Ein hagerer Mann mit breiter Stirn steht im Kuppelbau der Sternwarte auf dem Basler Margarethenhügel neben einem eleganten Fernrohr. «Warum kann man mit einem solchen Instrument die Sterne besser beobachten?», fragt er. Vielleicht wegen der optischen Linsen in der Röhre, die das beobachtete Objekt vergrössern, schlägt jemand aus dem Publikum vor. Manfred Grünig, Demonstrator der Sternwarte, gibt sich mit der Antwort nicht zufrieden.
Die Vergrösserung allein mache es nicht, erklärt der Mann, der zunächst etwas kauzig wirkt. Die menschliche Pupille habe einen Durchmesser von acht Millimetern, erläutert er, das Fernrohr hingegen – Grünig zeigt auf die Öffnung – sei vorne 190 Millimeter breit. Es sammelt das Licht und leitet es dann gebündelt in die Pupille.
Im Vergleich zu dem Fernrohr ist Grünig ziemlich jung. Der Mann hat Jahrgang 1945, der Merz-Refraktor Baujahr 1878. Die Sternwarte verfügt auch über moderne Spiegel-Teleskope, der alte Refraktor ist aber Grünigs liebstes Stück: Weil er seine Position noch von Hand einstellen muss (und nicht mit dem iPad).
Das Fernrohr stand ursprünglich im Basler Bernoullianum, das früher als Sternwarte diente (wie noch heute an der Kuppel auf dem Dach zu erkennen ist). Nach und nach wurde es in der Stadt aber zu hell für astronomische Beobachtungen. Strassenlampen und Scheinwerfer sind für Sterngucker fast noch ärgerlicher als Wolken.
Deshalb zog die Sternwarte 1929 an die Venusstrasse auf dem Margarethenhügel in Binningen. Jahrzehnte später störte auch da das Streulicht, weshalb das Astronomische Institut der Uni Basel in Metzerlen eine Aussenstation bauen liess.
«Wir sind in einer Sternwarte, das bedeutet, dass wir auf Sterne warten müssen.»
Grünig bittet an der Führung in Binningen ein Kind, an einem Handrad zu drehen. Es dauert, bis sich das Kuppeldach, das er durch Ziehen an einer Kette geöffnet hat, ächzend in die richtige Position dreht. Nun könnte man mit dem Fernrohr durch die Luke aufs nächtliche Firmament spähen. Doch der Himmel ist wolkenverhangen, an astronomische Beobachtungen ist nicht zu denken. «Wir sind in einer Sternwarte, das bedeutet, dass wir auf Sterne warten müssen», sagt Manfred Grünig und erntet ein paar Lacher.
«Führungen müssen volkstümlich sein», erklärt Grünig später im Gespräch. Mit einer selten zu sehenden Galaxie, die im Fernrohr nur als «schwaches Nebeli» zu erkennen sei, könne man das Publikum kaum begeistern. Er sitzt an einem langen Tisch, den Kopf leicht nach vorne gebeugt. An einer Wand hängen Collagen von Schülern, die sich für einen Rundgang in der Sternwarte bedanken.
560 Schulklassen und Firmen hat Grünig hier schon in die Geheimnisse der Astronomie eingeführt, dazu kommen die öffentlichen Führungen, die jeweils am Freitagabend stattfinden (siehe Fussnote).
Grünig ist kein Studierter, wie übrigens viele der 160 Mitglieder des Astronomischen Vereins nicht, der die Sternwarte seit der Schliessung des Astronomischen Instituts der Universität im Jahr 2007 betreibt. Er stammt aus einfachen Basler Verhältnissen, sein Vater war Schneider.
In seiner Jugend schaute er noch nicht in die Sterne, «das war etwas für Akademiker». Er absolvierte eine Stationslehre bei den SBB und war in verschiedenen Bahnhöfen von Sissach bis Sachseln tätig. Nach sieben Jahren wechselte er in die Reisebranche und begann selbst, ausgedehnte Reisen zu unternehmen. Er gelangte bis nach Chile und Australien – und entdeckte dort seine Liebe zu den Sternen.
Das Kreuz des Südens, eine markante Sternengruppe, die man nur auf der Südhalbkugel sieht, faszinierte ihn. «Heute würde man sagen: Wow!», erzählt Grünig mit einem verschmitzten Lachen. Beruflich stieg er bis zum Partner eines Reisebüros am Aeschengraben auf.
