Erwartungen? «Absolut keine», sagt die Holländerin, Mitte vierzig, Kurzhaarschnitt, die zum ersten Mal nach Basel kommt. Es ist 10 Uhr an einem Freitag im September. Der Flughafenbus fährt los in Richtung Bahnhof SBB. Frau Van Dijk sitzt mit einer Gruppe von fünf Frauen im Bus. «Das Wochenende in Basel war ein Überraschungsgeschenk», erklärt sie und strahlt. Sie wollten einfach shoppen gehen, ein bisschen Sightseeing machen, vielleicht in den Ausgang. Wenn es den Easyjet-Hub Basel nicht gäbe, wären die fünf Frauen jetzt vielleicht in London oder Paris. Der günstige Flugpreis habe den Ausschlag gegeben, so Van Dijk.
Nebenan sitzt ein Professor, ebenfalls aus Amsterdam, der seit acht Jahren jeden Monat nach Basel fliegt, um seine Tochter zu besuchen. Und weiter vorne sitzen zwei Männer, die mit der Billig-Airline aus Rom angeflogen sind – geschäftlich.
Der Bus hält vor dem Bahnhof. Die Temporär-Basler schwärmen aus.
«Was bringen die Easyjet-Passagiere Basel?», hatte uns ein Leser in der Rubrik «Stadtgespräch» gefragt. Wir gingen dieser Frage nach, indem wir Experten befragten, Statistiken anschauten und Passagiere interviewten.
Das Resultat: Easyjet bringt nicht nur neue Touristen, die Fluggesellschaft nützt auch der Wirtschaft und hat einige überraschende Nebeneffekte.
Aber von vorne.
Seit 2004 fliegt Easyjet ab Basel. Die Entwicklung seither liest sich wie eine nicht enden wollende Erfolgsgeschichte: Waren es 2005 noch 700’000 Passagiere, befördert die Fluggesellschaft heute über vier Millionen Passagiere von und nach Basel.
2004 bot Easyjet ab Basel nur Flüge nach London an. 2005 hatte das Unternehmen bereits drei Flugzeuge hier stationiert und flog 13 Destinationen an. Das war in einer Zeit, als sich der EuroAirport vom Swissair- und Crossair-Debakel erholte – ein Investor wie die Billig-Airline kam da wie bestellt.
Jedes Jahr präsentierte Easyjet neue Flüge. Von Basel gings plötzlich nach Istanbul, Sardinien (Olbia und Cagliari) und Thessaloniki. Heute sind es 57 Destinationen ab Basel – damit ist der EuroAirport die Nummer fünf unter den 24 Easyjet-Basen.
Am EuroAirport ist Easyjet längst die Nummer eins. Die Fluggesellschaft befördert 61 Prozent der Passagiere am Basler Flughafen. Easyjet beschäftigt in Basel-Mulhouse 339 Angestellte und ist damit der fünftwichtigste Arbeitgeber am Standort.
Und Easyjet will weiter ausbauen. Nachdem Frankreich und die Schweiz sich im Steuerstreit einigen konnten, rechnet der Nordeuropa-Chef von Easyjet, Thomas Haagensen, damit, «in naher Zukunft die Basler Flotte zu vergrössern und damit die Anzahl unserer Arbeitsplätze deutlich steigern» zu können.
Zürich ist für die Fluggesellschaft noch immer kein Thema. Der Flughafen sei einer der teuersten Standorte in Europa, weshalb man sich in der Schweiz lieber auf Basel und Genf konzentriere, so Haagensen. Aktuell führt Easyjet nur neun Reiseziele ab Zürich.
Daniel Egloff, der Direktor von Basel Tourismus, weiss um den Wert, den Easyjet nach Basel bringt. «Dass Easyjet mehr Übernachtungen bringt, ist unbestritten», sagt er. Aber es sei nicht nur das: «Easyjet ist für uns ein zusätzlicher Kommunikator für den Basler Tourismus.» Jedes orange Inserat, jede Broschüre, in der Basel vorkommt, wirbt nicht nur für den Flug nach Basel, sondern auch für Basel als Reisedestination.
«In Zusammenarbeit mit Easyjet betreuen wir regelmässig Medienreisen nach Basel», sagt Egloff. Auf diese Weise kommen Journalisten aus der ganzen Welt nach Basel und schreiben danach, wie schön es hier ist. Auch planen Basel Tourismus und Easyjet zusammen Kampagnen, die Touristen nach Basel locken sollen.
Eine Befragung von Schweiz Tourismus aus dem Jahr 2013 besagt, dass 40 Prozent der Freizeitgäste in Basel, die mit dem Flugzeug anreisen, mit Easyjet fliegen. Das heisst: Etwa jeder siebte Tourist in Basel kommt mit Easyjet.
Die Zahlen des Statistischen Amts bestätigen den Trend: Die Zahl der Übernachtungen steigt, seit Easyjet sein Angebot ausgebaut hat. Wenn eine neue Destination angeflogen wird, schnellen die Logiernächte von Gästen aus den betreffenden Ländern teilweise empor. Als Easyjet neue Ziele in England und Spanien anflog, stieg auch die Zahl der Übernachtungsgäste aus diesen Ländern drastisch an.
