als Einwechselspieler stehen seitdem zu Buche, nennenswerten Eindruck hat Gabriel dabei noch nicht hinterlassen.

https://tageswoche.ch/sport/benfica-haelt-sich-mehr-oder-weniger-fuer-goettliches/

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