Der FCB liefert 2017 eine volle Ladung Emotionen

Viel mehr an Umwälzung und Gefühlswallung als sie der FC Basel geboten hat, lässt sich kaum vorstellen. Wir zeichnen das rotblaue Jahr nach und betrachten ein paar Tage im September genauer, als die neue Klubführung auf die Probe gestellt wurde und der Zündstoff parat lag.

Schrieb die Geschichte am 23. September entscheidend mit: Dimitri Oberlin erzielte gegen seinen Ex-Club das Siegtor beim 1:0 des FCB gegen den FCZ.

Wer es mit dem FC Basel hält, ob als Fan oder Sympathisant, als Nachrichtenmakler oder stiller Beobachter, der hat im Jahr 2017 so viel an Gesprächsstoff, an Unterhaltung und Gefühlswallung geboten bekommen wie kaum je zuvor.

Keine Woche verging ohne Nachschub. Das fing schon damit an, dass dem FCB der achte Meistertitel, ganz pragmatisch betrachtet, nicht mehr zu nehmen war, bevor im Februar der erste Ball gespielt wurde.

Dann platzte Mitte des Monats die Bombe mit der Ankündigung des kollektiven Rücktritts der Klubleitung. Und drei Tage später legte diese abtretende Führung dar, wie es zu einem neuerlichen Rekordumsatz gekommen war.

Anfang April, nach der ausserordentlichen Generalversammlung und der Präsentation des neuen Mehrheitsaktionärs Bernhard Burgener, war klar, dass Meistertrainer Urs Fischer im Juli Geschichte sein würde.

Es gab noch ein paar Nebengeräusche wie die schwierige Installation von Burgeners Statthalter in der Geschäftsstelle oder das Misstrauensvotum der Vereinsmitglieder gegen Jean-Paul Brigger. Dann feierte Basel routiniert und sehr zum Verdruss der Restschweiz den Ausbau der Meisterserie auf acht Titel mit Rekordpunktzahl.

Zum guten Schluss gab es als Sahnehaube das beste Spiel der Saison 2016/17: Das Cupmonster FC Sion wurde besiegt. Anschliessend lag sich tout Bâle in den Armen bei einer Strassenparade, wie sie die Stadt mit ihrem stets aufgeregt pochenden rotblauen Herz noch nicht gesehen hatte.

Soweit Teil eins der (nicht enden wollenden) Erfolgsstory des FC Basel.

Frischer Wind statt Weltuntergang

Gleichzeitig wurden im Hintergrund die Weichen für den grössten Einschnitt gestellt, den der FC Basel in den letzten 20 Jahren erlebt hat. Die einen freuten sich auf «frischen Wind für die festgefahrene Erfolgsmaschinerie» (Kurvenmagazin «Schreyhals»), andere sahen den rotblauen Weltuntergang kommen und nicht wenige machten sich auf das gefasst, was der neue Präsident Bernhard Burgener einerseits mit «ich bin nicht Mäzen, sondern Unternehmer» sowie mit «wir wollen mehr Unterhaltung» umschreibt.

Lust auf etwas Neues: Fans des FC Basel, hier die Muttenzerkurve.

Nach dem ersten halben Jahr unter neuer Leitung dürfen sich diejenigen, für die das Glas halbvoll ist, bestätigt fühlen. In den Champions-League-Nächten kehrte die Magie in den St.-Jakob-Park zurück. Trainer Raphael Wicky und seine Mannschaft, die im Kern immer noch derjenigen von Urs Fischer gleicht, schlugen sich so gut wie keine Vorgänger und durchquerten die Gruppenphase mit Rekordpunktzahl Richtung Achtelfinals.

Im Cup steht der FCB wieder in den Halbfinals und in der Meisterschaft spüren die Young Boys den heissen Atem des Serienmeisters im Nacken.

«Was mache ich verkehrt?»

Aber der neue FCB hat auch eine erste Erschütterung hinter sich. Und was in den drei Tagen zwischen der Niederlage in St. Gallen am 20. September und dem Heimsieg gegen den FCZ in Büros und Kabine des FCB vor sich ging, das zeichnen die Beteiligten durchaus unterschiedlich nach: Clubobere, erfahrene Spieler, der Trainer und der Sportchef – jeder hat seinen eigenen Blick darauf. Das klingt dramatisch bei Jean-Paul Brigger, alarmierend bei Michael Lang und beschwichtigend bei Marco Streller.

Fühlte sich auch im Moment der ersten Erschütterung nicht in Frage gestellt: FCB-Trainer Raphael Wicky.

Fakt ist, dass es eine Ergebniskrise gab, die schon vier Wochen zuvor mit einem mageren 1:1 daheim gegen den FC Lugano begonnen hatte. Beunruhigt war da noch niemand, auch nicht eine Woche später nach dem gleichen Resultat in Sion, weil der FCB den Gegner in der ersten Halbzeit eindrucksvoll an die Wand gespielt, dabei aber das Toreschiessen vergessen hatte.

