Michael Lang, gibt es eigentlich eine Lebensplanung abseits des Fussballplatzes?
Viele müssen sich wegen des Jobs überlegen, ob es finanziell reicht, um eine Familie gründen zu können. Einige Fussballer machen sich eher Gedanken über den richtigen Zeitpunkt für eine Familie. Ein Vereinswechsel kann schwierig werden, wenn einer Familie hat, dann risikiert er allenfalls weniger. Und vielleicht macht man dann nicht die Karriere, die möglich gewesen wäre. Für mich ist klar, dass man als Familie auf alle Rücksicht nimmt und gemeinsam Entscheidungen trifft.
Dieses Hindernis haben Sie nicht.
Stimmt, ich könnte in die USA wechseln.
Was sportlich vielleicht nicht sehr interessant ist. Aber Sie erinnern uns daran, dass Sie mal gesagt haben, ihn Ihnen schlummere ein Abenteurer.
Der kommt dann nach der Karriere hervor (lacht). Ich bin gerne unterwegs, entdecke gerne, sehe gerne neue Dinge in der Welt. Auf der anderen Seite widerspiegelt das nicht meine Karriere, ich war ja immer in der Schweiz. Diese Aussage bezieht sich also nicht auf den Fussball, sondern auf das sonstige Leben. Den Abenteuerlustigen kann man als Fussballer fast nicht ausleben, da müssen viele Dinge hinten anstehen. Zum Karrierenende kann ich mir allerdings gut vorstellen, in den USA Fussball zu spielen. Aber ich will immer das Beste herausholen.
Sportlich oder finanziell?
Beides. Wenn ich voll auf das Finanzielle setzen würde, wäre ich längst im Ausland. Auf der anderen Seite kann ich mir nach der Karriere mit Meistertiteln kein Essen kaufen. Schlussendlich spielt man Fussball, weil es eine Leidenschaft ist, aber das Geld spielt eben auch eine Rolle. Am Ende der Laufbahn möchte man etwas auf der Seite haben.
«Aufgrund meiner Situation in Basel waren die Angebote für einen Wechsel einfach nicht gut genug.»
Wohin hätten Sie denn wechseln können?
Es gab schon einige Gelegenheiten, nach Italien, in die Türkei, England war mal kurz ein Thema. Und wenn ich mit meinem Vater über einen möglichen Wechsel rede, dann sieht er mich zurzeit lieber in Deutschland als in der Türkei, da kann ich ihm noch so sagen, es sei auch in der Türkei sicher. Vor zweieinhalb Jahren war Fiorentina im Winter ein Thema, da wäre es für mich zum ersten Mal in Frage gekommen. Zudem gab es diesen Sommer wieder Möglichkeiten.
Und?
Aufgrund meiner Situation beim FCB waren diese Angebote einfach nicht gut genug. Wäre ich bei einem anderen Schweizer Verein gewesen oder hätte ich in Basel keine Lust mehr gehabt, hätte ich wechseln müssen. Gehen Sie einfach davon aus, dass nicht alles gepasst hat bei diesen Angeboten. Und in Basel habe ich eine hervorragende Situation. Aber ich habe jetzt 250 Super-League-Spiele gemacht, da liegt es auf der Hand, dass es einen Fussballer reizt, auch mal eine andere Liga zu sehen.
Mit dem Zögern beim Wechsel laufen Sie allerdings Gefahr, dass Sie irgendwann vielleicht Rekordspieler in der Super League sind, aber nie den Schritt ins Ausland gewagt haben.
Das ist keine Gefahr. Ich habe immer wieder einen Schritt gemacht. Und wenn ich sechs, sieben Jahre beim FCB war, dann bin ich doch zufrieden, mehr jedenfalls, als nach einer Karriere, in der ich Jahr für Jahr bei einem neuen Verein bin. Und: Was ist denn der nächste Schritt? Ist es ein Wechsel zu Hannover? Von der Liga her ist es ein Schritt, vom Verein her vielleicht nicht. Ich war am 31. August jedenfalls nicht am Boden zerstört, dass es keinen Wechsel gegeben hat.
Im Februar werden Sie 27. Ganz jung sind Sie nicht mehr.
