In der Form seines Lebens

Am Freitag wurde im FCB-Museum eine Sonderausstellung zu seinen Ehren eröffnet. Am 17. Dezember feiert Karl Odermatt in der Mustermesse mit rund 400 Gästen seinen 70. Geburtstag. Ein Versuch, ihn nicht nur als einen der genialsten Schweizer Fussballkünstler zu würdigen.

Der Schweizer Fussballspieler Karl Odermatt an einem Spiel des FC Basel, undatierte Aufnahme. (KEYSTONE/Walter Scheiwiller) (Bild: Keystone/Walter Scheiwiller)

Karl Odermatt feiert seinen 70. Geburtstag. Ein Versuch, ihn nicht nur als einen der genialsten Schweizer Fussballkünstler zu würdigen.

Doo isch der Karl Odermatt. Wenn Si mi jetz nit erraicht hän, denn lüt ene grad zrugg.» So ist das nun mal. Auch heute noch. Wer den am 17. Dezember 1942 im Zeichen des Schützen geborenen ehemaligen Mittelfeldstrategen des FC Basel und der Schweizer Nationalmannschaft telefonisch erreichen möchte, darf sich nicht ärgern, wenn sein erster Schuss mit dem Handy im Aussennetz landet. Auch mit 70 ist Odermatt ein gefragter Mann. Am besten, man probierts später noch mal.

Wenn einer das Glück – vielleicht auch das Pech – hat, schon zu Lebzeiten als Legende gehandelt zu werden, macht es wenig Sinn, den Wahrheitsgehalt der unzähligen Anekdoten und Geschichten am Rande zu hinterfragen, die sich um die Kultfigur Karl Odermatt ranken. Denn irgendwie passen sie alle zu ihm, diese Episoden, völlig nebensächlich, ob bis ins Detail «vero» oder allenfalls nur «ben trovato». Sie charakterisieren von grenzenlos bewundernd bis mehr oder minder liebevoll ironisch einen Mann, dessen herausragendes Talent als Fussballkünstler die Massen zu begeistern vermochte, unabhängig von Alter, Geschlecht oder gesellschaftlicher Stellung.

«Karli, none Gool!»

Wenn einer das Glück – vielleicht auch das Pech – hat, dass ihn die ganze Welt, zumindest jene kleine um uns herum, als «Karli» kennt und damit den Odermatt meint, gehört er ein bisschen uns allen – auch mit 70 Jahren noch. Selbst dann, wenn der private «Karli» längst nicht immer von den Traumpässen profitieren konnte, die er für seine Mitspieler regelmässig schlug. Und auch dann, wenn er (abseits der sportlichen Karriere) hin und wieder ins Offside lief oder gar ein Eigengoal erzielte. Den Schlachtruf: «Karli, none Gool!» wird er wohl nie mehr los.

An seiner Wiege, die übrigens gar nicht in Basel stand, sondern in der Leuchtenstadt Luzern, standen bestimmt nicht zwölf gute Feen, die ihn wie in Grimms Märchen mit wertvollen Gaben überschütteten. Eine dreizehnte, im Gegensatz zur Dornröschen-Taufe ebenfalls gut gesinnte, war jedoch mit Sicherheit dabei, um den in kärglichen Verhältnissen aufwachsenden Burschen mit ganz besonderem Talent auszustatten.

Nicht ein zweiter Einstein sollte er werden, auch kein Meister der Fremdsprachen, kein geschäftstüchtiger ­Unternehmer und auch kein herausragender Forscher. Viel eher ein Künstler, ein fusswerklicher zwar nur, aber einer mit dem überragenden Talent, eine runde Lederkugel zum Entzücken zahlreicher Zaungäste in einem­ rechteckigen, von drei Stangen begrenzten Netz unterzubringen oder zumindest den entscheidenden Impuls für dieses Unterfangen zu liefern. Um es im maximalen Twitterformat von exakt 140 Zeichen zu formulieren: Karl Odermatt sollte Fussballer werden. Ein genialer Mittelfeldspieler mit Tordrang. Einer der begabtesten aller Zeiten. Auch international.

Die Damenwelt war aus dem Häuschen und im Stadion

Montag, 10. Dezember, 14.25 Uhr: zweiter Versuch der telefonischen Kontaktaufnahme mit dem einst blondmähnigen, blendend aussehenden Jubilar, der die Mädchen- und Damenwelt jahrzehntelang mit Eleganz und Charme aus dem Häuschen beziehungsweise in die Stadien trieb. Und da passiert es, das Weihnachtswunder 2012. Nach genau drei Rufzeichen nimmt einer ab: «Odermatt.»

