Etliche Ski-Grössen sind in Rente gegangen, einige wie Tina Maze oder Bode Miller im Vorruhestand, andere wie die Weltcup-Gesamtsiegerin Anna Fenninger haben sich schwer verletzt und Swiss Ski gleicht auch eher einem Lazarett als einer Hochleistungseinheit. Es sieht aus Schweizer Perspektive so aus, als ob es Lara Gut wird reissen müssen, wenn an diesem Wochenende in Sölden auf Gletscher- und Kunstschnee der alpine Skiwinter eröffnet wird.
Wird Anna Fenninger je wieder ganz die Alte? Wie geht’s eigentlich Lindsey Vonn? Werden wir Tina Maze überhaupt noch einmal im Weltcup sehen? Was macht die Achillessehne von Beat Feuz? Ist Josef ein passender Name für das erste Kind von Marlies Schild und Benjamin Raich? Und weiss jemand, wie sich Bode Miller die Zeit vertreibt?
Der Weltcup steuert erstmals seit Olympia 1998 in Nagano Asien an, der beste Kombinierer bekommt wieder eine kleine Kristallkugel und die Macher im Skisport sorgen sich um das Format der Abfahrt, für die sich die TV-Anstalten nur noch begrenzt interessieren. » Zum Beitrag
Sölden rüstet sich gerade für das erste Weltcup-Wochenende, doch die Fragen, auf die die Ski-Fans brennen, drehen sich nicht wie sonst um die beiden Riesentorläufe am Samstag (Frauen, 9.30/12.45 Uhr) und Sonntag (Männer, gleiche Zeit) auf dem Rettenbachferner, mit denen die Saison traditionell eröffnet wird. Es wird in erster Linie über die geredet, die im Ötztal heuer nicht dabei sind. Oder nicht dabei sein können.
Anna Fenninger hat sich als letzte auf die Abwesenheitsliste eingetragen, die in diesem Übergangswinter ohne alpines Grossereignis so lang und prominent ist wie selten zuvor. Die schwere Knieverletzung der Primadonna hat die Skination Österreich regelrecht in eine Schockstarre versetzt und sogar die lang ersehnte Geburt des Sohnes des Vorzeigeskipaars Benni Raich und Marlies Schild in den Hintergrund gedrängt.
Vom grossen «Sturz-Drama» ist in den Medien zu lesen, der ÖSV-Frauencheftrainer Jürgen Kriechbaum spricht gar von einem «Kapitalschaden» im Knie der zweifachen Weltcupgesamtsiegerin, die mindestens ein Jahr pausieren muss.
Fenningers demoliertes Knie
Tatsächlich hat es Anna Fenninger am Mittwoch richtig hart erwischt. Kreuzbandriss, Innenbandriss, Meniskus kaputt und zu schlechter letzt ist bei diesem Trainingssturz, der laut Augenzeugen eigentlich ganz harmlos aussah – auch die Patellasehne gerissen.
«Das ist eine sehr schwere, aber nicht die schwerste vorstellbare Verletzung beim Skifahren», erklärt Chirurg Christian Hoser, der die 26-Jährige noch am Mittwoch zwei Stunden lang operierte. «Das ist eine Verletzung, die schaffbar ist, und es besteht die Hoffnung und realistische Chance, dass sie zum Skifahren zurückkehren kann.»
Am 22. März strahlte Anna Fenninger noch als Gesamt-Weltcupsiegerin. Nun wird die Zeit bis zu einer Rückkehr nach Totalschaden auf ein Jahr taxiert. (Bild: Keystone/ARMANDO TROVATI)
Hoffnung, realistische Chance, nicht die schwerste vorstellbare Verletzung – das sind nicht unbedingt Aussagen, die auf eine erfolgreiche Fortsetzung der Karriere Mut machen. Manche fürchten bereits, dass Fenninger möglicherweise überhaupt nicht mehr auf die Piste zurückkehren wird. Zumal die Salzburgerin in ihrer Karriere schon alle bedeutenden Trophäen (Olympia und WM-Gold, grosse Kristallkugel) gewonnen hat, die auf Skipisten zu sammeln sind.
Winnertypen und Publikumslieblinge im Ruhestand
Mit Fenninger verliert der Ski-Zirkus jedenfalls seinen nächsten Star, nachdem schon über den Sommer etliche Winnertypen und Publikumslieblinge den Weltcup verlassen haben.
Dominique Gisin, die Schweizer Abfahrtsolympiasiegerin von 2014? Abgedankt. Tina Maze, die slowenische Doppelweltmeisterin von 2015? Legt für einen Winter ein Sabbatical ein und weiss noch nicht, ob sie überhaupt zurückkommt. US-Exzentriker Bode Miller? Hat umgesattelt und beschäftigt sich lieber mit seinen Galopperpferden als mit seinem Innenski.
Schliesslich nicht zu vergessen: Benjamin Raich, Mario Matt, Nicole Hosp, Kathrin Zettel und Andrea Fischbacher, die allesamt ihren verdienten Ski-Ruhestand angetreten haben. Der erfolgsverwöhnte Österreichische Skiverband, der seit 1990 die Nationenwertung im Weltcup gewinnt, verliert ein Quintett, das es gemeinsam auf 34 Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sowie auf 75 Weltcupsiege gebracht hat.
«Ich war überzeugt, dass wir dank unseren Top-Fahrern und den nachrückenden Fahrern den Wegfall von Défago und Zurbriggen kompensieren können. Wegen der Verletzungen von Patrick Küng, Beat Feuz, Mauro Caviezel oder Carlo Janka sieht das nun etwas anders aus», erklärt Männer-Cheftrainer Thomas Stauffer.
Alles hängt von Lara Gut ab
Bleibt als grosse Hoffnungsträgerin des Schweizer Skisports einmal mehr nur Lara Gut. Dass sich alles nur um die kleine Tessinerin dreht, wurde bereits bei der obligaten Saisoneröffnungs-Pressekonferenz am Donnerstag in Sölden deutlich, als Gut von allen Athletinnen die meisten Interviews geben musste.
Alle Augen auf Lara Gut – zumindest aus Schweizer Perspektive. (Bild: Keystone/HANS KLAUS TECHT)
Lara Gut ist sich darüber im Klaren, was von ihr erwartet wird. Und die 24-Jährige weiss auch, dass sie nach dem Ausfall von Fenninger und der Schaffenspause von Tina Maze, nun plötzlich zu einer der Topfavoritinnen auf den Gesamtweltcupsieg geworden ist. Neben US-Jungstar Mikaela Shiffrin, die sich in diesem Winter erstmals auch im Super-G versuchen wird und Lindsey Vonn, deren Erfolgshunger ungestillt ist. Allerdings hat sich auch die 31-Jährige in der Sommervorbereitung verletzt und wird deshalb den Riesentorlauf in Sölden auslassen.
Lara Gut traut sich jedenfalls den grossen Coup zu. «Ich habe es letztes Jahr gezeigt, dass ich mithalten kann. Ich bin Dritte im Gesamt-Weltcup geworden. Und wenn man einmal gesehen hat, dass es möglich ist, dann weiss man auch, dass man nur noch härter arbeiten muss. Dann ist vieles möglich.»