Das Basler Verwaltungsgericht muss bald Fragen klären, die einem der gesunde Menschenverstand abschliessend beantworten könnte: Zählt ein Parkplatz zur Wohnfläche? Ein Liftschacht oder die Waschküche?
Die Antwort scheint nicht so kompliziert: Wohnfläche ist Fläche, auf der gewohnt, also gelebt, geschlafen, gegessen wird. Die Basler Behörden taxieren die Lage indes anders. Sie sagen: Selbstverständlich zählt der Technikraum zur Wohnfläche – was kann man da für lauschige Abende mit dem Boiler verbringen!
Am 25. September werden Basels höchste Richter diese Fragen beantworten. Dann müssen sie beurteilen, ob der geplante Abriss mehrerer Häuser am Steinengraben rechtens ist. Sie werden festlegen, was Wohnfläche ist und was nicht. Und damit einen Präzedenzfall schaffen, wie das Basler Wohnraumfördergesetz auszulegen ist.
Das Volk sagte Ja
2014 hatte es die Regierung in Kraft gesetzt, mit dem Ziel, Wohnungsnot in Basel zu bekämpfen. Der gemeinnützige Wohnungsbau sollte angetrieben, Investoren das Abreissen und Neubauen erleichtert werden.
Das Gesetz kippte eine alte Regelung, die 1975 nach Jahren akuter Wohnungsknappheit festgeschrieben wurde. Wohnraum durfte demnach nur vernichtet werden, wenn ein Neubauprojekt «wesentlich mehr» Wohnfläche kreierte. Dieses Gesetz dämpfte das Baufieber, das nun schon seit Jahren in anderen Städten wie Zürich grassiert. In den Augen der Regierung verhinderte es vor allem die Erneuerung des Wohnungsbestands, Investoren klagten regelmässig darüber.
Der damalige Regierungspräsident Guy Morin (Grüne) warb für das Gesetz, indem er es als wichtiges Instrument gegen die Wohnungsnot anpries. Sein Credo: Nur wenn eifrig gebaut wird und das Angebot die wachsende Nachfrage bedient, bleiben Wohnungen bezahlbar. Baudirektor Hans-Peter Wessels (SP) rühmte den Abbau «unnötiger bürokratischer Hürden». Und das Volk sagte Ja.
Temporärbüros statt Wohnungen – entspricht das den Versprechungen zum Wohnraumfördergesetz?
Es passt nicht so recht ins damals gezeichnete Bild, was am Steinengraben geschehen soll. Dort kaufte sich die Helvetia-Versicherung eine Reihe historisch interessanter Häuser mit dem Ziel, sie für ein neues Bürogebäude abzureissen.
Im Hauptteil der geplanten Überbauung sollen fünf Wohnungen entstehen, im obersten Geschoss des Bürohauses – das sind halb so viele wie bisher. Gesamthaft soll es 18 Wohnungen geben, wobei die Aufrechnung verschiedener Teilprojekt ebenfalls umstritten ist. Die Behörden winkten diese Pläne durch, obwohl das Gesetz bei Abbrüchen verlangt, dass mindestens gleich viel Wohnfläche neu entsteht.
Es bleibt knapp
Damit diese Rechnung aufgeht, hat die Helvetia sämtliche Treppen, Liftschächte, die Einstellhalle, Kellerräume und die Eingangslobby als Wohnfläche aufgeführt (sowohl beim bestehenden wie beim geplanten Wohnraum) – und das Baudepartement hat grünes Licht gegeben. Das Argument dahinter: All diese Räume würden in direktem Zusammenhang mit den Wohnungen stehen und die Wohnqualität erhöhen.
Trotz aller Kniffe bleibt es knapp für die Helvetia-Versicherung. Selbst bei grosszügiger Auslegung des Gesetzes könnte das Projekt noch kippen. Vor Gericht wird nämlich auch die Frage verhandelt, ob einer der Bäume, der gemäss behördlicher Anordnung neu gepflanzt werden muss, genügend Platz hat, um seine Wurzeln voll zu entwickeln.
Ein beigezogener Baumexperte hatte daran erhebliche Zweifel.
Die vermeintliche Nichtigkeit könnte grosse Auswirkungen haben. Denn für den Baum will die Helvetia-Versicherung einen Schacht in der geplanten Tiefgarage aussparen. Hält das Gericht diesen Schacht für zu klein, kann die Tiefgarage nicht gebaut werden – und ohne die Parkplätze fehlen entscheidende Quadratmeter Wohnfläche in der Endabrechnung. So könnte ein Baum den Streit am Steinengraben entscheiden.
«Es ist absurd, Parkplätze, Treppenhäuser und ähnliches als Wohnfläche zu bezeichnen.» Thomas Grossenbacher
Die Debatte aber um die Auslegung des Wohnraumfördergesetzes wird weitergehen. Der grüne Grossrat Thomas Grossenbacher setzt sich schon länger mit der Situation am Steinengraben auseinander. Er hat bei der Petition geholfen, welche die Mieter gegen den Abbruch eingereicht haben, und versuchte, in der zuständigen Kommission am Bauprojekt zu rütteln.
Grossenbacher hält den Abriss der Häuser für falsch, weil günstiger Wohnraum verloren geht, um bereits ausreichend vorhandene Büroräume zu schaffen. Nun will er darauf hinwirken, dass die Auslegung des Wohnraumfördergesetzes «im Sinne des Gesetzgebers» erfolgt. Es werde Gespräche mit dem Baudepartement geben, mit dem Ziel, eine Praxisänderung zu erwirken.
«Es ist vollkommen absurd, Parkplätze, Treppenhäuser und ähnliches als Wohnfläche zu bezeichnen, das entspricht in keiner Weise dem, was mit dem Gesetz geplant war.» Sollten die Gespräche keine Ergebnisse bringen, werde man das Gesetz anpassen müssen, sagt Grossenbacher.
Grossenbacher ist nicht der einzige Mitstreiter der Bewohner am Steinengraben. Stiftungen, politisch Engagierte, Bewohner anderer vom Abriss bedrohter Häuser stehen in regem Austausch, verschiedene öffentliche Aktionen sind geplant.
Der Gerichtstermin am 25. September dürfte nur der Auftakt sein zur grossen Richtungsdebatte über die Basler Wohnbaupolitik.