Dann folgte die niederschmetternde Heimniederlage gegen Lausanne, nach der sich Raphael Wicky von seinem Pendant Fabio Celestini anhören musste, seine Mannschaft habe gewonnen, obwohl sie die schlechteste Leistung seit Jahren in Basel abgeliefert hätte. Und Wicky fragte sich in jener Nacht im vertrauten Kreis: «Was mache ich verkehrt?»

Fussballerisches Krisengebiet

Drei Tage später gab es bei Manchester United die Startniederlage in der Champions League, die zu erwarten gewesen war. Wicky pochte trotz des klaren Verdikts von 0:3 darauf, viele gute Sachen von seiner Mannschaft gesehen zu haben. Eine Einschätzung, die sich im weiteren Verlauf dieser Kampagne auf erstaunliche Weise bewahrheiten sollte.

Daheim in der Schweiz, im Cup, schickte Wicky wiederum vier Tage später in Chiasso eine Startelf auf den Platz, deren Komposition unmissverständlich signalisierte: jetzt bloss nicht ausscheiden. Nicht die dritte Niederlage en suite kassieren, nicht fünf Spiele ohne Erfolgserlebnis bleiben.

Dazu brauchte es im Stadio Communale dann ein paar glückliche Umstände. Erst geriet die Mannschaft in bedrohliche Rücklage durch Eder Balantas Platzverweis. Eine Tätlichkeit, die auch mit dem strapazierten Nervenkostüm im FCB zusammenhängen könnte. Dann wurde Cedric Itten eingewechselt und erzielte 20 Minuten später das Tor des Tages.

Unter der Woche hatte der FC Basel Itten zurückgeholt, auch als Reaktion auf die späte Erkenntnis, dass die noch jüngeren Stürmer Neftali Manzambi und Afimico Pululu noch nicht so weit sind, schon gar nicht in einer sich zuspitzenden Phase. Vier Tage nur lagen zwischen Ittens eiliger Rückkehr von der Leihstation Luzern und diesem kapitalen Treffer im Tessin, der den FCB als Titelverteidiger im Cupgeschäft hielt und weitere Diskussionen erstickte.

Für exakt drei Tage. Dann folgte St. Gallen und eine weitere Niederlage (1:2), woraufhin man bereit war, das Rheinknie endgültig zum fussballerischen Krisengebiet auszurufen.

«Unterirdisch»

Und zwar nicht nur, weil der FCB den schwächsten Saisonstart seit Menschengedenken hingelegt hatte und die Young Boys an der Tabellenspitze zu enteilen drohten. Die Kritik richtete sich auch gegen die neue Klubführung, von der im ersten schwierigen Moment nichts zu sehen und zu hören war.

Jean-Paul Brigger, der in seiner Funktion als Delegierter des Verwaltungsrates in St. Gallen im Stadion gesessen war, hat das im Nachgang mit der Sicht des ehemaligen Profis beurteilt: «Die erste Halbzeit war unterirdisch. Stellen Sie sich vor, ich hätte an diesem Abend geredet, aus der Emotion heraus – das wäre ein Fiasko geworden.»

Entgegen der öffentlichen Anschauung fühlte sich Raphael Wicky in jenen Tagen nicht alleingelassen von seinen Vorgesetzten. Sagt er zumindest in seiner Halbjahresbilanz. Und er sah auch seinen Job nicht gefährdet: «Diesen Eindruck hat mir Marco Streller nie vermittelt. In St. Gallen waren erst acht Runden vorbei. Wenn du ein neues Projekt beginnst und nach so kurzer Zeit den Trainer freistellst – dann vertrittst du deine Visionen nicht mit viel Glaubwürdigkeit.»

«Nie alles in Frage gestellt»

Aber da gab es drei Tage später dieses Interview. Bernhard Burgener beruft sich im Nachhinein darauf, sich herausgenommen zu haben, «einmal eine Halbzeit öffentlich kritisiert» zu haben. Obgleich er das Spiel in St. Gallen lediglich vor dem TV-Gerät verfolgt hatte, wählte er gegenüber dem «Blick» Worte, die man so aus der Teppichetage des FCB nicht gewohnt war: Als «leidenschaftslos und fast schon überheblich» geisselte er die Leistung in der ersten Halbzeit (0:2), eine «grosse Enttäuschung» sei das für ihn und: «So geht das nicht. Wir dürfen so nicht weitermachen.»

«Gegenseitig bestärkt» –
FCB-Präsident Bernhard Burgener (links) und sein Sportdirektor Marco Streller.

Der «Blick» wäre nicht Boulevard, hätte er nicht eine knackige Schlagzeile aus Burgeners Tirade herausgefiltert: «Jetzt müssen Wicky und die Spieler liefern!»

