«Der Arxhof verlangt den Klienten einiges ab», sagt die zuständige Therapeutin

Sarah Rudin arbeitet seit vier Jahren als Psychotherapeutin im Arxhof. Im Interview redet sie darüber, welche Momente sie besonders fordern und was für eine erfolgreiche Resozialisierung wichtig ist.

Die drei- bis vierjährige Berufsausbildung ist ein Bestandteil des Programms zur Resozialisierung im Arxhof. (Bild: Eleni Kougionis)

Sarah Rudin, was ist die grösste Herausforderung bei Ihrer Arbeit?

Die Arbeit mit den Eingewiesenen ist immer individuell. Jeder Klient zeichnet sich durch ein eigenes Risikoprofil aus. Daraus muss zunächst ein Fallkonzept erstellt werden. Die Sicherheit, die bei einer Mathematik-Aufgabe gegeben ist, weil 2+2=4 ist, fällt bei meiner Arbeit weg.

Was heisst das konkret?

Wir müssen herausfinden, aus welchen Gründen der Klient delinquent wurde, und diese Faktoren dann in die Behandlung einbeziehen. Wenn jemand an einer Angststörung leidet, diese aber nicht als deliktrelevanter Faktor zu sehen ist, dann wird sie auch nicht im Vordergrund der Behandlung stehen – so brutal das klingen mag. Oder nehmen wir einen Gewalttäter: Es bringt nichts, wenn wir in der Therapie an seiner gewaltverherrlichenden Einstellung arbeiten, wenn das eigentliche Problem eine verminderte Impulskontrolle ist.

«Verminderung der Rückfälligkeit ist oberstes Ziel.» Sarah Rudin, 33, ist Psychotherapeutin im Arxhof.

Im Arxhof arbeiten Sie Hand in Hand mit Lehrmeistern, Psychologen und Sozialpädagogen. Wie muss man sich das vorstellen?

Es ist immer eine Herausforderung, dass sich alle Fachpersonen über das Fallkonzept einig werden. Die drei Bereiche Ausbildung, Sozialpädagogik und Therapie müssen am gleichen Strang ziehen, damit eine erfolgreiche Resozialisierung und langfristige Deliktfreiheit erreicht werden können. Die Eingewiesenen durchschauen schnell, wenn wir uns untereinander nicht einig sind, und versuchen, uns gegeneinander auszuspielen – wie das Kinder bei Mami und Papi tun.

Wie kommen Sie an die jungen Männer heran?

Es ist wichtig, eine professionelle, tragfähige therapeutische Beziehung zum Klienten aufzubauen. In dieser Beziehung stellt Vertrauen ein zentrales Thema dar, denn es gewährleistet Offenheit. Gleichzeitig werde ich als Therapeutin stets misstrauisch bleiben und mich fragen: Warum tut er das jetzt? Warum reagiert er so? Weil die Therapie anschlägt oder weil er weiss, dass er mit diesem Verhalten besser beurteilt wird? Das ist eine Herausforderung für beide Seiten.

«Nur weil ein Klient nie negativ auffällt oder rückfällig wird, heisst das nicht unbedingt, dass seine Therapie erfolgreich verläuft.»

Welche Faktoren tragen zu einer erfolgreichen Resozialisierung bei?

Auch das kann ich nicht verallgemeinern. Jeder Klient bringt eine andere Geschichte mit, bei jedem ist die Arbeit anders. Zudem: Was bedeutet denn «Erfolg»? Was zeichnet eine «gute» Therapie aus? Nur weil ein Klient nie durch sein Verhalten negativ auffällt oder rückfällig wird, heisst das nicht unbedingt, dass seine Therapie erfolgreich verläuft.

Woran erkennen Sie denn, ob eine Therapie anschlägt?

Die Arbeit im Arxhof verlangt den Klienten einiges ab: Sie müssen an sich arbeiten und sich mit ihren unliebsamen Seiten konfrontieren. Das ist schwierig und verläuft nicht immer in geraden Bahnen, womit ich aber auf keinen Fall einen Rückfall rechtfertigen will. Wir kommen immer mehr davon weg, von einem «typischen Täter» auszugehen, der einem bestimmten Muster entspricht.

Sondern?

Bei jedem Eingewiesenen wird auf das individuelle Risikoprofil fokussiert, also auf die Faktoren, die zur Begehung einer Straftat geführt haben. Oberste Priorität hat eine deliktorientierte Therapie – Verminderung der Rückfälligkeit ist oberstes Ziel. Wir spielen etwa den Ablauf des Delikts nochmals durch, wir besuchen den Tatort zusammen, das ist keine einfache Sache.

«Wenn einer in der Therapiesitzung ein Delikt gesteht, für das er gar nicht angeklagt wurde, ist das ein gutes Zeichen.»

Noch mal: Wie merken Sie, dass die Therapie Erfolg hat?

Was für eine erfolgreiche Therapie spricht, muss je nach Risikoprofil individuell beantwortet werden. Ist Impulsivität Teil des Risikoprofils und somit ein Behandlungsthema, kann eine Steigerung der Impulskontrolle, die sich in einer konkreten Situation im Alltag zeigt, für einen Behandlungserfolg sprechen. Ein gutes Zeichen ist es auch, wenn einer in der Therapiesitzung ein Delikt gesteht, für das er gar nicht angeklagt wurde. Wobei auch dies, um den stetigen Begleiter «Misstrauen» anzusprechen, durch andere Faktoren erklärt werden könnte. Sie sehen – es ist nicht einfach zu beantworten, was in diesem Kontext Erfolg bedeutet.

Erleben Sie auch hoffnungslose Fälle?

Nein. Es gibt natürlich Fälle, die schwieriger sind. Wenn eine Kombination aus Persönlichkeitsstörung, ADHS und Sucht vorliegt, ist diese Person meist schwieriger zu behandeln. Bei einem Täter, bei dem eine Suchterkrankung zu Beschaffungskriminalität geführt hat, kann ich davon ausgehen: Ist seine Sucht kuriert, dann muss er auch nicht mehr klauen, um sich Stoff besorgen zu können.

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