Die Stühle im «Roten Bären» an der Ochsengasse in Basel stehen auf den Tischen, damit gefegt werden kann. Von der Decke hängen unzählige Glühbirnen, die Bar ist im Retro-Look gestaltet, am Boden sind marokkanische Terrakottafliesen verlegt. Man könnte auch in einem hippen Restaurant in Berlin stehen.
Roger von Büren ist hier Chefkoch und Mitinhaber, im Sommer 2016 erst hat der «Rote Bären» eröffnet. Der 33-Jährige wurde innert kurzer Zeit zum Shootingstar der Basler Gourmetszene: Von «Basel geht aus» schon letztes Jahr zum «Newcomer des Jahres» gekürt, wurde er nun von Gault-Millau ausgezeichnet.
Doch von Bürens Leben verlief nicht immer auf der Strasse des Erfolgs. Seine Ausbildung hat er vor acht Jahren abgeschlossen – im Massnahmenzentrum Arxhof im Baselbiet. «Ich habe mein Leben als Teenager mehr oder weniger auf der Strasse verbracht», erzählt er bei einer Tasse Kaffee. Ausgehen bis früh morgens, schlafen bis mittags, das war der Alltag für den Heranwachsenden. Als Scheidungskind ist er bei seiner Mutter aufgewachsen. «Die war schon immer böse auf mich, weil ich mein Leben nicht auf die Reihe gekriegt habe. Genützt hats aber leider nicht viel.»
«Im Arxhof darf man auch Fehler machen, das hat mir sehr geholfen.»
Von Büren hat in seiner Jugend keine Lehre angefangen: «Arbeiten, fand ich, ist was für Anfänger.» Lieber träumte er vom grossen Geld und dem schönen Leben. Motorräder und Autos klauen und herumfahren – ohne Führerausweis – gehörte für ihn zum Alltag. Später kamen die falschen Freunde dazu: Als knapp 20-Jähriger reiste er nach Mittelamerika, um Kokain zurück in die Schweiz zu schmuggeln. «Das brachte das Fass zum Überlaufen», erzählt der heutige Chefkoch. Der Solothurner Akzent ist das Einzige, was vom rebellischen Teenager übrig geblieben ist. Er wurde geschnappt und stand vor der Wahl: Zuchthaus oder Arxhof.
«Ich dachte, der Arxhof sei der Weg des geringeren Widerstands – das hat sich dann als falsch herausgestellt», sagt von Büren verschmitzt. «Das Anstrengendste war, dass ich so stark an mir und meinem Charakter arbeiten musste. Die ständige Auseinandersetzung mit mir selbst ist aber auch das, was mir am meisten geholfen hat.» Festzustellen, «da läuft etwas nicht richtig», habe sich wie ein Aufwachen nach einer Zeit ohne Realitätsbezug angefühlt.
Einmal ist von Büren abgehauen, zusammen mit einem Mitbewohner. Doch nach einer Woche kehrte er zurück: «Im Arxhof darf man auch Fehler machen, das hat mir sehr geholfen.» Ausserdem habe er nach seiner Rückkehr gemerkt, dass «ich anfing, mich damit auseinanderzusetzen, warum ich abhauen wollte – und vor allem, warum ich zurückkam».
Die Zeit im Massnahmenzentrum schwingt bis heute nach: «Heute würde ich mir saudumm vorkommen, in den Ferien in Mittelamerika den Koffer voll Kokain zu packen und damit über die Grenze zu reisen», sagt der 33-Jährige lachend.
«Ich habe heute alles, was ich brauche, und ich glaube, so fühlt sich Glück an.»
Ergänzend zur Lehre im Arxhof machte von Büren ein Praktikum im Basler «Gundeldingerhof», wo er auch seinen ersten Job als Koch antrat: «Diese Zeit hat mich wohl mit am meisten geprägt. Ich habe wahnsinnig viel gelernt und die Anstellung hat mir geholfen, mein Leben ‹draussen› zu strukturieren.»
Vier Jahre blieb von Büren im Gundeli, danach folgten Stationen wie der «Teufelhof», das «Goldene Fass» und die Grenzwert-Bar, für die von Büren das Barkonzept entworfen hat, sowie einige Monate in Restaurants der Spitzenklasse in London. 2016 kam das Angebot vom «Roten Bären». Seine Vergangenheit kam von Büren nie in die Quere, im Gegenteil: «Gerade unter Köchen gibt es einige Freaks, die selber keinen geradlinigen Lebenslauf haben. Die finden meine Vergangenheit eher spannend als abschreckend und erzählen ihre eigenen Geschichten, anstatt mich zu verurteilen.»
Ausserdem sei der Arxhof eine gute Referenz: «Wer dort eine Lehre abgeschliesst, hat handwerklich etwas drauf.» Heute lebt von Büren mit seiner Freundin zusammen, mit der er seit sieben Jahren liiert ist: «Ich habe sie kurz nach meiner Zeit auf dem Arxhof kennengelernt. Mein Leben fühlt sich heute sehr richtig an, es musste alles so kommen, wie es gekommen ist.» Die Arbeitskollegen vom «Gundeldingerhof» sind seine Freunde geworden und beruflich könnte er nicht zufriedener sein: «Ich habe heute alles, was ich brauche, und ich glaube, so fühlt sich Glück an.»