Unter Wasser fühlt sich Robert Marc Lehmann am wohlsten. Der 35-jährige Meeresbiologe, Forschungstaucher, Fotograf und Filmemacher taucht regelmässig in allen Klimazonen dieser Erde mit Haien, Walen, Robben und anderen Meeresbewohnern. Über 100 Länder hat der Abenteurer schon bereist. Für seine Aufnahmen, die die Schönheit der Natur, aber auch ihre Zerstörung durch den Menschen zeigen, wurde der Deutsche mehrfach ausgezeichnet, 2015 zum Beispiel als «National Geographic»-Fotograf des Jahres.
Bevor Lehmann die Welt bereiste, arbeitete er für das Ozeaneum Stralsund in der Hansestadt. Als Abteilungsleiter sammelte er für eines der umfangreichsten Grossaquarien Europas Tausende Fische und andere Meerestiere in der freien Wildbahn ein, um die Aquarien zu befüllen.
Doch dann kam der grosse Bruch. Seither befreit Lehmann gestrandete Orcas in Australien, gefangene Meeresschildkröten in Asien und in Geisternetzen verhedderte Enten in der Nordsee. Wir haben mit Lehmann über das geplante Ozeanium des Zoos Basel gesprochen, über das der Grosse Rat am Mittwoch, 17. Oktober, entscheidet. Lehmann kritisiert das Projekt und hat auch eine Petition dagegen unterschrieben.
Herr Lehmann, der Zoo Basel will ein Ozeanium bauen. Was missfällt Ihnen daran?
Ich finde das unangebracht und absolut nicht mehr zeitgemäss. Grossaquarien mögen vielleicht vor 40 Jahren vermeintlich unbedenklich gewesen sein, als man noch nicht viel über die Empfindungen und Intelligenz der Fische wusste. Mittlerweile ist aber nachgewiesen, dass einige Fischarten ähnlich Schmerzen, Stress, Langeweile, Einsamkeit oder Angst empfinden wie wir Menschen. Deshalb wundert es mich, dass der Zoo Basel auf die Idee kommt, ein Ozeanium nach Jahrhunderte altem Prinzip zu bauen. Eine artgerechte Haltung ist vielleicht bei Vogelspinnen möglich, bei Fischen geht das aber genauso wenig wie bei Elefanten oder Tigern. Ein solches Grossaquarium ist kontraproduktiv für den Schutz der Meere und Tiere und vermittelt nicht die Realität, wie sie in Freiheit stattfindet.
Dennoch waren Sie von 2008 bis 2010 Abteilungsleiter im Ozeaneum Stralsund und fingen etliche Meeresbewohner ein, um die Aquarien zu befüllen. Das ist doch ein Widerspruch.
Korrekt. Damals hatte ich Aquarium-Kritiker noch als Spinner bezeichnet, heute verstehe ich ihre Bedenken völlig. Ich war während meiner Zeit in Stralsund noch der Ansicht – wie die meisten Zooangestellten auch –, dass ich den Menschen die Natur näherbringen könnte, wenn ich die Tiere einfange und zur Schau stelle. Mit der Zeit kamen in mir allerdings Zweifel auf, ob das wirklich der richtige Weg ist. Ich wollte keine Tiere mehr einfangen und einsperren.
Und wieso?
Je mehr ich sie in freier Natur beobachtete, desto weniger wollte ich ihnen ihre Freiheit nehmen.
Wie haben Sie das Einfangen der Tiere für das Ozeaneum Stralsund erlebt?
Viele Tiere, die ich eingefangen habe, haben es gar nie ins grosse Schau-Aqarium geschafft. Sie waren derart gestresst und geschwächt vom Fang, Transport und der Eingewöhnung, dass sie nicht lange überlebten. Oder wenn sie im Aquarium landeten, dann starben sie kurze Zeit später. Viele Meeresfische sind sehr empfindlich und können sich dem Aquariumleben nicht wirklich anpassen.
Der Zoo Basel argumentiert, dass das Ozeanium «die Grösse des Ozeans, seine Vielfalt, seine Schönheit, aber auch seine Bedrohung» aufzeigen könne. Das ganze Ozeanium drehe sich zudem um das Thema Ressourcen und Nachhaltigkeit. Was spricht denn dagegen?
Die Meinung, man könne mit einem Ozeanium das Meer abbilden, ist total utopisch. Zumal sich die Tiere in einem Aquarium nicht so verhalten, wie sie es im Meer tun würden – im Gegenteil. Sie sind gestresst und zeigen ihre natürliche Verhaltensform nicht. Sie sehen nicht einmal aus wie in freier Natur.
Sondern?