Der Anrufer, völlig baff, weil die Erfahrung ihn gelehrt hat, sich im ­telefonischen Umgang mit Karli in Geduld zu üben, nennt seinen Namen und versucht, sich mit einem Penalty in die Erinnerung seines Jugendidols einzuschiessen. «Waisch, dää, wo …» Gool! Odermatt weiss, wer ihn belästigt. Zumindest mag er dies glaubhaft übermitteln.

Montag, 10. Dezember, 14.27 Uhr: Nach ein paar einleitenden Smalltalk-Floskeln stürmt der Anrufer am linken Flügel vor und erkundigt sich nach der aktuellen Befindlichkeit des bald nicht mehr 69-Jährigen. «Guet, seer guet», tönt es leicht krächzend zurück. «Ich – rkchcshchc-tüt-tüt-tüt.» Die Verbindung macht Pause. Dabei hat die erste Halbzeit noch gar nicht richtig begonnen.

Zweifelhafte Zweitverwendung der Raviolibüchse

Was solls: Mit Fouls ist auch beim Telefonieren ­jederzeit zu rechnen, besonders im Handyverkehr. Karli ist irgendwo im Auto unterwegs. Irgendwann wird er wohl auch aus diesem Tunnel wieder herausfinden. Versuchen wir es also in ein paar Minuten noch einmal.

In der Schule habe er nicht sonderlich geglänzt, steht in Karlis Biografie zu lesen. Herausgeragt habe er nie, die Jahre ordentlich abgesessen, so wie die meisten anderen auch. Immer Hunger soll das schlaksige Bürschchen gehabt haben. Auf Rosen gebettet war die Familie Odermatt damals offenbar nicht.

Auf dem Pausenplatz dagegen, dort, wo die leeren Raviolibüchsen einer von den Eltern allerdings als höchst zweifelhaft ein­gestuften Zweitnutzung zugeführt wurden, indem man sie mit Füssen malträtierte, dort bewies er seine Wendigkeit und sein Geschick auch mit knurrendem Magen. Schon bald wollten ihn alle in ihrem Team haben, den Kari, auch die aus den höheren Klassen. Mit ihm als Stürmer waren die Pausenmätschli im Luzerner St.-Karli-Schulhaus so gut wie gewonnen.

Die drei grössten Feinde

Als Vater Odermatt in Basel eine besser bezahlte Arbeit fand, wurde von der Reuss an den Rhein gezügelt, an die Heumattstrasse beim Bahnhof SBB. Im Thiersteiner-Schulhaus, wo er die Realschule absolvierte, gingen das Leiden des jungen Odermatt und der Kampf gegen seine «drei grössten Feinde» weiter. Die persönlichen Feinde, wie er in dem 2002 zu seinem 60. Geburtstag im Christoph Merian Verlag erschienenen und von Susanne Haller und René Matti verfassten Buch «Karli, none Gool!» zu Protokoll gab, hiessen Französisch, Singen und Handarbeit.

Nach einem weiteren, freiwilligen Schuljahr in einer Berufswahlklasse folgte als Stift bei der «Agence Americaine» eine KV-Lehre, in deren Verlauf er neben dem verhassten Franz neue Feinde fand, namentlich Buchhaltung und Stenografie.

Das gab dem fussballverrückten Jüngling den Rest. Kurz vor der Prüfung schmiss er den Bettel hin und heuerte als Hilfsarbeiter bei der damaligen ACV-Druckerei an, wo er später dank viel Goodwill und in Anerkennung seines ausserordentlichen Talents als Fussballer doch noch zu einem Lehrabschluss kam.

Unter dem Einfluss des damaligen FCB-Trainers Georges Sobotka zügelten die Odermatts 1962 an den Schorenweg in der Nähe des Eglisee-Gartenbads. Diesmal ohne Vater, der die Familie verlassen hatte. Nachdem Karli­ schon einige Jahre sein enormes fussballerisches Potenzial bei den Congeli-Junioren unter Beweis gestellt hatte, landete er nun beim grossen FCB, bei dem er 1962 sein erstes Nationalliga-Spiel gegen Lugano bestritt.

Eine beispiellose Karriere

Was folgte, ist schnell erzählt und las sich bis 1979 ellenlang und endlos in unzähligen Artikeln aus allen Sport­redaktionen. Fünf Meistertitel und drei Cupsiege mit dem FCB, ein Cupsieg mit den Berner Young Boys in insgesamt 407 nationalen Einsätzen. Dazu 50 Spiele mit der Nationalmannschaft. Mit dabei am 10. November 1971 sein legendäres Bananen-Tor im Wembley-Stadion gegen England, an das er sich besonders gerne erinnert. Einmal, 1970, stand Karli sogar in einer Weltauswahl.