Deswegen bringt für mich ein Zwischenschritt zu einem kleineren Verein auch nichts. Grundsätzlich müsste es also ein Wechsel zu einem grösseren Club sein. Ich bin jedenfalls kein Talent mehr, und auch kein Spieler, den man für drei bis vier Millionen holen und dann für 20 verkaufen kann. Das ist mir bewusst. Nur: Mannschaften, die nur 21-jährige Spieler haben, können keinen Erfolg haben. Es braucht auch Fussballer mit Erfahrung.
Sie sind in der Nationalmannschaft hinter Stephan Lichtsteiner die Nummer 2 auf der Position des rechten Aussenverteidigers. Inwiefern ist das ein Hindernis für einen Transfer?
Das spielt wohl auch eine Rolle. Wenn du Stammspieler in der Nationalmannschaft bist, ist das ein grosses Plus bei einem Transfer. Ich hatte das Glück, an einer EM und einer WM dabei zu sein, aber eben nicht als Stammspieler.
Die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland ist mit der Barrage doch noch schwierig geworden.
Vom Namen her ist Nordirland der einfachste Gegner. Aber jene, die das immer wieder sagen, kennen keinen Spieler der Nordiren. Die wissen nicht einmal, in welcher Gruppe sich die Nordiren für die Barrage qualifiziert haben. Die haben sechs Tore kassiert, fünf davon gegen Deutschland.
Liess sich die Schweizer Mannschaft blenden von neun Siegen in Serie?
Nein, wir können das richtig einschätzen. Aber ist es normal, dass wir gegen Ungarn gewinnen?
Schauen Sie, in welchen Ligen die Schweizer spielen. Dann sagen wir: Gegen Ungarn müssen Sie gewinnen.
So können Sie nicht argumentieren. Wir spielen ja nicht mit einer Clubmannschaft.
«Im Playoff gegen Nordirland geht alles über die Mentalität: Laufbereitschaft, Kampfbereitschaft.»
Klar, die Qualität einer Nationalmannschaft ist nicht die Summe der Arbeitgeber der Spieler. Aber die Clubs der Schweizer Nationalspieler sind Indiz dafür, dass die individuelle Klasse besser ist als jene der Ungarn.
Trotzdem hat sich die Mannschaft nicht von neun Siegen in Serie blenden lassen. Uns war bewusst, dass es nichts bringt, wenn wir uns deswegen feiern lassen und dann das letzte Spiel verlieren. Aber ja, wir hatten das Selbstverständnis, Portugal auch ein zweites Mal schlagen zu können.
Was ist denn jetzt gefragt gegen Nordirland?
Da geht alles über die Mentalität: Laufbereitschaft, Kampfbereitschaft. Wenn wir gleich viel laufen und kämpfen wie der Gegner, dann gewinnen wir, weil wir fussballerisch mehr Qualität haben. Wenn wir mehr laufen und mehr kämpfen, dann ist der Fall sowieso klar. Aber das ist jetzt einfacher gesagt als getan. Vor allem auswärts wird das eine sehr schwierige Sache.
Wenn es nach Papierform läuft, qualifiziert sich die Schweiz für die WM. Lichtsteiner wird dann das Turnier in Russland wohl noch spielen. Sie werden also frühestens 2022 in Qatar eine WM als Stammspieler erleben, im Alter von 31 Jahren.
Gedanken über derart lange Zeitabschnitte mache ich mir nicht. Das kommt wahrscheinlich dann, wenn man nach der Karriere zurückschaut. Dann denkt man vielleicht, es wäre mehr möglich gewesen. Nicht wegen der fussballerischen Qualität, sondern einfach deswegen, weil die Position besetzt war. Schauen Sie sich mal Roman Bürki an: Er spielt in Dortmund, bei einem der besten Vereine der Welt, und er ist in einem kleinen Land wie der Schweiz nicht einmal Stammtorhüter. Manchmal ist es brutal.
«Der Sieg in Moskau ist für mich eindrücklicher als das 5:0 gegen Benfica Lissabon.»
Was hat sich denn in Basel für Sie im Sommer geändert?