Die Statistik zeigt aber noch mehr: Bis 2004 stiegen die meisten Gäste in Basel in 5-Sterne-Hotels ab. Nach 2004 gingen die Übernachtungen bei Luxushotels stetig zurück (gelbe Fläche auf der Grafik) – was auch damit zu tun hat, dass es in Basel immer weniger 5-Sterne-Häuser gibt. Bei den tiefer klassierten Hotels steigen die Übernachtungen nach dem Auftritt von Easyjet hingegen an.
Das heisst: Die Billig-Airline bringt nicht nur mehr Touristen, sondern auch andere. Gäste eben, die in günstigeren Hotels absteigen.
Für Jintana Wesseling ist Basel mehr als ein Wochenend-Trip. Die Holländerin unternimmt die Reise seit Anfang Jahr regelmässig, weil ihr Freund hier wohnt. Basel sei nicht die grosse hektische Stadt, aber umso mehr angenehm und lebendig, erklärt sie, während sie am Check-in-Schalter ansteht.
Gerade fliegt Wesseling nach drei Wochen bei ihrem Freund zurück. In Basel fühle sie sich mittlerweile «pretty much at home», also fast zu Hause. Sie mag das Quietschen, wenn die Trams um die Ecke biegen, und die babylonische Sprachenvielfalt auf der Strasse. Die 32-Jährige geniesst den städtischen Flair und die Nähe zur Natur.
Easyjet ist längst mehr als ein Transportmittel. Die Fluggesellschaft hat ein neues Gefühl geschaffen: Das Gefühl, von Basel nach Amsterdam nur 85 Minuten zu brauchen und fast jede Stadt in Europa ohne Weiteres für ein paar Tage besuchen zu können. Es ist dieses Easyjet-Gefühl, das längst in Basel angekommen ist und auch vielen Baslern bekannt ist.
Auch Pedro Chacón kennt die Leichtigkeit des Fliegens. Der Kubaner steht in der Schlange beim Check-in, für 40 Euro fliegt er nach London, wo er als DJ auflegt. Er wohnt in Biel und fliegt fast wöchentlich ab Basel zu seinen Auftritten irgendwo in Europa. «Ohne Easyjet wäre das für mich nicht möglich», erklärt der 31-Jährige.
Laut Easyjet Schweiz fliegen von und nach Basel im Durchschnitt etwa 20 Prozent Geschäftskunden. Die Zahlen würden aber stark variieren. Auf einem Montagmorgen-Flug nach London fliegen naturgemäss mehr Business-Passagiere als auf einem Samstag-Flug nach Málaga.
Fakt ist: Internationale Firmen mit Sitz in Basel profitieren vom stetigen Easyjet-Ausbau am EuroAirport. Bekannt ist, dass Novartis mit der Billig-Airline 2013 einen Vertrag für Business-Passagiere aushandelte. Das Pharma-Unternehmen war zuletzt aber nicht mehr ganz zufrieden damit, welche Destinationen Easyjet ins Angebot aufnahm, das berichtete die «Schweiz am Wochenende» vor über einem Jahr.
Novartis bestätigt auf Anfrage, dass der Vertrag mit Easyjet noch besteht, will sich aber nicht zu weiteren Details äussern. Roche hingegen sagt nicht, ob ein Vertrag besteht oder nicht. Grundsätzlich habe man aber ein grosses Interesse an einer guten Flug-anbindung.
Neben all dem Nutzen, den die orangen Flieger für Wirtschaft und Bevölkerung bieten, gibt es auch den Ärger, den Easyjet bringt. Nicht zuletzt wegen der Billig-Airline steigt die Frequenz der Starts und Landungen am EuroAirport, und deswegen streiten sich Anwohner seit Jahren mit den Flughafenbetreibern und der Politik.
Im Prinzip geht es allen Anwohnern darum, weniger Starts und Landungen zu erwirken und die Flugzeiten zu beschränken. Dabei spielen sich die verschiedenen Interessengruppen auch gegenseitig aus: Die Elsässer wollen mehr Starts über Schweizer Boden, die Allschwiler reden die Elsässer Kritiker klein.
Eine Lösung ist nicht in Sicht. Zwar versprechen Flughafen und Fluggesellschaften, den Lärm zu reduzieren. Aber mit immer mehr Flugzeugen ist das gar nicht so einfach.
Easyjet testet bereits ein leiseres Flugzeug, das weniger als 50 Prozent des herkömmlichen Fluglärms produziert. Wann die ersten davon in Basel landen werden, ist allerdings unbekannt.
Am Easyjet-Check-in-Schalter ebbt der Schwall an Fluggästen langsam ab. Bristol, Amsterdam und Brindisi sind startklar. Vor dem Eingang zum Sicherheits-Check steht Quentin Doppl und schaut nervös auf seine Boarding-Karte. In einer Stunde geht sein Flug nach Prag, wo er Freunde besuchen will. Er fliegt zum allerersten Mal. Bisher ist der Tourismus-Student auf seinen Reisen nach Italien, Deutschland und Tschechien immer mit dem Auto gefahren. Jetzt will er das Fliegen ausprobieren.
Hastig verabschiedet sich Doppl, er müsse los. Ist er nervös? «Nicht besonders. Ich hab Vertrauen», sagt Doppl verschmitzt und verschwindet hinter der orangen Schiebetür.