Österreich hat sich glückhaft noch eine Chance gewahrt und kann an diesem Mittwoch (18 Uhr) gegen das Überraschungsteam Island noch die Achtelfinals erreichen. Das in einem Duell, in dem die beiden Basler Marc Janko und Birkir Bjarnason aufeinandertreffen. Sofern Janko fit genug ist und das Vertrauen von Marcel Koller erhält.
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Jetzt hat Österreich also ein richtiges K.o.-Spiel. Früher freilich als erwartet, denn in den kühnen Prognosen und heimlichen Planungen der optimistischen Österreicher war stets nur vom Achtel- oder gar dem Viertelfinale die Rede. Aber nie davon, dass es im letzten Gruppenspiel gegen Island schon um alles oder nichts gehen könnte. Und selbst dieses Endspiel am Mittwoch in Paris hat das ÖFB-Team in erster Linie der Glücksgöttin und Tormann Robert Almer zu verdanken und weniger der eigenen Leistungsstärke.
Auch wenn das glücklich erkämpfte 0:0 gegen Portugal wie ein Sieg gefeiert wurde und im Land eine neue Zuversicht ausgelöst hat, die 30’000 Österreicher am Mittwoch ins Stade de France pilgern lassen wird: Objektiv zählte die hoch gehandelte Truppe von Marcel Koller bislang zu den Enttäuschungen dieser EM-Endrunde. «Wir sind durch das 0:0 noch am Leben und haben jetzt unser Endspiel», entgegnet der Zürcher.
Bleibt nur die Frage: Wer soll die Österreicher bloss ins Achtelfinale schiessen?
Bei Robert Almer, dem Torhüter von Austria Wien, durfte sich Marcel Koller nach dem 0:0 gegen Portugal dafür bedanken, dass Austria noch im Turnier ist. (Bild: Keystone/Martin Meissner)
Es war die Offensivabteilung, die in den ersten beiden Partien gegen Ungarn (0:2) und gegen Portugal (0:0) für allgemeines Rätselraten sorgte. Die Torgefahr, die bislang von den Österreichern ausging, tendierte praktisch gegen null. Ein Weitschuss von David Alaba im Match gegen Ungarn an den Pfosten und ein Kopfballversuch von Martin Harnik gegen Portugal – damit sind die rot-weiss-roten Torchancen in 180 Minuten schon aufgezählt. «Zu nervös, zu hektisch, zu viele Bälle unnötig verloren», brachte es Marcel Koller auf den Punkt.
Schlüsselspieler wie David Alaba und Marc Janko sind beim Karriere-Höhepunkt nicht auf der Höhe.
Das ist eine Erklärung, die andere lautet: Drei Schlüsselspieler für das Angriffsspiel der Österreicher sind ausgerechnet beim Karriere-Höhepunkt nicht auf der Höhe.
Da wäre einmal Spielmacher Zlatko Junuzovic (Werder Bremen), der sich in der Auftaktpartie gegen Ungarn schon nach einer Viertelstunde eine Knöchelverletzung zuzog und wohl erst in einem möglichen Achtelfinale wieder einsatzbereit wäre. Auch wenn die medizinische Abteilung alles unternimmt, um den Antreiber für den Island-Match fit zu kriegen.
Da ist David Alaba (Bayern München), der mit 23 Jahren schon 52-mal in der Champions League am Ball war, bei der EM in der Rolle des Leaders und der Lichtgestalt nun plötzlich Nerven zeigt und nicht mehr wiederzuerkennen ist. Der Linksverteidiger der Bayern spielt innerhalb des Teams im zentralen Mittelfeld und wurde von Koller gegen Portugal nach einer desolaten Leistung bereits nach einer Stunde vom Feld geholt. Alaba reagierte auf die ungewohnte Auswechslung mit Unverständnis und wurde vom Teamchef prompt zurechtgewiesen. «Da gibt es keinen Grund, irgendwie trotzig oder unzufrieden zu sein. Wir haben noch ein drittes Spiel. Das wird wichtig, um weiter dabei zu sein. Nur das zählt.»
Und da gibt es dann noch ein drittes Sorgenkind im österreichischen Lager. In der Vergangenheit hatten sich die Österreicher stets auf Marc Janko verlassen können, der mit sieben Toren auch massgeblichen Anteil an der erfolgreichen EM-Qualifikation hatte. Doch der Stürmer des FC Basel ist nach seiner mehrwöchigen Zwangsspause aufgrund einer Oberschenkelverletzung augenscheinlich noch nicht wieder der Alte.
