Am 14. Februar 1981 wurde «Europas grösstes autonomes Jugendzentrum im Sturm erobert». Eine Serie unbewilligter Protestaktionen war der Besetzung der grossen Fabrikliegenschaft vorangegangen, die der PTT bis zum Neubau am Bahnhof gedient hatte. An Demonstrationen, Go-ins (Störaktionen bei anderen Veranstaltungen), Vollversammlungen oder Strassen- und Tramblockaden (Sit-ins) nahmen jeweils 200 bis 700 Demonstrierende teil.
Inspiriert von den Ereignissen rund um die Wiedereröffnung des Zürcher Autonomen Jugendzentrums AJZ, entstand auch in Basel eine eigentliche AJZ-Bewegung. Mit «einem Handstreich» gelang es dann später, das Basler AJZ an der Hochstrasse 16 einzunehmen. Das «Basler Volksblatt» schilderte, wie ein «eingespielter Trupp» im Parterre die Scheiben einschlug und ins Gebäude eindrang: «Das grosse Tor wurde aufgewuchtet, worauf etwa die Hälfte der Manifestanten das seit dem 1. Juni 1980 leerstehende Haus in Beschlag nahm. Die Besetzerinnen und Besetzer zündeten im Hof ein Feuer an und hielten eine Vollversammlung ab».
Die Räumlichkeiten erschienen den Jugendlichen ideal, wie es in der Bewegungszeitung «Querschläger» heisst: «Grosse Veranstaltungssäle, Wohnzimmer, Sitzungszimmer, riesige Keller, um Musik zu machen und richtig zu lärmen, eine guteingerichtete Beiz und sämtliche notwendigen sanitären Einrichtungen waren vorhanden». Den Basler Bewegten ging es nicht nur um günstigen Wohnraum, sondern viel grundsätzlicher um einen «Lebensraum», in dem man «so leben [konnte], wie man mochte».
Ein Flugblatt berichtet, dass die Jugendlichen mit dem AJZ eine «neue Lebensform» verwirklichen, «neue Freiräume für Begegnungen und Ideen» schaffen wollten. Die Idee «der gelebten Gemeinschaft, in der alle Platz haben», stellte ein wichtiges Ziel dar. Historisch lässt sich dieses Ideal auf die Kommunen der 1960er und 1970er zurückführen, aus denen auch das erste Basler AJZ von 1972/73 im Jugendrestaurant Mañana am Claragraben 123 entstanden war. Damals kamen in vielen grösseren Schweizer Städten neue soziale Bewegungen auf, die mittels kreativer Interventionen und Demonstrationen soziale Fragen problematisierten.
Der Kampf gegen Wohnungsnot spielte dabei eine zentrale Rolle. Er wurde an verschiedenen Fronten geführt. Protestbewegungen und die politische Linke bedienten sich parlamentarischer Mittel, nutzten den öffentlichen Raum, um gegen die herrschende technokratische Stadtentwicklung und gegen die staatliche Bau- und Mieterpolitik vorzugehen. Sie forderten den Erhalt gewachsener Altbau- und Quartierstrukturen und skandalisierten in Aktionen den Abriss alter Liegenschaften wie jene an der Ryffstrasse.
Es kam zu Nachbarschaftsanlässen, zu Theaterhappenings und zu einem Sleep-in auf dem Marktplatz. Wiederholt mündete der Mieterkampf in Hausbesetzungen, so etwa im Falle der «Mieteraktion Basel», die im Februar 1979 aus den Auseinandersetzungen um die Liegenschaften am Unteren Rheinweg 44–48 und an der Florastrasse 36–44 hervorgegangen war.
Ein Pfarrer nimmt sich der Wohnungsnot an
In diese turbulente Zeit führt der Nachlass des sozialdiakonisch engagierten Basler Pfarrers Alfred Kunz zurück. Kunz hatte 1979 die Gemeinnützige Stiftung Wohnhilfe gegründet, um sich der damals virulenten Wohnungsproblematik anzunehmen. Die Stiftung existiert bis heute. Mit über 100 Wohnungen bietet sie Erwachsenen mit psychischen, sozialen oder Suchtproblemen Wohnraum und fachliche Betreuung an.
