Josef Helfenstein: «Museumsdirektor ist eigentlich ein unmöglicher Job»

Kaum als Direktor des Kunstmuseums angetreten, musste sich Josef Helfenstein um falsch kalkulierte Kosten und fehlende Kredite kümmern. Spannender ist es, wenn er über Museen als Schutzräume und Wohlfühl-Oasen spricht. Yoga allerdings möchte er im Museum nur nach Feierabend.

Kunstmuseumsdirektor Josef Helfenstein will keinen seelenlosen Blockbuster-Tempel für Kunsttouristen. Vielmehr soll die Basler Bevölkerung ihr Museum auch mal zum Fun mit Freunden unter Kunst besuchen. (Bild: Nils Fisch)

Ganz Chef geht Josef Helfenstein mit dem Schlüssel voran, um für die Fotos auf direktem Weg vom Büro in die Ausstellungsräume zu gelangen. Ganz Gentleman hält er aufmerksam die Türen offen, bis alle durch sind. Auf dem Weg zu den Fotoplätzen hält er kurz inne, um die Kontrollschilder zweier neu gehängter Bilder abzunicken.

Dann geht es zielstrebig weiter, auch wenn er keine Foto-Sessions mag. Widerstand kommt nur, als er für den Fotografen die Hand auf den Sockel der Picasso-Skulptur legen soll. Das ist weder Besuchern noch dem Direktor erlaubt. Und mit der Aufsichtsperson, welche die Szenerie schon beobachtet, will er sich nicht anlegen.

Autorität holt sich Helfenstein über glaubwürdige Arbeit, nicht über seinen Titel. Und Hierarchien sind überholt für den Mann, was vielleicht auch seine Mission erklärt, Menschen aller Gesellschaftsschichten für die Kunst und das Museum zu begeistern. Auch Kunstschaffende aus der Region schwärmen nach Helfensteins erstem Amtsjahr von einem frischen Wind. Es herrsche ein neuer offener Geist und es gebe interessante Ausstellungen.

Josef Helfenstein, beim Antritt vor einem Jahr schwärmten Sie vom humanistischen Basel. Nun dominiert wohl eher die Realität des kleinkrämerischen Zahlenrechnens einer Kleinstadt.

Nein, Basel ist eine sehr angenehme Stadt zum Leben. Man kann alles zu Fuss machen und die ÖV-Situation ist so gut wie kaum anderswo auf der Welt. Meine Frau und ich mögen auch das Diskrete der Stadt, das ruhig Überlegte. Der Basler ist nicht besonders outgoing.

Dennoch haben Sie in den letzten Wochen einiges zu hören bekommen.

Ich bin sehr beeindruckt, ja berührt von der Anteilnahme am Kunstmuseum. Ich spüre, es gehört der Bevölkerung. Ich bekomme viele E-Mails und Briefe. Aber die Leute fragen mich auch direkt im Museum oder im Tram, warum ein Bild nun hier und nicht mehr dort hängt. Das ist schön. Die Leute verfolgen aufmerksam und durchaus kritisch, was geschieht.

Was ist die meistgenannte Kritik?

Die Rückmeldungen zur Sammlung und zu den Ausstellungen sind insgesamt sehr positiv. Kritik kam vor allem zu logistischen Problemen, die sich aus der neuen Ausgangslage mit drei Häusern ergeben haben. Die Eingangssituation wurde zum Beispiel bemängelt. Aber das ist eigentlich erledigt.

«In Museen kann in Ruhe eine Auseinandersetzung stattfinden, die in verrückten Zeiten dringend nötig ist.»

War das bei Ihrer letzten Station als Direktor der Menil Collection in Houston anders? In Europa herrscht ja die Vorstellung von den USA – Texas insbesondere – als Kultur-Einöde ohne historisches Bewusstsein mangels langer Geschichte.

