Von der Schnauze bis zum Schwanz – dieser Koch serviert das ganze Tier

Der Koch Matthias Haller hat die Welt bereist, bevor er sich in Basel niederliess. Sein nächstes Abenteuer: Den Städtern einen bewussten Fleischkonsum näherbringen.

Der Koch Matthias Haller zu Hause vor seiner privaten Messersammlung.

Der Weg zum Würstchen ist beschwerlich. Eine längere Autofahrt bringt uns ins Oberbaselbiet, nach Nusshof. Von dort führt ein schmales Strässchen durch grüne und nebelverhangene Hügel zu einem Hof, schon fast im Aargau. Es ist kalt, nass, der Schnee hat sich mit der Erde zu braunem Matsch vermischt.

Die vielen Kätzchen auf dem Hof wirken gereizt, die Esel in ihrem Unterstand stoisch, die Metzger im Inneren des Hofes geschäftig. Es ist Donnerstag, bei Metzgermeister Peter Andrist wird gewurstet, und beim Wursten muss es vorwärts gehen.

Zur Begrüssung reicht uns einer der arbeitenden Männer «frische Knacker» und gibt uns zu verstehen, dass wir besser nicht im Weg rumstehen sollen. Er steht vor einer Brühwanne voller Wienerli und Cervelats, die er in Ketten auf Stangen aufreiht und auf einem Gestell in den Räucherschrank fährt.

Daneben stellt Andrist mit zwei Gehilfen Würste her. Während er selbst Wurstmasse in künstliche Därme füllt, lädt einer frische Fleischmischung in die Maschine, der andere packt die fertigen Würste in Kisten, worin sie dann getrocknet werden. Akkordarbeit.

Matthias Haller schaut den Metzgern fasziniert zu, kaut an seinem Würstchen, verteilt Senf aus einer mitgebrachten Tube. Er ist in seinem Element, der Ausflug nach Nusshof ist für ihn eine Art Weiterbildung.

«Mit Filet und Entrecôte arbeite ich eigentlich kaum noch. Ein Rind bietet so viel interessantere Stücke.»

Haller gehört zu jener Sorte Koch, die unermüdlich über Fleischzuschnitte reden können und sich ihre Beef-Ribs am liebsten selber aus der Rinderhälfte sägen. In seiner Küche zu Hause steht ein massiver Hackblock, an den Wänden hängt eine umfangreiche Messersammlung. Haller bereitet sich in diesen Tagen auf sein nächstes Abenteuer vor, die neue Fleischbeiz «Mark + Bein» bei der Markthalle.

Dort soll den Gästen das ganze Tier serviert werden, statt nur die Edelstücke. Nose to Tail, von der Schnauze bis zum Schwanz, heisst die Maxime. «Mit Filet und Entrecôte arbeite ich eigentlich kaum noch. Ein Rind bietet so viel interessantere Stücke», sagt Haller. Im «Mark + Bein» soll Fleisch von regionalen Bauern den Weg auf die Teller und in die Kühlschränke bewusster Fleischesser in der Stadt finden. Dort wird deshalb nicht nur ein Bartresen, sondern auch eine Kühltheke für den Fleischverkauf stehen.

Baubewilligung steht aus

Zusammen mit dem Gastronomen Markus Stocker und dem Berater Markus Hurschler will Haller hier etwas aufbauen, das Bestand hat. Noch stehen allerdings Baubewilligungen aus. Eröffnet werden soll nach Möglichkeit im April.

Haller war viele Jahre lang ein rastloser Mann. Nach der Kochlehre bei einem Sternekoch im Schwarzwald schien seine Karriere vorgespurt. Noch zwei, drei weitere Stationen in der gehobenen Gastronomie, und er hätte sich als Chefkoch niederlassen können. Doch Haller stand der Sinn nicht nach Schäumchen und weisser Schürze, sondern nach rauer Wildnis und dem ungebundenen Leben. Die Kochausbildung war für ihn weniger Zukunftsplan als Reiseticket.

«Mein Vater war Unternehmer, kam geschäftlich viel rum und erzählte mir Geschichten aus der ganzen Welt. Von Fischern in Kanada, von Trappern in Alaska, Cowboys in Kalifornien. Dieses harte, ehrliche Leben in der Natur hat mich immer begeistert», sagt Haller. Nach der Lehre zog es den jungen Koch deshalb selbst hinaus aus der Enge der Schwäbischen Alb. 