Als Pfarrer Kunz am 5. Mai 2012 im Alter von 90 Jahren starb, begann sich die Stiftung Wohnhilfe intensiv mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Sie initiierte dazu ein Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse nun als Sammelband vorliegen (siehe Infokasten). Die Geschichte der Stiftung Wohnhilfe und ihres Gründers sind mit der Geschichte der sozialen Kämpfe zur Wohnungsfrage eng verwoben. Denn die Wohnhilfe war eine Reaktion auf jene prekären Wohnungslagen, die von den Jugend- und Protestbewegungen artikuliert worden waren.
Auf den Spuren von Pfarrer Kunz offenbarte sich uns das Problem der Wohnungsnot in einem jugendpolitischen Zuschnitt. Das zeigten unsere Recherchen im Basler Staatsarchiv und im Sozialarchiv in Zürich. Der Häuser- und Mieterkampf galt zuweilen auch radikalen Gegenentwürfen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Wir trafen auf die alternative Lebensform der Kommune, auf politisch motivierte Hausbesetzungen und auf das Autonome Jugendzentrum AJZ, mit denen sich das Problem der Wohnungsnot zu einem brisanten gesellschaftlichen Konflikt entwickeln sollte.
Von der bösen Kommune zur pragmatischen WG
Obwohl die Basler Kommunen eher klein und unbeständig blieben, riefen sie in den 1970er-Jahren bei Bürgern Ängste hervor. Sie wurden staatlich kontrolliert, der Bestand detailliert erfasst. Polizeidossiers aus dem Basler Staatsarchiv dokumentieren die Überwachung der neuen kollektiven Lebensformen. Die Aufnahme von Straffälligen, das Zusammenleben im Konkubinat oder die Verbreitung von marxistischem Gedankengut wirkten beunruhigend.
Oft standen die Kommunen pauschal unter dem Verdacht der Illegalität. Entsprechend schwierig war es, Zugang zum Wohnungsmarkt zu finden und eine Kommune zu gründen. So rasch die Kommunen aber zu einem polizeilich überwachten Problem geworden waren, so schnell verschwanden sie auch wieder vom Radar.
Bereits 1972 galt die Wohngemeinschaft (WG) als eine pragmatische Form der gemeinsamen Haushaltsführung, die in der Gesellschaft und bei der Polizei akzeptiert wurde. Ein Bericht des Fahndungsdienstes von 1972 unterscheidet nun zwischen «sauber geführte[n] Wohngemeinschaften von Studenten (wirklichen) oder berufstätigen jungen Leuten […], die sich hauptsächlich aus ökonomischen Gründen oder im Interesse der Geselligkeit zusammengetan haben» und «anderen, eben nicht ganz ‹stubenreinen› Wohngemeinschaften» – die «jedermann zugänglichen offenen Kommunen». Diese betrachtete der Regierungsrat als ein Hort für die Ansammlung «undurchsichtiger» oder «lichtscheuer Elemente».
Zu den besonderen Problemfällen zählte die Polizei die drei Liegenschaften am Spalenring 121–125, in denen sich diverse Kommunen und die Notschlafstelle Sleep-in befanden. Ebenfalls am Spalenring wohnte die im «makrobiotischen Restaurant Mañana arbeitende Belegschaft». Neben dem «Mañana» war in einer Liegenschaft am Claragraben der Treffpunkt Spectro-Machie eingemietet, der als Tummelplatz für «Betäubungsmittel-Konsumenten und -Händler» galt. Die Polizei stellte fest, dass sich dort stets auch «Entwichene, Entlaufene etc.» aufhielten.
Erstes Basler AJZ
Nach einem Überfall der Jugendgruppe der Rocker waren das «Mañana» und der Treffpunkt Spectro-Machie per Ende Februar 1972 geschlossen worden. Am 1. März 1972 wurde die Liegenschaft besetzt, womit die Zeit des ersten Autonomen Jugendzentrums in Basel begann. Dieses AJZ sollte etwas mehr als ein Jahr bestehen.
Ein Manifest hielt fest: «Wir wollen unser Zusammenleben autonom gestalten. Falls diese Gesellschaftsordnung nicht fähig ist, die grotesk hohen Mietzinspreise herabzusetzen und die Moralvorschriften abzuschaffen, verlangen wir vom Staat die Bereitstellung von Räumlichkeiten und Häusern, wo wir Kollektive und Kommunen aufbauen können. Wir fordern freie Wahl zwischen Elternhaus und unabhängigen Wohnkollektiven.»