Er ist verheiratet mit einer Grafikerin, Kinder hat er aber keine: «Dafür hatte ich keine Zeit.» Er mag es, Schulklassen in den Kosmos der Sterne einzuführen, auch wenn vielleicht nur drei, vier Kinder pro Klasse wirklich für das Thema empfänglich seien. Seit sechs Jahren ist er pensioniert. Er sagt, er vermisse manchmal den Anstand bei der jungen Generation, weist aber darauf hin, dass der Altersunterschied zwischen ihm und den Schülern halt ziemlich gross geworden sei.
Der Blick in die Sterne relativiert für Grünig die menschlichen Probleme. An einen Schöpfer glaubt er aber nicht.
Vor 20 Jahren trat Grünig dem astronomischen Verein bei, vor zehn Jahren begann er mit den Führungen, heute amtet er auch als Vizepräsident. Er zeigt den Besuchern entfernte Galaxien wie den Andromeda-Nebel. Faszinierend sind auch die Planeten, die Himmelskörper also, die wie die Erde um die Sonne kreisen. «Der Saturn mit seinen Ringen ist für viele Besucher ein Highlight.» Er ist mit einem Fernrohr einfach zu beobachten.
Die Astronomie relativiert auch viele Alltagssorgen. «Wir haben eine Kundin, die immer wieder zu uns kommt», erzählt Grünig. Wenn sie Ärger habe, verschaffe ihr der Blick ins Weltall Entspannung.
Auch Grünig kennt dieses Gefühl. «Angesichts der Grösse des Universums wird man demütig.» Wenn man eine Person auf dem nächsten Fixstern Alpha-Centauri anrufen könnte, würde es vier Jahre dauern, bis das Signal dort eintrifft. Und noch einmal vier Jahre, bis die Antwort wieder zurück auf der Erde wäre. Der Blick in die Sterne relativiere die menschlichen Probleme, sagt Grünig. An einen Schöpfer glaubt er aber nicht.
An diesem wolkigen Abend zeigt er als Trost für die entgangene Sternbeobachtung eine Art Zeitmaschine. Es handelt sich um ein Modell unseres Sonnensystems, das er an die Wand projiziert. Zunächst bewegen sich die Erde und die Planeten von Merkur bis Neptun in Echtzeit um die Sonne, im Jahr 2018. Die Bewegungen der Himmelskörper sind so langsam, dass sie von Auge nicht wahrzunehmen sind.
Dann schaltet Grünig den Zeitraffer ein, so dass zunächst Tage, dann Monate und schliesslich Jahre in Sekunden verfliegen. Die Planeten drehen immer schneller und die Zuschauer altern quasi in einem Wimpernschlag, da das Datum in der Animation munter mitzählt. «Die Kinder freuen sich immer darüber, die Erwachsenen vielleicht weniger», hält Grünig lakonisch fest.
Inzwischen lässt er die Erde in einer Sekunde um die Sonne rasen (das entspricht einem Jahr), und auch die Bewegung des von der Wissenschaft zum Zwergplaneten degradierten Pluto ist flott. Wir sind im Jahr 2265 angelangt. Die Zuschauer inklusive der jüngsten Kinder werden dann nicht mehr da sein, das Fernrohr vielleicht in einem Museum stehen. Grünig stoppt den Zauber mit einem Klick und stellt wieder auf Echtzeit um – wir sind zurück in der Gegenwart.
Nach einem kurzen Blick in den Spiegel – die Falten sind nicht tiefer geworden – schreitet man erleichtert in die wolkige Winternacht: Saturn und Andromeda müssen warten, der Demonstrator der Sternwarte weiss, wo sie zu finden sind.
Roter Planet und roter Erdtrabant
Die Sternwarte St. Margarethen in Binningen ist bei wolkenlosem Himmel jeden Freitagabend für Beobachtungen geöffnet: während der Winterzeit von 20 bis 22 Uhr, im Sommer von 21 bis 23 Uhr. Eine Voranmeldung ist nicht nötig, Telefon 061 422 16 10 (Automat) gibt freitags ab 18.30 Uhr Auskunft, ob die Sternwarte offen ist.
Im laufenden Jahr sehen Astronomen nicht schwarz, sondern rot: Am 27. Juli wird von Mitteleuropa aus das Ende einer totalen Mondfinsternis zu sehen sein. Dabei färbt sich der Erdtrabant dunkelrot. Ebenfalls an diesem Tag befindet sich der Mars in Opposition, der rote Planet steht von der Erde aus gesehen exakt auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne (und die Erde nähert sich dem Nachbarplaneten damit maximal an). In dieser Nacht wird die Sternwarte sicher von Besuchern überrannt, ein Besuch lohnt sich allerdings auch an einem andern Freitag – so lange der Himmel klar ist.