Versprayte Hauswände schrecken noch lange keine Investoren ab

Sprayer wollen Trendquartiere gezielt abwerten, indem sie Fassaden verschandeln. Die Interessensvertreter der Immobilienbranche zeigen sich wenig beeindruckt.  

Die Graffitidichte in Basel hat im ersten Halbjahr 2018 deutlich zugenommen, das bestätigt das Tiefbauamt auf Anfrage der TagesWoche am Donnerstag.

Besonders betroffen sind neben den zentrumsnahen Quartieren jene Viertel, die seit Jahren als Trendquartiere gehandelt werden. Gute Lage, günstiger Wohnraum, lebendige Szene. In diesem Habitat schiessen die gesprühten Botschaften wie Pilze aus den Fassaden.

https://tageswoche.ch/stadtleben/in-basel-wird-so-viel-gesprayt-wie-nie/

Im St. Johann sticht der Anstieg politischer Slogans ins Auge, deren scheinbare Absicht darin besteht, Missstände anzuprangern. «Cops sind Snobs», steht an der Mülhauserstrasse, «Gegen alle Knäste» an der Lothringerstrasse. Der Imperativ ist den Sprayern ein naher Freund: «Bildet Fahrgemeinschaften», «Bildet Banden», «Öffnet Grenzen».

An den Santihanser Wänden prangen die Kampfparolen mit vordergründig politischer Wirkabsicht. Doch die Tags und Parolen haben noch eine andere Funktion: Sie sollen Fassaden verschandeln mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten. Wie funktioniert das?

«Tags werden gezielt dazu eingesetzt, das Erscheinungsbild eines Stadtteils abzuwerten», sagt ein Insider.

Nachfrage bei Insider A. C. Er kennt die Mechanismen der Szene, ob er selbst immer noch sprüht, sagt er nicht. Ein Treffen lehnt er ab, geschrieben wird über Telegram, den sicherheitsverschlüsselten Messengerdienst.

«Tags werden in bestimmten Quartieren gezielt dazu eingesetzt, das äussere Erscheinungsbild eines Stadtteils abzuwerten, um Investoren, reiche Mieter und kaufkräftige Yuppies fernzuhalten», sagt A. C. «Das subversiv gestalterische und gesetzlose Eingreifen in den öffentlichen Raum signalisiert, wie ein Quartier so drauf ist. Ein Quartier mit farbigen Fassaden sendet einfach ein anderes Signal als öde Betonwüsten: Hier lebt Widerstand.»

Degentrifizierung aus der Spraydose?

Der Gehalt der gesprayten Parolen ist laut A. C. sekundär, was aus Sicht der Sprüher zählt, ist die aktive Ghettoisierung, auch «Degentrifizierung» genannt. Entsprechende Anleitungen kursieren im Internet. Zu mittlerer Berühmtheit gelangte 2009 das «Abwertungskit» des Hamburger Aktionsnetzwerks «Es regnet Kaviar».

Diese künstlichen Abwertungsmassnahmen sind abgeleitet aus der «Broken-Window-Theory». Ein zerbrochenes Fenster, so die These, welche die US-amerikanischen Sozialforscher Wilson und Kelly im New York der 1980er-Jahre aufstellten, ziehe weiteren Schaden nach sich. Der verwahrloste Raum werde als kollektives Desinteresse an öffentlicher Ordnung und Gesetzestreue interpretiert. In solchen Gegenden hätten die Leute kein Geld, Investoren blieben fern, das Quartier arm und der Wohnraum günstig.

«Der Zuwanderungsdruck wird länger anhalten, als die Ausdauer der Sprayer», findet ein Immobilienfachmann.

Nach diesem Kalkül werden auch in Basel Wände versprüht. Ausdruck davon sind die beschriebenen Tags oder auch die sogenannten «Destroy-Lines» – schlangenlinienförmige Graffitis, die vom Velo aus oder im Vorübergehen über mehrere Meter auf die Fassaden aufgetragen werden.

Nur: Geht dieses Kalkül auf? Wie reagieren potenzielle Investoren, Immobilienmakler, Hauseigentümer auf die Spraykonjunktur?

Interessensverbände zeigen sich unbeeindruckt

Wir fragen nach beim Basler Hauseigentümerverband und bei Svit, dem Schweizer Verband der Immobilienwirtschaft. Beide Interessenverbände nehmen Schätzungen von Immobilienwerten vor, beraten ihre Mitglieder vor Investitionen und dabei fliesst auch eine Bewertung der Umgebung mit ein.