Ein Teil der Räumlichkeiten war öffentlich zugänglich. Die Jugendlichen betrieben eine Teestube und eine Diskothek, es wurden Vollversammlungen abgehalten, Filme gezeigt, Vorträge und Anlässe durchgeführt. Im 1. und 2. Stock befanden sich die Kommunen. Hier schliefen die Betreiber des «Mañana» und nach der Räumung des Spalenrings «die Spaleringgruppe». Zu gewissen Zeiten nächtigten im AJZ weit über 100 Personen, zumeist Jugendliche.
Vorerst wurde das AJZ von den Behörden geduldet. Mit Blick auf die Zürcher Unruhen verfolgten sie eine deeskalierende Strategie. Zu einer Zuspitzung des Konflikts kam es Anfang September 1972 nach einer Solidaritätsdemonstration für die Besetzung am Spalenring. Jugendliche waren ins Hotel Drei Könige eingedrungen. Diese Intervention endete nicht in einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit der Polizei. Sie führte aber zu einer erhöhten öffentlichen Sichtbarkeit des Konflikts.
Die Auseinandersetzungen um die Autonomen Jugendzentren fanden nicht nur zwischen Polizei und Jugendbewegungen statt. Sie erfassten die breite Bevölkerung, wie das Beispiel des zweiten AJZ von 1981 eindrucksvoll zeigt. «Wie sicher ist Basel?», war im Gratisanzeiger «Doppelstab» vom 22. August 1980 zu lesen, worauf Regierungsrat Schnyder beschwichtigend antwortete, dass für die Bevölkerung kein Grund bestehe, «diese Sicherheit in Frage zu stellen».
Eine Woche später mahnte der Chefredaktor des «Doppelstabs» aber, dass es jetzt gefährlich werde, weil nun «sehr hörbare Teile der Bevölkerung sich nichts mehr von der Art bieten lassen» wollten.
Der Bewegungsfilm «Es herrscht wieder Frieden im Land» dokumentiert den brodelnden Konflikt. Das sei nur noch «ein wilder Haufen» gewesen, man sei «des Lebens nicht mehr sicher» gewesen, klagen Bürgerinnen und Bürger. Farbe sei «aus den Fenstern rausgeflogen, wenn man durchlief, auf die Autos hinunter», es sei «kriminell zu und hergegangen», und das «Rauschgift [sei] kiloweise dort drin gehandelt» worden. In einer von 259 Personen unterschriebenen Petition wurde die Regierung dringend dazu aufgefordert, «in der Umgebung der Liegenschaft Hochstrasse 16 wieder verhältnismässige, anständige Zustände zu schaffen».
Am 3. Mai 1981 überschlugen sich die Ereignisse. Der Konflikt um das Basler AJZ artet zur sogenannten «Schlacht auf der Peter-Merian-Brücke» aus. Im Film rückt nun die Polizei in militärischem Stil an, als ein aggressiver Mob sich bei der Steinenschanze unkontrolliert ausbreitet. Immer unklarer wird im Film, wer zu den Bewegten und wer zu ihren Gegnern gehört, wer als Beobachter oder Journalistin am Rande steht oder sich als militanter Aktivist einmischt. Die Lage wirkt gefährlich, die Stimmung in der Stadt explosiv. Das wilde Durcheinander drohte sich zu einem Flächenbrand auszuwachsen und die städtische Ordnung zu destabilisieren.
«An der Autonomie eines AJZ geht der Staat nicht zugrunde; am Staat sollte die Autonomie des AJZ nicht zugrunde gehen.»Hans Saner
Die Regierung kam zum Schluss, dass es ein Jugendzentrum «JZ mit einem ‹A› davor» nicht mehr geben könne, ein «derartiger, rechtsfreier Raum» sei «nicht akzeptabel». Seit der Besetzung bildete das AJZ «eine ständige Quelle zunehmender Unruhe», resümierte Regierungsrat Karl Schnyder: Es sei «absolut undenkbar, dort weiter zu wirtschaften, dort weiter zu vegetieren – wohnen kann man ja dem schlechterdings nicht sagen […]. Aus dieser Sicht [muss] das Experiment in dieser Form als endgültig gescheitert betrachtet» werden.