Das habe ich anders empfunden. Einige der schönsten Museen der Welt befinden sich in Texas. Klar, das Wissen über Kunst und Kultur ist allgemein weniger verbreitet als hier. Houston insbesondere ist eine sehr businessorientierte Stadt. Umso mehr motivierte mich die Herausforderung, die Leute für Kunst und Kultur zu sensibilisieren. Aber wir leben in einer sehr verwundeten Welt voller Krisen: Die politische Polarisierung, die unglaubliche Beschleunigung des Lebensrhythmus, das totale digitale Dauerbombardement, Desinformation, Überinformation und so weiter – all das macht Kultur und die Arbeit der Museen umso wichtiger. Sie können als Korrektiv fungieren. Museen sind Orte, in denen Vertiefung möglich sein sollte, wo nicht vermarktet oder manipuliert und zum Konsum angeregt wird. Hier kann in Ruhe eine Auseinandersetzung stattfinden, die in verrückten Zeiten dringend nötig ist.

Ein Museum ist ein Ort der Bewahrung alter Kultur-Werke und Werte. Die Rolle hat auch etwas Reaktionäres: Sind Sie Bewahrer oder Beschützer?

Dazu muss ich etwas ausholen. Im Jahr 2000 zog ich mit meiner Frau und unseren zwei Kindern in die USA. Am Tag vor 9/11 flog ich aus New York zurück in meine damalige Heimat in Urbana und realisierte am nächsten Abend: Die Welt ist nun eine andere. Es kamen mir Zweifel an der Entscheidung, in den USA zu leben, weil ich spürte: Dieses Ereignis hat langfristige Konsequenzen. Das kommt nicht gut. Der Kriegstaumel, die Rachelust und eine Hysterie spürt man bis heute.

«Ich wünsche mir eine stressfreie Zone, das Museum als sozialen Treffpunkt.»

Was kann da ein Museum bewirken?
Drei Monate später diskutierten wir Direktoren der wichtigen amerikanischen Museen die Situation. Ich vergesse nie, wie die Kollegen aus New York vom Ausnahmezustand berichteten, der das öffentliche Leben inklusive Schulen quasi lahmlegte. Die Museumsverantwortlichen aber beschlossen, offen zu bleiben. Denn die Leute kamen buchstäblich in die Museen, um sich psychisch zu erholen. Ich finde das nicht reaktionär. Museen sind extrem wichtig, gerade in Zeiten, die krisenhaft und ruhelos sind. Aber Sie haben völlig recht im Sinne von: Ein Museum soll mehr als ein Ort reiner Kontemplation sein, mehr als eine Wahrnehmungsmaschine für Kunst, wo man bloss nicht laut reden darf. Im Gegenteil: Ich wünsche mir eine stressfreie Zone, das Museum als sozialen Treffpunkt. Museen sind für Kunst und die Menschen da, die dort auch Spass haben dürfen. Ich stelle mir einen Ort vor, wo man Freunde trifft oder seine Lieben, wo Menschliches passiert.

Seit September 2016 leitet Josef Helfenstein (*1957) das Basler Kunstmuseum. Davor war der Luzerner Kunsthistoriker in Bern und Illinois tätig und leitete ab 2004 die Menil Collection and Foundation in Houston, eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen moderner Kunst. Geblieben sind nebst einem globalen Netzwerk und ein paar Anglizismen, der fortschrittliche Anspruch, den behäbigen Betrieb des Kunstmuseums umzukrempeln.

In Houston gelang dies. Sie verdoppelten die Besucherzahlen der Menil Collection. 

Mir ging es nie um reine Zahlen. Ich will nicht einfach Massen durchschleusen. Das Kunstmuseum Basel ist heute ein globaler Ort, aber zum Glück dennoch keine reine Touristendestination wie es etwa das MoMa in New York geworden ist. Das finde ich ganz schlimm. Alle, vor allem die Künstler, bedauern es, dass Museen eigentlich kaputt gehen, wenn sie so überrannt werden – wie auch der Louvre oder andere vergleichbare Museen in den Metropolen. Man hat zwar mehr Besucher und höhere Einnahmen, aber die Seele geht irgendwie verloren.

Ist die Fondation Beyeler auch eine solche Blockbuster-Falle, die man als Kunsttourist einfach gesehen haben muss?

