Unlängst am John F. Kennedy Airport in New York: Der Scanner beim Handgepäck-Band piepst, eine Schweizerin aus Basel muss ihren Rucksack öffnen. Der Security-Mann entnimmt ihm eine braune Papiertüte, schaut hinein.
«Bagels?»
Ja, Bagels. Zwei «plain», sprich nature, zwei mit Sesam, zwei mit Mohn, vier «cinnamon raisin» (Zimt und Rosinen) und zwei «everything» (Mohn, Sesam, Salz, getrocknete Zwiebel, Knoblauchstreusel und Weiss-Gott-was). Ein Dutzend Bagels.
Der Security-Mann schaut sich die Backwaren noch einmal an, verschliesst die Tüte, verstaut sie wieder im Rucksack, gibt ihn der Frau zurück. «Aber warum nehmen Sie so viele Bagels mit?», will er wissen. Eine ehrlich gemeinte Frage. Die Antwort der Frau ist es ebenso: «Weil es bei uns zu Hause keine Bagels gibt.»
«Keine Bagels?»
Statt der geübt abwesend-abweisenden Miene spielt eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Mitleid auf dem Gesicht des Beamten. «Geniessen Sie ihre Bagels», sagt er mit Nachdruck, und während er die Frau mit einer winkenden Geste zum Weitergehen bewegt, fügt er ein «Alles Gute!» an.
Er schaut ihr nach, gerade so, als fliege sie nicht in die Schweiz, sondern in ihr sicheres Verderben.
Eine runde Sache
Nichts macht so glücklich wie ein guter Bagel. Der köstliche Kringel ist, würde man meinen, wie geschaffen für den hiesigen Feinschmecker, trennt doch nur ein Buchstabe die Stadt vom Gebäck. Auch wären Basler Kiefermuskeln durch lebenslangen Läckerli-Genuss schon optimal trainiert für das unnachahmliche Kau-Erlebnis eines richtig zubereiteten Bagels.
Die dem runden Backwerk mit dem Loch eigene, zähe Konsistenz, ist das A und O des Bagels («O» die Form, «Ah» das Geräusch beim Verzehr). Herzhaftes Zubeissen trifft auf beherzten Widerstand. Das Hefe-Rundgebäck von hoher Dichte gibt erst nach Einsatz einiger Kieferkraft wirklich ganz nach, belohnt den Effort dann aber rundum, indem es den Gaumen mit dem gelösten Geschmack flutet. Elastisch, stark, fantastisch.
Die Konsistenz eines guten Bagels kommt nicht von ungefähr. Bei der Herstellung sind zwei Faktoren zentral. Erstens: Ein Bagel braucht Zeit. Der Weizenmehl-Hefeteig muss sich zuerst in der Wärme, dann – nach der Kringelwerdung – über Nacht (noch besser: bis 24 Stunden lang) im Kühlschrank weiterentwickeln.
Zweitens: Bagels werden vor dem Backen gekocht. Ja, gekocht: in Wasser, oder in einer Lauge. Wer diesen Schritt auslässt, hat am Ende einfach Brotringe. Aber keine Bagels.
Nichts macht so unglücklich wie ein falscher Bagel.
Und genau das ist des Pudels Kern: Wer in Basel einen Bagel bestellt, erhält zwar meistens etwas, das ungefähr wie ein Bagel aussieht – aber leider keiner ist. Teufelskreise. Nichts macht so unglücklich wie ein falscher Bagel.
Da mögen die Beilagen noch so ausgewählt sein (persönliche Favoriten: Everything Bagel mit Hummus, Cinnamon Raisin mit salziger Butter und Honig, und für einen Bagel mit Frischkäse und Lachs «lox and schmear» verzichte ich auf jedes Rindsfilet): Wer einen Bagel bestellt und beim ersten Biss merkt: Brot, weich, toastig, luftig oder trocken, oder alles zusammen … der wird bitter enttäuscht. Und das immer wieder.
Denn seit der Schliessung der Bäckerei Schmutz ist eine der allerletzten Gelegenheiten, echte Bagels in Basel zu erwerben, Geschichte.
Die Kult-Bäckerei, normalerweise auf Stufe Manna, verkauft Bagels, bei denen es sich um luftige Weggli in Ringform handelt. Gute Weggli, gute Sandwiches, aber halt: keine Bagels. Die Manor-Bäckerei scheint einfach Baguette-Teig zu kleinen Kreisen zu Formen und als Bagel anzuschreiben. Le Baguelette: ein unnötiges, Traurigkeit verursachendes Produkt.
Bloss Brot mit Loch in der Mitte
Überhaupt, wo man hingeht: Brot mit Loch in der Mitte wird als Bagel verkauft. Die Resultate müssen nicht in jedem Fall schlimme Depressionen auslösen: Die Kette Blueberry am Bahnhof Basel SBB etwa verkauft ebenfalls Bagels, die als Sandwich durchaus okay sind – aber die Bezeichnung Bagel verdienen auch sie eigentlich nicht.
Einzig La Manufacture darf sich nicht zu Unrecht für seine hausgemachten Bagels rühmen. Das liegt in erster Linie an den Bagel-Beilagen: Die sind derart gut, dass man den Machern verzeiht, dass auch ihr Backwerk noch eher im luftigen Bereich anzusiedeln ist und dass die Sortenvielfalt noch etwas dürftig ausfällt.
Verzweifelter Aufruf
Sie sehen: Basel und Bagel, das ist insgesamt eine Tragödie ohne Ende, das Lamento dreht sich schier endlos im Kreis.
Es kann natürlich sein, dass es tatsächlich echte Basler Bagels gibt, die dem Klönenden bisher nicht begegnet sind. Wenn Sie Hinweise darauf haben sollten: Zögern Sie bitte keine Sekunde, teilen Sie Ihre Basler Bagel-Tipps in den Kommentaren. Und falls Sie planen, in Basel einen Bagel Shop zu eröffnen: Einen Stammkunden haben Sie auf sicher.
Bis dann bleibt, wie so oft im Leben, nur eines: Alles muss man selber machen.
Bagels (von jiddisch Baygel, Bejgel) wurden erstmals in den Regeln der jüdischen Gemeinde der Stadt Krakau in Polen im Jahr 1610 urkundlich erwähnt – als Gebäck, das Frauen als Geschenk nach der Geburt eines Kindes gegeben wird. Die Köstlichkeit mauserte sich rasch zum Hit in der polnischen Küche.
Der Bagel eroberte später die Herzen (und Mägen) der Engländer (ab dem frühen 19. Jahrhundert) und durch die Auswanderung polnischer Juden in die USA zunächst New York, und von dort aus die ganze neue Welt. Längst gibt es in allen Supermärkten Nordamerikas automatisiert hergestellte Bagel in verschiedensten Geschmacksrichtungen.
Der «New York Bagel» hat als (handgemachtes) Original in vielen Backstuben überlebt – und spornt noch immer viele Profi- und Hobby-Bäcker an, den «perfekten» Bagel zu backen. Für so einen (serviert zum Beispiel mit Cream Cheese und Lachs) steht auch manch gehetzter New Yorker morgens gerne in einer Schlange an.
Auch das noch – die TagesWoche-Rubrik fürs Schöne, Schräge und Fiese. Immer mit einem 😉 zu verstehen.