Während der Staat die Rechtsordnung bedroht sah, betonte Pfarrer Kunz, dass die AJZ-Bewegung das Rechtswesen «nicht so sehr durch Rechtsbrüche, als vor allem politisch» herausfordere. Der Basler Philosoph Hans Saner kam in seiner Analyse zum Schluss: «An der Autonomie eines AJZ geht der Staat nicht zugrunde; am Staat sollte die Autonomie des AJZ nicht zugrunde gehen.» Auf solche Diskussionen wollte oder konnte der Staat sich nicht einlassen. Die Polizei stellte klar, dass es in einem Rechtsstaat keine rechtsfreien Räume geben könne.
Die Gegenkräfte zum AJZ kamen aber nicht nur von aussen. Von Anfang an gab es sie auch im Inneren des AJZ. Die AJZler beklagen die Sogwirkung des AJZ, womit sich die sozialen Probleme im AJZ kumulierten. Das führte zu gravierenden internen Spannungen. Die Arbeitsgruppe Sanität klagte über die vielen Junkies und übers Klauen, über Hänger und Schmarotzer, die sich in der Beiz gratis verköstigten.
Die Küchengruppe und die Technogruppe traten in einen Streik und die Vollversammlung schrumpfte auf einen harten Kern zusammen. Die Passivität der Besucherinnen und Besucher wurde zur Belastungsprobe. Statt das AJZ aktiv mitzutragen, hingen die Leute im AJZ einfach ab. Am 5. Mai 1981 überraschte die Polizei die schlafenden Besetzerinnen und Besetzer mit einer Razzia. Daraufhin wurde das AJZ geschlossen.
Vergesellschaftung des Unheimlichen
Für die Mehrheitsgesellschaft entpuppte sich das AJZ als ein unberechenbarer und unheimlicher Raum, der nicht greifbar, nicht ansprechbar oder steuerbar schien. Dieser Raum befand sich aber dennoch inmitten unserer Gesellschaft. Das AJZ war Utopie und Dystopie zugleich, gleichsam Segen und Alptraum; etwas, das man weder ignorieren noch einordnen konnte, dennoch aber einen Ort hatte – ein Raum, der für Staat und weite Teile der Gesellschaft nicht «lebensfähig» war.
Die weitere Geschichte lässt die Stiftung Wohnhilfe als ein Beispiel zur Bearbeitung und Transformation der damaligen gesellschaftlichen Konflikte erscheinen. An die Stelle des öffentlichkeitswirksamen kollektiven Konfliktraums der offenen Kommune oder des AJZs tritt ein individuell-privater, sozialpädagogisch betreuter Wohnraum. Anders leben und wohnen ist auch heute bis zu einem gewissen Grad möglich, aber nur in Räumen, die die Gesellschaft nicht fundamental verunsichern und die der Staat akzeptiert.
Demgegenüber blieb Pfarrer Kunz ambivalent: Die Jungen «müssten das Vertrauen gewinnen, dass sie mit diesen Älteren zusammen eine grosse verändernde Macht bilden können, die es nicht nötig hat, mit Krawall und Zerstörung vorzugehen, sondern mit wirksameren und zugleich menschlicheren Mitteln kämpfen kann». Wie es heute um diesen Kampf steht, wird noch zu beurteilen sein.
Esteban Piñeiro forscht und lehrt an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.
Das Buch hinter dem Artikel
Esteban Piñeiro/Seraina Winzeler (Hrsg.): «Wohnungsnot als gesellschaftlicher Konflikt. Alfred Kunz und die Gemeinnützige Stiftung Wohnhilfe Basel». Verlag Schwabe, Basel 2017.
In einem ersten Teil folgen Esteban Piñeiro und Seraina Winzeler den Spuren des Stiftungsgründers Alfred Kunz und legen die heute kaum mehr sichtbaren gesellschaftspolitischen Kontexte der Gründerzeit der Stiftung frei. Sandra Janett rekonstruiert den fachlichen Weg der Wohnbegleitung bis in die Gegenwart und der ehemalige Stiftungsrat Andreas Manz problematisiert in seinem Rückblick das Spannungsfeld zwischen professioneller Hilfe und Bürokratie. Im zweiten Teil widmet sich Silke Müller-Hermann dem Denken und Wirken von Alfred Kunz. Urs Kaegi befasst sich mit der Praxis des Stiftungsrates und beleuchtet strategische Herausforderungen. Peter Kury und Axel Delvoigt als heutige Vertreter der Stiftung sehen in der Professionalisierung die Grundlage für eine stabile Weiterentwicklung.