Als Vizecaptain habe ich viel mehr Verantwortung. Fussballerisch sind wir flexibler worden. Zudem kassieren wir inzwischen kaum mehr Tore und haben mehr Schnelligkeit im Spiel als die letzten zwei Jahre. Es braucht allerdings einen Mix, nur Konterspieler reichen natürlich nicht. Letztes Jahr hatten wir Marc Janko, der war zwar nicht schnell, hat aber seine Tore gemacht und war wichtig. Auf den Aussenbahnen ist das Spiel inzwischen nicht mehr unbedingt auf mich zugeschnitten, was es aber auch nicht sein muss. In den Jahren zuvor lief viel über die Aussenverteidiger.
Sie kommen seltener bis an die Grundlinie.
Stimmt. Der Trainer sagt mir nicht: «Geh nicht nach vorne.» Aber in einer schwierigen Phase wie zu Saisonbeginn überlegt man sich immer wieder: Soll ich jetzt nach vorne gehen und hinterlasse Lücken hinten? Klar hätte ich gerne mehr Skorerpunkte, und ich würde dann vielleicht auch befreiter aufspielen. Aber mein Hauptaugenmerk gilt der Defensive.
Und Ihr bislang einziges Tor, das 1:0 gegen Lissabon, war der Türöffner für den höchsten Sieg des FC Basel in der Champions League.
In diesem Spiel hat einfach alles zusammengepasst. Aber der 2:0-Sieg in Moskau ist für mich eindrücklicher als das 5:0 gegen Lissabon. Wie wir in Russland gespielt haben, nach vergebenen Chancen, nach dem aberkannten Tor, mit all den Rückschlägen, da sind wir einfach cool geblieben.
«Mit dem Benfica-Spiel als Massstab muss man zum Schluss kommen, dass wir mutiger sind.»
Spielt denn der FCB so anders in der Champions League als letztes Jahr?
Wenn wir das Benfica-Spiel als Massstab nehmen, dann muss man zum Schluss kommen, dass wir mutiger sind. Aber ein frühes Tor wie gegen Lissabon stärkt natürlich auch den Glauben mehr, als wenn man 45 Minuten keinen Ball sieht, wie gegen Arsenal in der ersten Halbzeit letzte Saison.
Die Mannschaft hat sich seit Saisonbeginn nochmals verändert. Mit Albian Ajeti kam Power dazu. Ist es für Sie erstaunlich, dass Ricky van Wolfswinkels verletzungsbedingter Ausfall so schnell kein Thema mehr ist?
Ohne Ajetis Rückkehr wäre der Ausfall ein grösseres Thema geblieben. Ricky fehlt uns natürlich immer noch, mit ihm hätten wir wesentlich mehr Optionen. Vergessen haben wir ihn jedenfalls nicht. Er hat schliesslich eine gute Torquote.
Wenn man die Elfmetertore mitzählt, dann stimmt das. Könnten Sie eigentlich Penaltys schiessen?
Könnte ich. Aber das soll ein Offensivspieler machen.
Warum?
Weil sie kaltblütiger sind. Weil sie besser schiessen als Verteidiger. Und ein Stürmer kennt die Situation Eins-gegen-Eins mit dem Torhüter besser als ein Verteidiger.
Am Dienstagabend könnte der FCB mit einem Sieg gegen ZSKA Moskau bereits als Achtelfinalist feststehen. Das hätten Sie sich vor ein paar Wochen wohl kaum träumen lassen?
Natürlich nicht. Vor allem, weil es eine schwere Gruppe ist, wenn man Moskau aus dem vierten Topf bekommt. Deshalb wäre es sensationell, nach vier Spielen für die Achtelfinals qualifiziert zu sein. Stellen sie sich das mal vor. Aber wir sollten mit einer Reaktion des ZSKA rechnen. Das Spiel ist ihre letzte Chance.
Und in der Super League lässt der FCB nun einfach den Ball nicht mehr rein?
Es ist schon speziell, was für eine Woche auf uns zukommt mit dem FC Zürich, Moskau und dann daheim gegen YB. Drei Spiele, die wir unbedingt gewinnen müssen.
Spricht da aus Ihnen wieder das alte Selbstverständnis des FC Basel?
Im Wissen, dass wir uns in der Meisterschaft keinen Ausrutscher mehr erlauben dürfen. Und wir wissen, dass wir in der Champions League eine Riesenchance besitzen. Lieber machst du es am vierten Spieltag klar, als im fünften und sechsten Spiel noch Punkte zu benötigen.