Die Fondation Beyeler hat einen anderen Ansatz und Auftrag als wir. Aber wir ergänzen uns in diesem Sinne gut. Beyeler setzt auf grosse Ausstellungen, das kann aber auch zum Zwang werden. Die Fondation zeigt die grossen Namen der Klassischen Moderne und des zeitgenössischen Kunstmarktes, ausgehend von ihrer Sammlung, die aber nur einen winzigen Ausschnitt aus der Kunstgeschichte repräsentiert. Wir haben eine viel breitere und tiefere Sammlung und auch einen anderen Auftrag. Das Kunstmuseum Basel gibt es auch schon sehr viel länger. Es sind zwei verschiedene Institutionen mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

«Für das Kunstmuseum glaube ich eher an nachhaltige inhaltliche Arbeit als an flächendeckendes Marketing.»

Haben Sie Berührungsängste?

Im Gegenteil: In ein paar Monaten zeigen wir gemeinsam zwei sich ergänzende Ausstellungen zu Georg Baselitz. Wir als Museum haben historisch die Vorarbeit zu Baselitz geleistet: schon in den Siebzigerjahren wurden Werke gekauft. Wir zeigen den zeichnenden Baselitz, die Fondation den Maler mit den grossen Bildern.

Können Sie im Bereich Marketing von der Fondation lernen?

Lernen können wir auf jeden Fall. Die Frage ist nur, ob wir die Mittel haben. Für das Kunstmuseum glaube ich eher an nachhaltige inhaltliche Arbeit als an flächendeckendes Marketing. Dafür werden wir nie das nötige Geld haben. Wir können auch anders überzeugen: Dieses Jahr schaffen wir vermutlich die angepeilten 300’000 Besucher. Das ist gut, aber wichtiger ist, dass unsere Besucher etwas mitnehmen können.

Was sollen die Besucher des Kunstmuseums denn mitnehmen?

Mir geht es um die Qualität der Erfahrung. Dass der Besuch etwas bringt, etwas beiträgt zum Wissen über die Welt, über uns, zum psychischen Wohlbefinden. Tatsächlich haben wir in Houston die Schwellenangst senken können und so mehr Menschen ins Museum geholt. Nicht durch Partys, Sensationen oder Anbiederung via Namedropping, sondern durch seriöse Arbeit. Wir haben etwa Programme mit Kindern aus den unterprivilegierten Quartieren organisiert, die vor allem von Schwarzen und Latinos bewohnt sind. Wir suchten die Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen Institutionen, Universitäten, Vereinen und verschiedensten Organisationen. Das Museum wurde zugänglicher, und es kamen mehr Leute, weil es Teil und Treffpunkt der Stadt wurde, quer durch die Schichten. Damit wollten wir dem eigentlichen Zweck des Museums näherkommen.

«Das Museum ist nicht nur Erholungszone, um schöne Bilder anzugucken.»

Beim Hurrican «Sandy» diente das Museum sogar als Schutzraum.

Es ging um Leute aus der unmittelbaren Umgebung und unsere am wenigsten verdienenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die lebten in den Aussenquartieren Houstons unter prekären Verhältnissen, waren direkt gefährdet und brauchten Notunterkünfte. Das stellte ungewohnte organisatorische Anforderungen. Die Leute brachten auch ihre Haustiere mit ins Museum. Da mussten wir schauen, wie die Hunde raus können, ohne dass Sicherheitslücken entstehen. Da wir auch tibetische Mönche beherbergten, die nicht mehr ausfliegen konnten, kam eine wunderbare globale Gemeinschaft zusammen. Am Ende war es eine grossartige Erfahrung, ohne das kleinste Problem.

Ist so eine spontane Aktion in einem privaten Museum einfacher als bei einem öffentlichen Haus wie hier? Da sind die Entscheidungswege sicher länger.

Schlussendlich war es eine Frage des persönlichen Mutes, das Risiko einzugehen. In jedem Leben gibt es Momente, in denen man einfach selber entscheiden muss – und dann natürlich auch die Verantwortung dafür übernehmen. Das ist eine Frage von Führung. Nachträglich befand sogar der Vorstand die Entscheidung für richtig und war begeistert.

Kunsthäuser sind oft intellektuelle Elfenbeintürme für eine Bildungs- oder Geldelite. Sie dagegen versuchen für das Wohlbefinden der Gesellschaft die Hemmschwelle so tief wie möglich zu senken.

