Es hatte eine kleine, versteckte Symbolik, als am Samstagabend, weit nach Spielschluss, der Meisterpokal von einem Mitarbeiter der Liga aus dem Basler Kabinentrakt getragen wurde. Reicht schon eine Niederlage, um die vergoldete Trophäe abgeben zu müssen?
Beim FCB trösteten sie sich mit der Floskel, dass es ja noch 35 Runden seien bis zur Endabrechnung. Am 19. Mai kommenden Jahres wollen sie den Pokal wieder in Basel in die Höhe stemmen, und die einzigen, denen zugetraut wird, dies ernsthaft verhindern zu können, sind die Young Boys.
Deshalb steckt in diesem Auftaktspiel auch eine gewisse Bedeutung. Mit einem reichlich nutzlosen Brimborium waren die Minuten bis zum Anpfiff der neuen Spielzeit heruntergezählt worden, und etwas gar royal hatte Claudius Schäfer, der CEO der Swiss Football League, die Saison «offiziell für eröffnet» erklärt. Anschliessend bekam die Fussballschweiz, auf was sie insgeheim gehofft hatte: Der Serienmeister erhält einen Schuss vor den Bug und verliert 0:2.
Damit ziert Basel erstmals seit dem 12. Juli 2009 das Tabellenende, zumindest für eine Nacht. In Bern blendeten sie – sehr zur Freude des Publikums im seit Fertigstellung 2005 erst zum zehnten Mal ausverkauften Stade de Suisse – die Blitztabelle ein. YB drei Punkte vor dem FCB – wer kann sich an eine solche Ungeheuerlichkeit noch erinnern?
In der Wohlfühlzone
Natürlich muss man sich aus Basler Perspektive noch keine Sorgen machen. Selbst wenn der Auftritt weit entfernt von überzeugend war, so war er auch nicht abgrundtief schlecht. Der Meister hat seine PS nicht auf Berner Kunstrasen gebracht, und das ist ihm in den zurückliegenden Jahren an dieser Stelle immer wieder passiert. Die einzigen beiden Niederlagen der vergangenen Saison kassierte er ebendort.
Nun kann man darüber debattieren, ob es kleinmütig war von Raphael Wicky, mehr oder weniger alles so zu belassen, wie es bislang war. Bis auf Blas Riveros (Linksverteidiger für den ausgemusterten Adama Traoré) und Ricky van Wolfswinkel als Angriffsspitze war es die Cupsiegerelf von Genf, die in Bern dem Herausforderer gegenüber trat. In der unter Vorgänger Urs Fischer eingefleischten 4-2-3-1-Grundordnung.
Der neue FCB-Trainer gab eine durchaus einleuchtende Begründung dafür ab, warum er auf ein in der Vorbereitung intensiv eingeübtes 3-5-2 verzichtet hatte: «Ich habe mich Mitte der Woche für das System entschieden und das mit dem Staff besprochen. Wir haben uns gesagt, dass die Mannschaft zwei Jahre in diesem System gespielt hat und sich darin wohl fühlt.» Aus dieser Wohlfühlzone heraus präsentierte sich der FCB in Bern jedoch nicht zupackend genug.
Nebst Experimentierfreude verzichtete Wicky auch auf ein sichtbares Bekenntnis zum Jugendstil
Nervös tigerte Wicky während seines Premierenspiels als Cheftrainer in und ausserhalb seiner Coachingzone. Er erzählte hinterher: «Natürlich ist es etwas anders als bei den Junioren. Wenn 30’000 Menschen im Stadion sind, kannst du nicht einfach dem Spieler auf der anderen Seite etwas mitteilen. Aber ich habe es sehr genossen, einfach der Abschluss war nicht so, wie wir uns das gewünscht hatten.»
Nebst systematischer Experimentierfreude verzichtete Wicky auch auf ein sichtbares Bekenntnis zum neu ausgerufenen Jugendstil beim FC Basel. Der während den Vorbereitungswochen hochgelobte Dominik Schmid kam gar nicht zum Einsatz und Kevin Bua und Dereck Kutesa brachte er erst, als die Felle schon davonschwammen.
Nach dem Rückstand und der Umstellung auf die vieldiskutierte Dreierkette in der Abwehr und zwei Stürmer hatte sich der FCB gerade sortiert, als Miralem Sulejmani seine starke Vorstellung mit einem Freistoss-Kunstschuss krönte und damit den Unterschied an diesem Abend klar machte: Die keineswegs überirdischen Berner waren mit mehr Überzeugung auf dem Platz unterwegs.
Brotloser Basler Ballbesitz
Was die Basler im Nachgang bedenken sollten: Sowohl in der alten Grundordnung, in der sich die Mannschaftsteile ballorientierter verschoben als noch vergangene Saison, wie auch nach dem Systemwechsel waren sie die dominierende Mannschaft. Am Ende resultierten 62 Prozent Ballbesitz, die klareren Chancen und damit einen verdienten Sieg indes erarbeitete sich YB.
Symptomatisch war, dass Michael Lang als Aussenverteidiger der Spieler mit den meisten Torschüssen (drei) war. Vom Rest kam so gut wie gar nichts in Zone 3, also dem vordersten Drittel. Ricky van Wolfswinkel war ein blasser Janko-Doumbia-Ersatz, und Renato Steffen, Mohamed Elyounoussi, oder andere Leistungsträger wie Luca Zuffi oder Matias Delgado waren Schatten ihrer selbst.
Und nicht gefeit war der Meister mit all seinem Selbstverständnis davor, nach dem Rückstand vorübergehend die Kontrolle über sein Spiel zu verlieren.
Marco Streller: « Nichts macht mir Sorgen»
Als sich Marco Streller nach ein paar gedankenverlorenen, in sich versunkenen Momenten nach Abpfiff aufgerichtet hatte, gab er den unbekümmerten Sportchef: «Nichts macht mir Sorgen. Ich bin entspannt.» Auch wenn sich die Niederlage nicht gut anfühle, so habe er doch «gute Sachen gesehen».
Ein Versprechen, dass Streller bei seiner Präsentation als Nachfolger von Georg Heitz abgelegt hatte, ist fürs erste aber schon mal erfüllt: Die Meisterschaft solle wieder etwas spannender werden, meinte Streller damals, als der FCB mit uneinholbarem Vorsprung seinem achten Titel in Folge entgegenstrebte.
Die Berner Young Boys laben sich an Sieg und Selbstvertrauen, was sie gut gebrauchen können, wenn sie am Mittwoch in Kiew die erste Hürde Richtung Champions League nehmen wollen. «Es war ein erster Schritt auf einem sehr langen Weg», sagt YB-Trainer Adi Hütter und zitierte Yoric Ravet, Dosenöffner dieses Saisoneröffnungsabends: Die Meisterschaft sei kein 400-Meter-Lauf sondern ein Marathon.
«Die ersten 400 Meter haben wir für uns entschieden», so Hütter. Nicht mehr wollte der Österreicher damit ausgedrückt haben, aber auch nicht weniger. Was dieses 2:0 jedenfalls darstellt, ist eine unausgesprochene Kampfansage einer physisch und mental stark wirkenden Berner Mannschaft in Richtung Basel.
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