Der letztjährige Sieger gegen den Sieger von 2013: Im Halbfinale kommt es zu einem Duell zwischen Stan Wawrinka und Novak Djokovic. Beide sind in Form und versprechen ein heisses Spiel.
(Bild: Keystone/PETER DEJONG)
Als die siegreiche Schweizer Davis-Cup-Mannschaft im November nach einem geeigneten Schauplatz für ihre rauschenden Feierlichkeiten suchte, bewies Roger Federer das grosse Gespür für die richtige Geste. Der erfolgreichste Spieler des modernen Tennis plädierte mit aller Macht für Lausanne als Ort der Zeremonien – und damit für die Heimat von Stan Wawrinka.
Ihm, dem einstigen Schattenmann hinter dem Superstar, gebührte nicht nur nach Federers Eindruck der Löwenanteil am eidgenössischen Triumph. Ihm, Wawrinka, attestierten ja alle Experten, den historischen Pokalgewinn als wesentlicher Punktelieferant und energischer Motivator innerhalb des Teams überhaupt erst ermöglicht zu haben. «Es war natürlich der Sieg eines Teams», sagt Federer, «aber es war eben ganz besonders Stans Sieg.»
So wie Wawrinka an diesem letzten spannungsgeladenen Tennis-Wochenende der Saison 2014 aufgetreten war, ein Schweizer Bollwerk der Selbstsicherheit und Souveränität, so macht er auch nun schon wieder auf grosser internationaler Bühne von sich reden – bei den Australian Open 2015: Der vom Zauderer zum Stanimal gereifte Wettkämpfer rauschte in fast idealtypischer Weise bis zu einem hochkarätigen Halbfinal-Rendezvous mit Nummer-1-Mann Novak Djokovic durch die Konkurrenz.
Trost für den Verlierer: Stan Wawrinka mit aufbauender Geste für Kei Nishikori. (Bild: Reuters/ATHIT PERAWONGMETHA)
Selbst in der Runde der letzten acht hatte Titelverteidiger Wawrinka beim 6:3, 6:4, 7:6-Erfolg gegen Japans Shooting-Star Kei Nishikori am Mittwoch keine ernsthaften Probleme. Und so liess sich Wawrinka auch nicht lange bitten, erst Gutes zu tun und dann ohne Arroganz, aber auch ohne falsche Bescheidenheit darüber zu reden: «Ich spüre, dass ich immer noch ein Stück stärker werde. Dass ich mir immer mehr zutraue.»
«Ich spüre, dass ich immer noch ein Stück stärker werde. Dass ich mir immer mehr zutraue.»
Wawrinkas nächster Gegner, der viermalige Melbourne-Champion Djokovic (7:6, 6:4, 6:2-Sieger gegen Milos Raonic/Kanada), spielt eine entscheidende Rolle im Wandel dieses spätberufenen Professionals – eines Mannes, der eine gefühlte Ewigkeit lang nur als unscheinbare Figur hinter dem überlebensgrossen Federer und zudem als Nervenbündel in wichtigen Tennis-Momenten wahrgenommen wurde.
Doch vor zwei Jahren, nach einer dramatischen Fünf-Satz-Niederlage gegen Djokovic im Achtelfinale der Australian Open – das Match endete in aller Herrgottsfrühe um 1.41 Uhr mit 12:10 im Finalakt –, spürte Wawrinka, dass er auf einmal ganz nahe an den Potentaten der Branche dran war. «Es war eine Niederlage, die für mich nachträglich zum grossen Gewinn wurde», sagt Wawrinka.
Letztes Jahr trafen sich Wawrinka und Djokovic dann wieder zum Zweikampf auf dem Centre Court, eine Runde später, im Viertelfinale. Und es war die Geburtsstunde eines vollständig verwandelten Wawrinka, der die Kraft- und Nervenprobe über die volle Distanz bestand, als 9:7-Sieger gegen den Marktführer und Champion im fünften Satz.
Schliesslich krönte Wawrinka seinen Himmelssturm mit dem verdienten Finalcoup gegen den spanischen Matador Nadal und etablierte sich auch als einer, der die Machtarchitektur der Tennisszene verändern konnte.
«So einen harten Weg wie Wawrinka hatten wenige»
Das grösste Kompliment für Wawrinka bei den laufenden Ausscheidungsspielen ist die Unaufgeregtheit, mit der sein neuerlicher Siegeszug wahrgenommen wird – es ist bloss Ausdruck des Respekts, den sich der Weltranglisten-Vierte in seinem Wandlungsprozess zur absoluten Führungskraft erworben hat. «Es gibt nur wenige, die so einen harten Weg im Tennis gehen mussten wie Wawrinka. Neben einem Spieler wie Federer», sagt der ehemalige US-Star Jim Courier, «viele wären an der Aufgabe verzweifelt, sich da selbst eine Karriere aufzubauen.»
Er kenne kaum einen, der über so viel Fleiss und Hartnäckigkeit verfüge, sagt Wawrinkas Trainer Magnus Norman: «Es ist ein Geschenk, mit ihm zusammen zu arbeiten.» So erscheint dieser Fast-Dreissiger derzeit auch am ehesten in der Lage, sich stets im Kampf gegen die Grossen Drei (Djokovic, Federer, Nadal) oder auch Grossen Vier (plus Murray) zu behaupten, mehr jedenfalls als die jüngeren, oft in den Schlagzeilen stehenden Jäger wie Raonic, Dimitrow oder Kyrgios (ein Kommentar dazu: Wawrinka – gewachsen zu beeindruckender Statur).
Wawrinka kontra Djokovic, «Stan, the Man» gegen den «Djoker» – es ist am Freitag (ab 9.30 Uhr) das Duell der Melbourne-Sieger der beiden letzten Jahre, das Duell zweier zuletzt prägenden Tennisfiguren. «Macht euch auf einen langen Abend gefasst, auf reichlich Drama», rief Djokovic den Fans in der Laver-Arena zu, nachdem auch er sich mit einem Bravourstück für die Grand-Slam-Trilogie Down Under qualifiziert hatte. Nicht weniger gerüstet als Wawrinka erschien der Serbe, der in seinen bisherigen fünf Matches nur einmal sein Service abgegeben hat. Kein Wunder, dass der Spassvogel sich da «wie Boris Becker» fühlte, wie sein einst so aufschlagstarker Trainer und Berater.