Er ging Fliegenfischen in Alaska, Blockhüttenbauen in Montana und begleitete als reisender Koch mit Pferd und Maultieren Touristen in Kalifornien auf ihren Trekkingtouren.

Seine Jobs waren saisonabhängig, oft musste er gleichzeitig mehrere davon annehmen. Die Freiheit war gross, das Geld war knapp. Einmal verschlug es ihn an eine Kälberauktion auf der Ranch von Schauspieler Mel Gibson. Haller lockten aber nicht die Tiere, die zum Verkauf standen, sondern die kostenlose Mahlzeit, die auf den Plakaten angekündigt wurde.

Küchenchef bei Starköchin Sarah Wiener

Einer seiner vielen Jobs war es, Hirsche zu zerlegen, die von Jagdtouristen geschossen wurden. Es war Hallers erste Begegnung mit dem Metzgerhandwerk.

Anfang des neuen Jahrtausends kehrte Haller zurück nach Deutschland. In Berlin landete er im Zentrum des kulinarischen Geschehens. Als Küchenchef von Sarah Wiener bekochte er die feine Hauptstadtgesellschaft: Diplomaten, Politiker, Schauspieler.

Der Erfolg war so gross, dass Haller bald öfter am Schreibtisch sass, als am Herd zu stehen. Er versuchte es ein erstes Mal mit einer eigenen Cateringfirma. Das Timing war schlecht, die Wirtschaft lag Ende der Nullerjahre am Boden. Dann gab es auch noch Todesfälle in seiner Familie. Also zog Haller erneut weiter und kam über einige Umwege nach Basel, noch etwas näher zur Verwandtschaft. Hier am Rhein hat der Rastlose Wurzeln geschlagen.

Haller ist Handwerker und Tüftler. Effekthascherei findet er uninteressant.

Spuren hinterliess er als Küchenchef unter anderem im «Manger & Boire» und im «Platanenhof». Einer seiner Schüler kocht heute im «Goldenen Fass». Alle Adressen haben eines gemeinsam: Die ehrliche Küche steht im Fokus. Kreativ genug, um interessant zu bleiben, aber ohne Schnickschnack. Haller ist ein leidenschaftlicher Handwerker, der aus seinen Produkten das Beste rausholen will. Effekthascherei findet er uninteressant.

Von bemühten Experimenten will auch Metzgermeister Andrist in Nusshof nichts wissen. Mit hochgekrempelten Ärmeln zeigt er uns, wie man Landjäger macht. Haller will eine eigene Version entwickeln und bei «Mark + Bein» als «Stadtjäger» verkaufen.

Das Fleisch stammt von einer Kuh, die nach dem Milchstopp noch einige Monate auf die Weide durfte, um Gewicht zuzulegen. Es ist aufwendig, ein solches Tier zu zerlegen, und die im Ganzen verwertbaren Stücke sind rarer als bei einer Sorte, die zur Fleischwirtschaft gezüchtet wurde. Dennoch ist Kuhfleisch gerade bei Fans des Nose-to-Tail-Gedankens wieder beliebt.

Speckfett in der Mayonnaise

Haller und seine Partner konnten bereits einige Gastronomen in Basel mit dem Fleisch beliefern. Was sich so nicht verwerten lässt, landet dann eben in der Wurst oder auf einem Burger.

Haller verbringt viele Stunden damit, seine riesige Kochbuchbibliothek nach Ideen und Rezepten zu durchforsten. Er füllt Notizbücher und Zettel, experimentiert. Letztens hat er etwa mit ausgelöstem Speckfett eine Mayonnaise kreiert und die Butter in Brownies hat er durch dieses Fett ersetzt.

Die Speisekarte des «Mark + Bein» nimmt langsam Form an. Innereien werden bestimmt ein Schwerpunkt, Haller will vor allem über Mittag auch einfach gute Sandwiches anbieten. Mit Zunge zum Beispiel oder Pastrami.

Während Andrists Gehilfe die rohen Landjäger in eine spezielle Form presst und zur Lagerung vorbereitet, zeigt uns der Metzgermeister noch seinen Keller, wo Mostbröckli und Trockenwürste reifen. 

Hier unten werden bald auch Hallers «Stadtjäger» baumeln. Doch dafür braucht es noch ein wenig Geduld. Aber fürs Erste hat uns Metzgermeister Andrist ein paar Würste mitgegeben.

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