Taulant Xhaka steht in einem Gang unter der Tribüne der Moskauer VEB-Arena, die rechte Hand hält eine Wasserflasche, die andere ruht auf der Hüfte. Neben dem Spieler stehen der Teamarzt des FC Basel und ein Delegierter der Uefa. Der Mittelfeldspieler muss zur Dopingkontrolle, aber es bleibt Zeit, um in diesem schmucklosen Raum einen funkelnden Abend aufzuarbeiten: das 2:0 bei ZSKA Moskau, den zweiten Erfolg im dritten Gruppenspiel der Champions League und das in einem mit 28’000 Zuschauern fast ausverkauften Stadion mit ununterbrochen lauten ZSKA-Fans.
Eigentlich mag Xhaka diese Auftritte vor den Medien nicht. Aber an diesem Abend, nachdem er sein erstes Europacup-Tor erzielt hat, ist alles anders. Kein Schweisstropfen auf der Stirn zeugt davon, dass die Mikrofone den 26-Jährigen nervös machen. «Ich glaube», sagt der albanische Nationalspieler, «heute ist mein Tag gewesen.»
Xhaka war in den anderthalb Stunden zuvor der überragende Mann auf dem Rasen: Eine herausragende Laufleistung, eine Passquote von 93 Prozent, ein Assist zu Dimitri Oberlins Tor in der Nachspielzeit und natürlich der Führungstreffer machten diesen, «seinen» Tag aus. «So gejubelt habe ich lange nicht mehr», sagt der Mittelfeldspieler zu seinem Tor beim 2:0-Sieg gegen ZSKA Moskau. Kunststück, denn es war auch erst sein fünfter Treffer als Profi.
«Hier zu spielen war nicht einfach, diese Leistung ist überragend», sagt Sportchef Marco Streller. Mit sechs Punkten steht der Schweizer Meister zur Halbzeit der Gruppenphase hinter dem makellosen Manchester United auf Rang zwei der Gruppe A. Mit diesem Zwischenresultat durfte kaum jemand rechnen, nach den ersten Wochen der Saison kamen rund um den neu aufgestellten FC Basel eher Zweifel auf. Nebst grundsätzlichen auch jener, ob in dieser Gruppe das europäische Überwintern realistisch ist.
Nach vier von sechs Spielen winken dem FCB die Achtelfinals
Inzwischen liegt sogar die Qualifikation für den Achtelfinal in der Champions League in Reichweite. Gewinnen die Basler am 31. Oktober in Basel das Rückspiel gegen ZSKA und gewinnt Benfica gleichzeitig nicht in Manchester, haben die Basler diesen Meilenstein bereits erreicht.
Es wäre eine aussergewöhnliche Bilanz für ein Team, das im europäischen Vergleich Erfahrungswerte aufweist, vor denen kaum ein Gegner vor Ehrfurcht erstarrt: Basels Startelf kam vor dem Spiel in Russland auf kumuliert 115 Champions-League-Einsätze. Alleine Aleksei Berezutski und Sergei Ignashevich in Moskaus Abwehr kamen zusammen auf 131 Spiele. Insgesamt war Moskaus Durchschnittswert von 28,1 Einsätzen fast dreimal so hoch wie jener von Basel (10,5).
Der FC Basel versprach junge Spieler einzusetzen und auf der einen oder anderen Position löst er dieses Versprechen ein. Mit Albian Ajeti und Raoul Petretta gaben unter Trainer Raphael Wicky zwei, die dem eigenen Nachwuchs entstammen, ihr Debüt in der Königsklasse. Vor allem Petretta macht den Eindruck, als liesse er sich angesehen von anfänglicher Nervosität gegen Benfica nicht beeindrucken von der grossen Bühne.
Das Herzstück bilden die Routinierten
Die beiden Namen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Herzstück des Teams aus Fussballern im besten Alter besteht: Xhaka (26) und Luca Zuffi (27) bildeten das für ZSKA fast unüberwindbare Zentrum und Marek Suchy (29) legt als Abwehrchef inzwischen die Erfahrung von 33 Champions-League-Spielen in die Waagschale. Zudem ist die Champions League für die Leistungsträger Michael Lang, Renato Steffen und Mohamed Elyounoussi im Vergleich zur letzten Saison kein Neuland mehr.
Ausschliesslich mit jungen Spielern wäre die «reife und solidarische Leistung» (Wicky) kaum möglich gewesen. Der Trainer spricht vom Glücksgefühl und der «inneren Genugtuung». Und als ein stolzer Sportchef Streller als Erster nach dem Spiel vor den Medien erscheint, sagt er heiser: «Dieses Spiel hat Nerven gekostet. Ich bin fix und fertig.»