War Burgener sich bewusst, welche brandbeschleunigende Wirkung dieser Satz barg?

Marco Streller glaubt: ja. Der Sportdirektor, der Burgener erst im Frühjahr näher kennengelernt hat, als es darum ging, den richtigen Nachfolger für die Aktienmehrheit der FC Basel Holding AG zu finden, ist sicher, dass Burgener sich sehr überlegt geäussert hat. Man habe in den Tagen zwischen St. Gallen und dem Zürich-Spiel intern kontrovers diskutiert, «aber wir haben nie alles in Frage gestellt. Wir waren und wir sind von unserem Weg total überzeugt.»

Der Held muss leiden

Dann kam der 23. September. Der Abend eines milden und sonnigen Herbsttages, an dem nun also geliefert werden musste. 29’584 Zuschauer waren im Joggeli, darunter auch ein besorgter Ehrenpräsident Bernhard Heusler, der von seiner auf Lebenszeit ausgestellten Dauerkarte Gebrauch machte.

Botschaft der FCB-Fans an ihre Mannschaft vor dem Anpfiff des wegweisenden Spiels gegen den FCZ am 23. September.

Die Mannschaft liefert: den vom Trainer verlangten Kampfgeist und Zweikampfbiss. Sie spielt: ordentlich. Sie hat Glück, dass der FCZ seine Chancen nicht verwertet und der Schiedsrichter einen Treffer von Dimitri Oberlin, dem ein diskutables Foul von Marek Suchy vorausging, als Siegtreffer anerkennt.

Viel hat also nicht gefehlt, um die gefährliche und unkontrollierbare Eigendynamik, die in einem einzigen präsidialen Satz steckte, in Gang zu setzen. Eine Rhetorik, wie sie die FCB-Gemeinde in der Ära von Gigi Oeri nicht gewohnt war, und schon gar nicht in der von Bernhard Heusler. Ein Vorgehen, das dem Drehbuchspezialisten Bernhard Burgener offenbar leichter fällt. «In jedem Erfolgsfilm, bei jeder grossartigen Heldengeschichte», lautet einer seiner Lieblingsvergleiche, «muss der Held auch leiden.» In Burgeners Welt «scheint mal die Sonne, und mal regnet es».

Medienabstinenz als Selbstschutz

Streller räumt ein, damals im September nicht gut geschlafen zu haben. «Noch mehr weh getan als die Niederlage in St. Gallen haben mir die Punktverluste daheim gegen Lugano und Lausanne. St. Gallen hat dann etwas ausgelöst, und was dann innerhalb einer Woche bis zum 5:0 gegen Benfica passiert ist, das ist etwas, was im Fussball oft nicht zu erklären ist.»

Raphael Wicky war zu jenem Zeitpunkt seit 84 Tagen erstmals Trainer einer Profimannschaft. Er bezeichnet sich als medienabstinent und begründet dies mit einer Art Selbstschutz: «Das wäre nur eine zusätzliche Belastung.» Von Burgeners Forderung mit dem ultimativen Unterton will er sogar erst nach dem Zürich-Spiel erfahren haben. «Dieser Satz wurde mir später zugetragen. Aber das musste ich nicht lesen. Mir war selber klar, dass ich liefern muss.»

OP-Saal, Fegefeuer und der hypothetische Raum

Natürlich lässt sich hinterher niemand mehr gross auf die Äste hinaus, was die Einschätzung des späten September angeht. Michael Lang hat es im Interview mit der TagesWoche allerdings doch recht deutlich gemacht: «Es ist unruhig gewesen, im Verein, in der Mannschaft und im Umfeld. Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn wir dieses Heimspiel gegen Zürich verloren hätten.»

https://tageswoche.ch/sport/haetten-wir-gegen-zuerich-verloren-ich-will-nicht-wissen-passiert-waere/

Jean-Paul Brigger hat in einer Talkrunde beim «Teleclub» noch drastischer geurteilt: «In St. Gallen waren wir klinisch gesehen im Operationssaal. Wir sind danach vielleicht nicht durch die Hölle gegangen, aber wir sind nahe am Fegefeuer gewesen.» Was passiert wäre, hätte Raphael Wicky das Spiel gegen Zürich nicht gewonnen? Brigger hat diese Frage gekontert mit einem Brigger-Lächeln: «Es ist aber nicht passiert.»

Marco Streller pocht darauf, dass man sich in jenen Septembertagen gegenseitig bestärkt habe: er, der Sportdirektor, der Präsident, der Trainer. Alles andere bleibt im hypothetischen Raum stehen. Und interessiert schon nicht mehr nach all dem, was sich an fussballerischer und emotionaler Zuspitzung anschloss in den Wochen danach. Oder, wie es Streller ausdrückt: «Mehr liefern kann man gar nicht.»

https://tageswoche.ch/rotblaulive/

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