Eine für jene Zeit beispiellose Karriere fand 1979 in den Diensten von YB ihr Ende. Ein Vermögen hat Odermatt mit dem Fussball nicht gemacht. Er spielte noch in einer Zeit, in welcher 1967 als Prämie für den Gewinn des Double pro Spieler offiziell ganze 2000 Franken heraussprangen. Aber es gab auch immer wieder ein paar private «Gönner», die ihren Lieblingsspielern für eine Sonderleistung jeweils ganz spontan ein paar Nötli in die Hosentaschen schoben, wie Karli im kleinen Kreis einmal schmunzelnd gestand.

Auch wenn es ihm im normalen Leben als selbstständiger Unternehmer längst nicht immer nach Wunsch lief – ein guter Verkäufer war er als kommunikativer Mensch allemal. Das zahlte sich auch wieder aus, als er im Jahr 2000 für die Marketing-Abteilung des FCB tätig wurde. Nicht nur er, auch seine Geschäftsbesuche waren legendär. Schon durch geschlossene Türen hörte man seinen Auftritt, wenn er für das rotblaue Programmheft Inserate akquirierte. Da wurde jede Sekretärin elegant umdribbelt, wenn es galt, zum jeweiligen Firmenchef vorzudringen und diesem ein neues Angebot zu unterbreiten.

«I gang grad wider, muesch numme no unterschriibe, s isch alles scho vorberaitet», pflegte er beim unerwünschten Eintritt ins Büro des gestressten Verantwortlichen auszurufen. Nicht selten wurde dann auch tatsächlich unterschrieben, ohne richtig zu wissen, mit welchen Konsequenzen das hastig abgegebene Autogramm letztlich verbunden war. Doch auch mit dieser Aufwartung blieb Karli sich selber treu. Es war für ihn Ehrensache, dass alles in anständigem Rahmen blieb.

Rentner ohne Ruhestand

Montag, 10. Dezember, 14.35 Uhr: Karli erneut am Telefon. Noch immer ist er unterwegs in Richtung Zürich. Nein, Fussball kann er nach zwei Knieoperationen vor zehn Jahren nicht mehr spielen, an sein letztes Tor kann er sich gar nicht mehr erinnern. «Das isch ewig lang häär.» Fit fühlt er sich mit 70 aber noch immer. «I gang vyyl go laufe und bi e lyydeschaftlige Pilzsammler.»

Offiziell gilt er zwar als Rentner, doch einer wie Odermatt wird den Ruhestand wohl nie erreichen. «I schaff no immer für der FCB, als Mitglied vomene tolle Marketing-Team.» Ein Leben ohne Arbeit kann er sich gar nicht vorstellen. «Waisch, i bi halt immer scho schampar gäärn unter de Lüt gsii.»

Wichtig für ihn sind seine guten Freunde, die auch jetzt noch durch dick und dünn zu ihm halten. «Ohni Bernhard Burgener wäär alles, was jetz isch, gar nie möglig woorde», sagt er. Selbst übers Handy hört man die tiefe Dankbarkeit aus diesem Satz. Und was, wenn überhaupt, macht er in seiner Freizeit? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. «Koche! – das mach i fürs Lääbe gäärn.»

Auf das Fest zu seinem 70. Geburtstag freut er sich ganz besonders. «He, das wird e Riisesach.» In der Mustermesse sollen rund 400 geladene Gäste mit ihm zusammen feiern. Früher hätte er wohl «e Riisewälle» dazu gesagt. Ein bisschen ruhiger ist er im Lauf der Jahre schon geworden. Kein Zweifel, das steht ihm gut. «E liebe Siech», wie er es nennen würde und den er immer schon glaubhaft verkörperte, wird er sein Leben lang bleiben.

Zehn Minuten geht das Gespräch. Dann wünscht man sich gegenseitig «alles Gute». Karli, sehr zum Wohl!

Karli erzählt
Am Freitag, 14. Dezember, drei Tage vor Karl Odermatts Ehrentag, wurde in der kleinen Museumsecke, die der FC Basel in seinem Fanshop im St.-Jakob-Park eingerichtet hat, eine Ausstellung eröffnet. Es sind nicht nur Bilder und Pokale aus dem Leben der Fussballlegende zu sehen, es gibt vor allem zu hören. «Niemand kann schöner über Karli Odermatt reden als er selbst», sagt Thilo Mangold, der für das Sportmuseum Schweiz an der Entstehung dieser Ausstellung mitgewirkt hat, «er ist ein wunderbarer Anekdotenerzähler.» Was Odermatt an der Vernissage sogleich unter Beweis stellte. Doch auch wer den originalen «Karli» verpasst hat, kann ihm zuhören. Per Audio-Tonträger und Kopfhörer erfahren die Besucher, dass es im Leben von Karl Odermatt noch mehr als Fussball und FCB gibt. Die Fasnacht und das Brauchtum etwa. Die Tonstücke können auch auf der Website der Ausstellung angehört werden. (cok)

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12

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