Wohlbefinden ist ein Aspekt. Aber das Museum ist nicht nur Erholungszone, um schöne Bilder anzugucken. Kunst kann auch das Gegenteil – verunsichern, aufrütteln, überraschen. Kunst ist ein Seismograf. Künstler haben eine Funktion, die für uns als Gesellschaft wichtig ist. Selbst die grössten Elfenbeinturmkünstler operieren in einem Kontext, sie sagen etwas über unsere Zeit, das relevant ist – sonst ist es schlechte Kunst. Bei Kunst, die diesen Namen verdient, bleibt immer ein Fragezeichen stehen, und Unverständnis oder Ablehnung gehören dazu. Diese Qualität teilt die Kunst mit den Naturwissenschaften. Dort stiessen die grossen Entdeckungen auch immer auf Widerstand. Die Reaktionen auf Einstein oder den Kubismus  waren nicht so verschieden.

Wie kamen Sie selber zur Kunst?

Ich bin nicht in einer kunstaffinen Umgebung aufgewachsen. Meine Eltern stammen aus Bauernfamilien mit vielen Geschwistern. Sie hatten keine Möglichkeiten für eine höhere Ausbildung oder dafür, ein Interesse für Kunst zu entwickeln. Meine fünf Geschwister und ich wuchsen aber nicht als Bauern auf, sondern in einem Vorort von Luzern. Dann besuchte ich in Sarnen ein humanistisches Gymnasium. Im Zeichnen hatten wir einen Künstler, der nicht Benediktiner Mönch war wie die meisten anderen – und eigentlich kein guter Lehrer, der lieber Geschichten von seinen Töffreisen erzählte. Aber als ich etwa 14 Jahre alt war, brachte er Bücher mit von Neo-Impressionisten wie Paul Gauguin.

Da sprang der Funke?

Ja, und er blieb. Dazu war ich neugierig und um die Langeweile zu vertreiben, las ich extrem viel. Literatur und Bilder: Das hatte für mich immer einen Zusammenhang. Am Ende meiner Gymnasialzeit sagte ich meinem Vater, dass ich Literatur und Kunstgeschichte studieren will. Er war entsetzt, da ich der Erste der Familie war, der die Uni besuchen konnte, und er befürchtete, dass ich damit nie mein Leben verdienen könne.

Was von Ihrer persönlichen Passion wollen Sie nun als Museumsdirektor vermitteln?

Ich habe selbst erfahren, was für ein unglaubliches Potenzial Kunst haben kann. Sie ist aber nur dann relevant – das klingt nun sehr kitschig –, wenn sie im Herz ankommt. Kunst kann etwas auslösen, das nicht zerebral ist, sondern ganzheitlich. Das war und ist meine Energiequelle. Ohne das könnte ich nicht täglich meinen Job machen. Kunst zapft etwas an, nimmt und gibt mir zugleich etwas. Das macht sie für mich einzigartig. Diese Energie von Kunstwerken versuche ich zu vermitteln – wie wenn ein Schleier weggezogen wird, damit die Leute mehr sehen können. Jeder Mensch hat andere «trigger points». Kunstwerke können ganz Unterschiedliches auslösen, Kunst ist so individuell wie die Menschen selbst. Meine Kernaufgabe als Vermittler ist es, diesen Prozess in Gang zu bringen.

«Ich spüre heute mehr Dynamik innerhalb und ausserhalb des Museums als beim Antritt vor einem Jahr.»

Vor 50 Jahren stand das Museum mit der Abstimmung zum Kauf der Picasso-Bilder ganz anders im Fokus der Basler Öffentlichkeit. Ist so eine Mobilisierung heute noch möglich?

Das Kunstmuseum in der Gesellschaft zu platzieren wie es 1967 der Fall war, ist heute fast unmöglich. Damals ging es um eine sehr konkrete Sache: Die «Rettung» der Picasso-Gemälde. Dennoch glaube ich, dass in Basel ein Potenzial vorhanden ist wie an ganz wenigen Orten, was die Verankerung des Kunstmuseums in der Bevölkerung betrifft.

Woher nehmen Sie die Zuversicht?