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Der Auftaktmatch gegen Ungarn, in dem Janko überhaupt nicht zur Geltung kam, war für den Routinier das erste Pflichtspiel seit dem 10. April. Die fehlende Wettkampfpraxis war ihm deutlich anzumerken. «Dass ich nicht am Zenit meines Leistungsvolumens bin, ist auch klar nach meiner Geschichte», verteidigt sich der Goalgetter, der in den österreichischen Zeitungen für seinen Auftritt gegen Ungarn die schlechtesten Noten erhalten hatte. «Ich weiss, dass ich es auch anders kann. Ich bin aber auch abhängig von den Bällen, die ich bekomme. Bei mir als Stossstürmer ist der Grat ein ganz besonderer», sagte der Wiener, der am 25. Juni 33 Jahre alt wird. «Wenn der eine oder andere Ball ein bisschen genauer kommt und ich mache das Tor, dann ist wieder alles super, dann bin ich bei 110 Prozent und alle jubeln.»
Als Janko im zweiten Gruppenspiel gegen Portugal dann auf der Bank Platz nehmen musste, wurde von dieser Massnahme nur der gegnerische Teamchef auf dem falschen Fuss erwischt. «Als ich die Aufstellung gesehen habe und Janko nicht draufstand, war ich schon etwas überrascht», meinte Fernando Santos.
Janko: «Ich bin auch kein körperliches Wunder»
Für Jankos Kollegen war die personelle Rochade ein logischer Schritt. «Es hat auch Sinn gemacht. Wir haben Portugal hoch erwartet, da war klar, dass wir mit Schnelligkeit mehr zum Erfolg kommen als mit körperlicher Robustheit, so wie es bei Marc der Fall gewesen wäre», erklärte Martin Harnik (Stuttgart), der den FCB-Stürmer als Solospitze ersetzte.
Im Endspiel gegen die robusten, defensiv starken Isländer sind nun freilich wieder andere Qualitäten gefragt. Denn auch wenn die Isländer nach zwei Unentschieden wohl ebenfalls nur ein Sieg ins Achtelfinale bringt, so erwarten die Österreicher trotzdem einen sehr vorsichtigen Gegner, der sein Heil in Kontern und in Standardsituationen suchen wird. So ein Match wäre eigentlich wie geschaffen für Marc Janko, der nicht von ungefähr in Basel den Namen «Strafraumkobra» verpasst bekommen hat.
Die Frage ist nur: Wie fit ist der Routinier, der zuletzt auch über Nackenprobleme geklagt hatte, wirklich? «Ich bin kein körperliches Wunder. So schnell ist man nicht bei 100 Prozent», hatte Janko nach dem ersten Einsatz gegen Ungarn gemeint, «aber ich stehe auf jeden Fall zur Verfügung.»
Teamchef Marcel Koller will sich bis zuletzt alle Optionen offenhalten. Schon gegen Portugal hatte er die Aufstellung zum spätestmöglichen Zeitpunkt bekannt gegeben und selbst eine halbe Stunde vor Spielbeginn im Fernsehinterview noch nicht die taktische Formation verraten wollen. Gegen Island wird es der Schweizer nun ähnlich halten und will sich erst spät in die Karten schauen lassen.
Blufft Koller und bringt er Janko gegen Island?
Auch unter diesem Gesichtspunkt sind seine jüngsten Aussagen zu Marc Janko zu verstehen. «Marc ist für uns ein sehr wichtiger Spieler. Aber es ist so, dass dieser Spielrhythmus fehlt, den er auch braucht, um bei so einem Turnier bestehen zu können», sagte der Teamchef 48 Stunden vor dem Duell mit Island.
Klingt für den Aussenstehenden so, als würde Marc Janko auch am Mittwoch vorerst nur auf der Bank sitzen. Andererseits: Nicht unwahrscheinlich, dass der Trainerfuchs Marcel Koller vor dem wichtigen Spiel nur blufft. Wie sagte der Zürcher am Vortag der Entscheidungspartie vor den Journalisten: «Ihr kennt mich jetzt alle schon fast fünf Jahre. Aber das, was ganz tief in mir ist, das kennt ihr von mir noch nicht.»