Andreas Zappalà, Geschäftsführer beim Hauseigentümerverband Basel bespricht sich nach unserer Anfrage mit seinem Schatzungsexperten und sagt dann:

«Grundsätzlich werden Graffiti und illegale Wandmalereien im Rahmen einer Schatzung nicht berücksichtigt. Sie führen also per se nicht zu einer Minderbewertung. Oft handelt es sich auch um eine Momentaufnahme. Der Liegenschaftswert ist nicht abhängig davon, ob der Nachbar die Schmiererei auf seiner Hauswand heute oder morgen oder gar nicht entfernt. Der Eigentümer, der eine Liegenschaft verkaufen will, wird das Graffiti entfernen, bevor er mit der Verkaufsaktivität beginnt.»

Ivo Cathomen, Stv. Geschäftsführer Svit Schweiz sagt, er höre zum ersten Mal von der Strategie der Wildsprayer, Wohnraum durch Sprayereien gezielt abzuwerten. Er erklärt:

«Diese Strategie wird höchstens kurzfristig Erfolg haben, langfristig glaube ich nicht, dass sich das bewährt. Der Zuwanderungsdruck auf ein neues Trendquartier wird länger anhalten als die Ausdauer der Sprayer, die quasi jede Nacht die Fassaden aufs Neue bemalen müssen.»

Die Broken-Window-Theorie ist in der Sozialforschung umstritten, wurde aber zuletzt 2008 durch eine Studie des niederländischen Sozialpsychologen Kees Keizer erhärtet: Der Forscher hatte Werbezettel an die Lenker von Fahrräder gehängt und beobachtet, wie viele der Flyer auf den Boden geworfen wurden.

Waren die Wände der Versuchsumgebung sauber, landeten weniger Flyer auf dem Gehweg; Graffiti, die zuvor extra von Keizer angebracht worden waren, verleiteten hingegen dazu, die Zettel achtlos auf die Strasse zu werfen. Eine Studie der Universitäten München und Mannheim kam zu ähnlichen Ergebnissen.

Der Broken-Window-Effekt wirkt, aber er wirkt oberflächlich.

Die Erkenntnisse der Forschung stehen den Aussagen Cathomens und Zappalàs diametral gegenüber. Ist die Gelassenheit der Interessensvertreter also ein Bluff wenn sie sagen, Sprayereien könnten ein Trendquartier nicht vor der Aufwertung schützen?

Ein Nachsatz Cathomens lässt aufhorchen, er sagt: «Ein Graffiti tangiert die Bewohner ja nicht in ihrem alltäglichen Leben.»

Fehlinterpretation der Zusammenhänge

Womöglich scheitert das Kalkül der Sprayer an einer Fehlinterpretation der Zusammenhänge. Die Sprayereien zielen darauf, heruntergekommene Zonen günstig zu halten und damit eine angebliche Ghetto-Kultur zu stabilisieren. Nur: Die besprayten Zonen sind keine Ghettos.

Aufstrebende Trendquartiere wie das St. Johann, das Matthäusquartier oder das Gundeli durch Graffiti abzuwerten, ist eine künstliche Massnahme, die in der sozialen Realität, in der die Yuppies, Studenten, jungen Familien längst Einzug gehalten haben, nicht widerhallt. Zwar werden in den genannten Quartieren möglicherweise mehr Bebbisäcke zur Unzeit vor die Tür gestellt als anderswo, vielleicht liegt mehr Hundekot herum. Der Broken-Window-Effekt wirkt, aber er wirkt oberflächlich.

Taggen die Aktivisten zu kreativ, besteht die Gefahr, dass ihre Sprayereien zur Street-Art umgedeutet werden.

An den Umständen, die Investoren zuvorderst interessieren, ändern ein paar «Destroy-Lines« laut Ivo Cathomen nichts: «Für eine Standortbestimmung spielen für Investoren harte Faktoren eine Rolle wie die Lage und Fragen der Erreichbarkeit, die Verfügbarkeit von Schulen. Die Lärmbelastung, Besonnung, die Aussicht.» Das Aussehen ist zweitrangig, weil es die Bewohner nicht daran hindert, ihre Kinder auf der Strasse spielen zu lassen.

Noch schlimmer aus Sicht der Aktivisten: Taggen sie zu kreativ, besteht die Gefahr, dass ihr Aktivismus prompt kommerziell geschluckt und zur Street-Art umgedeutet wird.

Zappalà vom Hauseigentümerverband sagt es so: «Schöne Wandmalereien können durchaus auch zu einer Aufwertung eines Quartiers führen und dadurch indirekt den Wert einer Liegenschaft positiv beeinflussen.»

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