Das Publikumsinteresse war gross, als die TagesWoche vor zwei Jahren auf die Bildserie einer unbekannten Künstlerin oder eines Künstlers aufmerksam machte. Wer mochte hinter den hastig aufgetragenen Plakaten stecken, die wahrscheinlich nachts an ikonischen Schauplätzen der Stadt über die Werbeflächen ausgewählter Litfasssäulen geklebt wurden?
Das Rätsel blieb ungelöst. Was ebenfalls blieb, war die heimliche Freude am Entdecken der Bilder, zumal damit wohltuende Ruheinseln in die zuweilen aggressiv ausstrahlenden Werbeflächen gepflockt wurden.
Die Kunst schlägt dem Kommerz ein Schnippchen. Und alle schauen zu. Ein diebischer Genuss.
Nun sind vereinzelte Neuauflagen des heimlichen Stadtszenenmalers erschienen und die Machart gleicht sich aufs Haar: Wieder dient simples Packpapier als Grundlage, wieder werden vorzugsweise alte Gebäude so inszeniert, dass die Plakate ihren Motiven wie ein vorgezogener Schattenwurf voranstehen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Der oder die anonyme Künstler/in soll hier nicht enttarnt werden.
Der Öffentlichkeit machen die Bilder das reizvolle Angebot, sich auf ein Rätselraten einzulassen, Fragen zu stellen, Vermutungen zu hegen, das Nichtwissen gemeinsam zu kultivieren. Einfach mal wieder guten Gewissens keine Ahnung haben, was gibt es Schöneres?
Wir vermuten hinter der Person eine präzise Beobachterin, die ihre Objekte vermutlich fotografiert und in einem Studio nachmalt. Die Farbpalette ist spartanisch gewählt. Weiss, schwarz, blau, gelb, fahrige Linien, präzise gesetzt. Eine klare künstlerische Handschrift. Die Plakate werden in drei Streifen geschnitten und dann eilig, wahrscheinlich nachts, über die bestehenden Plakate aufgeklebt.
Die Person, die diese Bilder klebt, will unsichtbar bleiben und doch prominent gesehen werden.
Das erfordert Präzision, vielleicht sogar Teamarbeit. Platziert werden die Bilder fast ausschliesslich an neuralgischen, belebten Orten, wie am Marktplatz, an der Kannenfeldkreuzung oder am Claraplatz.
Die Person, die diese Bilder klebt, will inkognito auf die grosse Bühne, sie will unsichtbar bleiben und doch prominent gesehen werden. Wir attestieren ihr heimlichen Geltungsdrang ohne Allüren. Vielleicht steht sie manchmal in der Nähe ihrer Bilder und beobachtet Passanten, die ihre Kunst beobachten. Vielleicht reist sie jeweils im Tross der Art-Besucher in die Stadt, denn die Bilder tauchen zeitlich im Umfeld der Kunstmesse auf. Dann wäre die Künstlerin eine Fremde, eine Besucherin Basels und bekäme vom heimlichen Applaus gar nichts mit.
Vielleicht ist sie eine alteingesessene Baslerin, vielleicht ist er Ur-Basler. Vielleicht sitzt sie im Tram neben Ihnen, während Sie diese Zeilen lesen. Fragen Sie doch mal nach.
Haben Sie in der Stadt auch Bilder des Ghostpainters entdeckt? Wir freuen uns über Fotos auf Facebook, Twitter, Instagram oder an: info@tageswoche.ch