Haie zum Beispiel pflegen Freundschaften und hängen gerne mit ihren Kumpels ab, schwimmen grosse Strecken und jagen nach unterschiedlichem Futter. Das sieht man im Aquarium alles nicht. In den Aquarien sind die Haie teilweise deformiert, weil sie sich ihre Flosse und Schnauze immer wieder an der Scheibe anschlagen und stets das gleiche Schwimmmuster an den Tag legen. Das ist doch nicht repräsentativ für ein so agiles Raubtier.
Auf einer Fläche von etwa 10’000 Quadratmetern sollen rund 4600 Kubikmeter Wasser als Lebensraum für Haie, Rochen, Pinguine, Korallen, Gezeitenzonen- und Tiefseebewohner dienen. Ist dies eine grosszügige Berechnung?
Es gibt kein Minimum oder Maximum. Egal, wie gross der Zoo Basel baut, der Platz wird einem Hai oder Pinguin ohnehin nicht gerecht. Zudem gibt es auch keine Richtlinien oder Regeln, wie viel Platz ein Fisch im Aquarium braucht. Für Gorillas gibt es solche Richtlinien, für Haie aber nicht. Eine artgerechte Haltung von Haien und anderen Fischen ist also meiner Meinung nach nicht möglich. Es gibt kein spezielles Fisch-Tierschutzgesetz, deshalb kann man mit den Tieren machen, was man will. Und das tut der Zoo Basel nun mit seinem Ozeanium.
«Die Tiere im Aquarium sind gestresst und zeigen ihre natürliche Verhaltensform nicht.»
Aber gerade in einem Binnenland wie der Schweiz, in dem die Verantwortung für die Meere leicht vergessen geht, wäre doch ein ständiger Gedankenanstoss wichtig, oder nicht? So erhalten die Kleinsten wenigstens Einblick in die Welt.
Das ist wichtig, ja. Aber das geht auch mit Vorträgen, Dokumentationen oder Büchern. Tiere einzufangen, einzusperren und Geld damit zu machen ist nicht mehr zeitgemäss. Es geht nur darum, die Tiere für Geld zur Schau zu stellen. Es ist nicht mal ein Projekt, mit dem Forschung betrieben wird oder die Haltung von Meerestieren verbessert werden soll. Es ist ein ganz einfaches, jahrhundertealtes Konzept.
Der Zoo Basel legt aber gemäss eigener Aussage höchsten Wert auf das Wohl seiner Tiere und versichert, sie nach den neusten Erkenntnissen der Wissenschaft optimal zu halten.
Es gibt keine «neusten Erkenntnisse der Wissenschaft». Sonst würde es ein Handbuch und Gesetze geben, wie grosse Meeresräuber gehalten werden müssten. Diese gibt es aber nicht.
Der Zoo orientiert sich an den Richtlinien der «European Union of Aquarium Curators».
Diese Richtlinien der EUAC stammen von Personen, die in einem Aquarium angestellt sind. Das ist so, als ob Donald Trump eine Studie finanziert, die herausfinden soll, ob Donald Trump ein guter Präsident ist. Das ergibt einfach keinen Sinn.
«Es gibt keine nachhaltigen Fangbetriebe oder Zuchtprogramme für grössere Meeresfische wie Haie.»
Dennoch betont der Zoo Basel immer wieder, dass die Beschaffung der Tiere für das Ozeanium keinen schädlichen Einfluss auf natürliche Populationen oder Ökosysteme hat.
Darüber kann ich nur lachen. Es gibt Salzwasserfische wie beispielsweise den Banggai-Kardinalfisch, die an den Rand der Ausrottung getrieben wurden, weil sie gerne als Aquarienfische gehalten werden. Zudem gibt es auch keine nachhaltigen Fangbetriebe oder Zuchtprogramme für grössere Meeresfische wie Haie. Es ist also fraglich, wie der Zoo Basel diese Fische besorgen will. Ein Zoo muss eigentlich öffentlich einsehbar machen, woher er die Tiere hat, aus welchen «Zuchtprogrammen» zum Beispiel. Nur passiert das nie. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Beweise stehen aber bisher aus.
Gibt es für Sie denn gar nichts Positives an einem Ozeanium?
Ich liebe einen Besuch im Aquarium! Es sieht schön aus, ich liebe die Tiere, ich schaue sie mir gerne an. Aber all das nützt nichts, wenn man die wahren Hintergründe, das wirkliche Verhalten und Aussehen der Tiere in Freiheit und die Wahrheit hinter Glas kennt. Ein Aquarium ist eine schlechte Lüge, die nur gut ausschaut.
Falls das Aquarium in Basel gebaut wird, werden Sie es mal besuchen?
Natürlich – für meine Recherchen und um das zu dokumentieren, was ich den Menschen zeigen möchte: die Wahrheit hinter Glas. Auch wenn mir jeder ausgegebene Rappen in der Seele wehtut, weil ich weiss, wozu das Geld hinter den Kulissen wirklich ausgegeben wird: neue Fische und Tiere, keine Schutzprojekte im Meer.