Die Reaktionen auf das, was wir tun, sind ein Aspekt. Wichtiger ist, dass ich heute mehr Dynamik innerhalb und ausserhalb des Museums spüre als beim Antritt vor einem Jahr. Das freut mich. Das Engagement der Menschen war ja auch 1967 das Grossartige. Mein Anspruch ist, dass das Publikum uns braucht, weil es sieht, was für eine grossartige Ressource das Kunstmuseum ist. Dass das Interesse auch wach bleibt, hängt von uns ab.

Die politischen Querelen um Neubau und Finanzierung wecken also positive Energie?

Ja, durchaus. Ich spüre bei unserem Publikum und vielen Politikern, dass ihnen das Museum wichtig ist. Wir sind auch viel häufiger wegen Inhalten als wegen der Finanzen in den Medien. Ich bekomme jeden Tag einen Medienspiegel und sehe, wie stark das Kunstmuseum wahrgenommen wird, auch international. Zu 90 Prozent geht es da um Inhalte, nicht um Geld.

Das tröstet über die aktuelle politische Debatte hinweg?
So ist es.

«Dass immer mehr in den Händen von immer weniger Playern liegt, ist schlecht für die Stadt und die Bevölkerung.»

Die Basler Bevölkerung ist bekanntlich sehr stolz auf Grundpfeiler wie den FCB oder die Fasnacht. Das Kunstmuseum gilt aber eher als Spielzeug des Daig. Wie holen Sie den Stolz der einfachen Bevölkerung?

Wir gehören ja der Bevölkerung von Basel. Leider kostet es etwas, ins Museum zu kommen. Da müssen sich viele überlegen, ob sie dieses Geld ausgeben wollen. Darum haben wir einmal im Monat den eintrittsfreien Sonntag und an Wochentagen ist die letzte Stunde gratis. Ich sehe es nicht so, dass der Daig das Museum als seine Domäne sieht. Wir haben heute glücklicherweise eine grosse Breite von Förderern und Unterstützern. Sonst könnten wir keine einzige Ausstellung realisieren. Alle Sonder- und Wechselausstellungen inklusive Publikationen werden durch Private oder Sponsoren finanziert. Wir wollen uns aber noch breiter öffnen und haben deshalb Daniel Kurjakovic geholt für Partnerschaften und Kollaborationen auch im Programmbereich. Es sind wesentlich mehr Ideen da, als realisiert werden können.

Sie zeigen wieder vermehrt Basler Künstler. Ist das ein taktisches Mittel, um wieder mehr lokalen Rückhalt zu bekommen?

Nächstes Jahr ist diesbezüglich noch einiges mehr geplant. Wobei der Begriff Basler Kunst weit gefasst ist. Aber zwei Wechselausstellungen handeln von der Geschichte Basels, von bekannten und unbekannten Persönlichkeiten und Künstlern. Kleinere, intime Projekte mit Installationen wie aktuell zu Werner von Mutzenbecher sind für mich aber ebenso wichtig. Die Flexibilität, auf aktuelle Anlässe zu reagieren, wie bei der Gedenkfeier für Lenz Klotz, gehört für mich auch dazu. Ein Museumsbetrieb ist zwar schwerfällig, aber Flexibilität und intelligente Kreativität, um unsere Sammlung und Mittel zu nutzen, gehören zu einem Museum, das lebt.

Wie würden Sie nach einem Jahr die Kunstszene ausserhalb des Hauses beschreiben?

Galerien haben es schwierig. Gerade mussten zwei schliessen, die vor Kurzem nach Basel kamen. Programmgalerien und Off-spaces, welche die Basisarbeit im Kunstbetrieb machen, haben es heute schwer. Globale Gross-Galerien dominieren den Markt immer mehr. Das ist keine gute Entwicklung. Die Polarisierung, dass immer mehr in den Händen von immer weniger Playern ist – egal ob in der Wirtschaft oder in der Kunst –, ist schlecht für die Stadt und die Bevölkerung.

«Denken in Hierarchien ist überholt. Es gibt ganz viel Kompetenz, die ich nicht habe.»

Wie ist Ihr Eindruck vom Wirken der Kunstschaffenden selbst?