«Wenn sich elf Spieler den Hintern aufreissen, dann kommt es gut.»
FCB-Offensivkraft Mohamed Elyounoussi
Es war ein aufwühlender Abend, weil die Partie bis am Schluss auf der Kippe stand. Der eingewechselte Dimitri Oberlin hätte Strellers Nerven beruhigen können, traf aber erst in der 90. Minute, nachdem er drei Möglichkeiten fahrlässig vergeben hatte.
Deswegen sagt Oberlin als einziger an diesem Abend, dass er «enttäuscht» sei. Ein Lächeln ist ihm nach seinem dritten Champions-League-Treffer nicht zu entlocken. Das gründet in Oberlins zurückhaltender Art, aber auch im Anspruch, den er in diesem Spielsystem an sich selber hat. Denn Oberlins Schnelligkeit ist für Wickys Fussball, was die rote Beete in der traditionellen russischen Borschtsch-Suppe ist: eine Grundzutat, ohne die es nicht geht.
Rückzug in Halbzeit zwei
Basels Matchplan war so einfach wie effizient: «Hinten kompakt stehen und dann kontern», sagt Flügelstürmer Mohamed Elyounoussi. Diesen Plan setzte das Team nicht erst nach Einwechslung des schnellen Oberlin um. Vor allem in der zweiten Halbzeit, als der FCB nur noch 32 Prozent Ballbesitz hatte (gegenüber 56 Prozent vor der Pause), sich mit zurückgezogenen Aussenspielern in einer Fünferkette hinten reinstellte und die Bälle nach vorne in die offenen Räume spielte, wurde der Matchplan augenscheinlich.
Wie sehr der FCB nach Seitenwechsel dem Gegner das Spiel überliess, zeigen die Zahlen: Über die ganze Partie spielten die Basler 200 Pässe weniger als die Russen, in der zweiten Halbzeit waren es sogar dreimal weniger (124 zu 361). Zudem war die Erfolgsquote mit 72 zu 81 Prozent schlechter. Nur bei den langen Bällen waren die Basler erfolgreicher, bei jenen also, die sie beispielsweise in die Spitze zu Oberlin spielten.
War der Ball einmal in der Offensivzone, so brachten ihn die Basler bei elf Versuchen sechs Mal auf das Tor, die Moskauer bei ebenso vielen Abschlüssen kein einziges Mal. Das mag ein Anzeichen für die offensive Harmlosigkeit der Russen an diesem Abend sein, vor allem aber ist es ein Qualitätsmerkmal einer Basler Abwehr, die mit grosser Geschlossenheit agierte.
Marek Suchys makellose Zweikampfbilanz
«Wenn sich elf Spieler den Hintern aufreissen, dann kommt es gut», sagt Elyounoussi. Vor allem dann, wenn die Abwehr fast fehlerfrei agiert und Marek Suchy alle seine 15 Zweikämpfe gewinnt. Suchys Nebenmann Eder Balanta bescheinigt Sportchef Streller «eine unglaubliche Leistung». Der Kolumbianer war vielleicht nicht ganz so unwiderstehlich wie gegen Lissabon, aber mit 23 Jahren strahlt er eine Ruhe und Abgeklärtheit aus, auf die Wicky baut.
«Unser Glück ist, dass fast niemand verletzt ist», sagt Wicky. Zwar muss der Trainer auf den langzeitverletzten Ricky van Wolfswinkel verzichten. Doch wider Erwarten fällt die Absenz des 28-Jährigen im Moment kaum ins Gewicht. Es ist möglicherweise gar ein Segen für ein Team, dass sich in einem unerwartet schnellen Reifeprozess befindet. Denn es realisiert: Die offensive Schaffenskraft ist nicht auf Gedeih und Verderben vom Holländer abhängig, vom einzigen erfahrenen Stürmer.
«Unser Weg ist noch nicht zu Ende.»
FCB-Trainer Raphael Wicky
Er sehe keine Gefahren nach sechs gewonnen Punkten in drei Champions-League-Spielen, «sondern nur Chancen», sagt Sportchef Streller, «aber wir müssen bescheiden bleiben». Die grosse Party habe in der Kabine nach dem Sieg jedenfalls nicht geherrscht, sagt Trainer Wicky, der immer wieder die Persönlichkeit seines Teams hervorhebt – ein Indiz dafür, dass diese Mannschaft nicht nur auf dem Platz überzeugt, sondern auch einen Erfolg richtig einzuschätzen weiss.
Nächster Gegner ist am Samstag im St.-Jakob-Park der FC Thun, drei Partien trennen den FC Basel vom Rückspiel gegen Moskau. Und als es bereits weit nach Mitternacht war, sagte Wicky noch: «Unser Weg ist noch nicht zu Ende.»