So reden sogenannte grosse Mannschaften von sich.
Wir haben es uns mit den beiden Siegen gegen Benfica und Moskau erarbeitet, dass wir nun so reden dürfen.
«Es ist unruhig gewesen, im Verein und im Umfeld. Aber schlussendlich haben wir alles richtig gemacht.»
Ist der FCB unter Raphael Wicky denn nun schon so gefestigt, dass man gefeit vor Rückschlägen ist?
Wir hatten schon Rückschläge in dieser Saison. Es war schwierig vor dem Spiel gegen Zürich. Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn wir dieses Heimspiel verloren hätten.
Was hätte denn passieren können?
Ich weiss es nicht und ich will es auch nicht wissen. Es ist unruhig gewesen, im Verein, in der Mannschaft und im Umfeld. Wir waren uns der Situation bewusst. Aber schlussendlich haben wir in diesem Moment alles richtig gemacht. Wir haben nicht alles in Frage gestellt und nicht alles verändert. Gewisse Sachen sind angesprochen worden, und wir haben die Ruhe bewahrt.
Sind Sie erschrocken, als Präsident Bernhard Burgener nach dem St.-Gallen-Spiel forderte: «Jetzt müssen Wicky und die Mannschaft liefern»?
Was heisst schon erschrocken im Fussball? Es ist das gute Recht unseres Präsidenten, seine Meinung kundzutun.
Obwohl er gar nicht selbst beim Spiel in St. Gallen war?
Es ist schwer für mich als Spieler, darauf eine gescheite Antwort zu geben.
Aber wir halten fest, dass intern eine grössere Unruhe, ein grösserer Druck geherrscht hat, als man es von Aussen wahrnehmen konnte?
Davon kann man ausgehen. Man hinterfragt sich, wenn man daheim gegen Lausanne verliert und dann in St. Gallen eine katastrophale erste Halbzeit abliefert und wieder verliert. Dann fragt man sich auch als Mannschaft: Was ist los? Aber zum Glück sitzen wir jetzt hier, nachdem es in den letzten sechs, sieben Spielen sehr gut gelaufen ist.
Sie haben mit 16 Jahren beim FC St. Gallen ihr Debüt in der Super League gegeben und gerade Ihr 250. Spiel absolviert. Warum sind Sie – mit Ausnahme eines Muskelfaserrisses zum Ende Ihrer ersten Basler Saison – eigentlich nie verletzt? Machen Sie etwas besonderes in der Prävention?
Ich schaue auf meinen Körper, arbeite mit den Physiotherapeuten, achte darauf, dass ich genügend Schlaf habe. Es passt im Augenblick beim FC Basel alles sehr gut zusammen. (klopft dreimal auf den Holztisch)
«Ich esse schon noch Fleisch, habe den Konsum aber sehr reduziert.»
Und die Ernährung? Sie haben einmal erzählt, dass teures und gesundes Essen zum Luxus gehört, den Sie sich leisten. Was heisst das konkret?
Teuer muss natürlich nicht unbedingt gesund sein. Was bedeutet heute denn gesunde Ernährung? Ist Fleisch gesund?
In Massen genossen wahrscheinlich schon, und vor allem dann, wenn man weiss, wo die Tiere herkommen und wenn sie sorgsam gehalten und geschlachtet wurden.
Ich esse schon noch Fleisch, aber ich habe den Konsum sehr reduziert. Ich habe gelesen, dass es jetzt ein Wort dafür gibt, wenn man versucht, sich zwanghaft gesund zu ernähren (Orthorexie). Da kann man nicht mehr im Restaurant sitzen ohne sich tausend Gedanken darüber zu machen: Was kann ich noch essen. Wenn man zu niemanden mehr zum Abendessen eingeladen werden kann, ohne zu wissen, was dort auf den Teller gezaubert wird. So bin ich definitiv nicht. Aber ich setze mich mit meiner Ernährung auseinander. Denn schlussendlich ist ja das Geld, das ich für Essen ausgebe, Geld, das ich in meinen Körper pumpe.
Kochen Sie denn gerne?
Mit meiner Freundin schon. Aber nicht für mich alleine. Für sich zu kochen und dann alleine am Tisch zu sitzen – macht das Spass?