Ich würde bluffen, wenn ich behaupte: Ich habe da einen Überblick. Ich versuche, Anlässe und Galerien zu besuchen und Künstler zu treffen. Sie sind unsere wichtigsten Kritiker. Wir arbeiten nach «Chagall» an einem Projekt namens «Basel Short Stories», bei dem auch Künstlerinnen und Künstler von hier inhaltlich mitarbeiten. Mir schweben auch Programme mit lebenden Kunstschaffenden vor, deren Werke wir in der Sammlung haben. Mit dem Neubau haben wir jedenfalls neue Möglichkeiten.

Welche Ihrer Ideen konnten Sie bereits umsetzen?

Ich bin sehr zufrieden, wir haben viel erreicht. Etwa die Dynamisierung des Hauses, wo es keine Trennung gibt zwischen Wechselausstellung und der Sammlung. Und dass es im Museum für ein breites Publikum ganz viele Möglichkeiten gibt, etwas Relevantes, Interessantes, Wertvolles und Inspirierendes zu entdecken. Bei uns soll es immer zehn verschiedene Ausstellungen parallel zu sehen geben, so wie jetzt. Dabei ist für mich alles gleichwertig. Ich will nicht auf einen Blockbuster fokussieren, der in ganz Europa vermarktet wird. Dasselbe im Team. Ich will keine Hierarchie, sondern ein Team, das breit aufgestellt ist, wo jeder sein Talent einbringen und entfalten kann.

Sie leiten das Team so, wie Sie die Kunst behandeln?

Genau. Beides soll seine Wirkung und Energie so gut wie möglich entfalten können. Denken in Hierarchien ist überholt. Es gibt ganz viel Kompetenz, die ich nicht habe. Diese Energien gilt es zu wecken, nicht nur, was der Direktor findet. Es gibt im Haus ganz viele unterschiedliche Ideen, kleine und grosse Visionen und Leidenschaften, und die besten wollen wir realisieren.

Sich selbst hatten Sie bei Amtsantritt als «Diener der Öffentlichkeit» bezeichnet.

Uh, allerdings. Ich fühle mich grad total in der Rolle.

Wäre Prügelknabe momentan nicht passender?

Nein, so sehe ich das nicht. Ich persönlich wurde ja nicht massiv kritisiert. Das wäre auch nicht schön, ich schätze Fairness. Die Aufmerksamkeit liegt nun halt auf der finanziellen Situation. Als Direktor bin ich exponiert und werde kritisiert. Auch von den Mitarbeitern. Die haben auch das Recht dazu.

 «Ich wollte immer eine möglichst umfassende und schwierige Aufgabe, und die habe ich.»

Was ist der lustvollste Teil Ihrer Arbeit?

Am befriedigsten ist es, mit Menschen zusammenzuarbeiten und das Beste aus Ihnen herauszukitzeln. Je älter ich werde, desto wichtiger finde ich es, den Talenten der Mitarbeiter – auch den noch weniger erfahrenen – eine Plattform zu geben. Bei der Grösse unseres Hauses sind wir ohnehin zu wenig Mitarbeiter. Umso wichtiger ist es, dass die, die wir haben, ihre Projekte und Möglichkeiten bekommen. Sie dürfen auch Fehler machen. Hab ich ja auch gemacht. Museumsdirektor ist eigentlich ein unmöglicher Job. Wir müssen ganz viele verschiedene Personen gleichzeitig sein. Ausgangspunkt ist die Kunst, aber wir sind Erzieher, Vermittler, Manager, Fundraiser, Kurator und manchmal auch Moderator, Psychotherapeut oder Professor. Ich wollte immer eine möglichst umfassende und schwierige Aufgabe, und die habe ich. Die Balance zu behalten und nicht von der Aufgabe aufgefressen zu werden, ist manchmal nicht einfach.

Sie propagieren Museen für den Stressausgleich. Was macht man da als Direktor?

Ich brauche die Natur. Regelmässig in die Berge und Wälder zu gehen ist mir extrem wichtig. Hier geniesse ich im Sommer das Schwimmen im Rhein. Dazu renne ich zur Stressverarbeitung und mache Yoga. Das sind für mich Möglichkeiten, um mental einen Ausgleich zu finden. Aber es ist ein Jammer – seit Wochen konnte ich nicht mehr in die Klasse gehen. Ich mache zwar täglich selbst meine Übungen, aber das reicht bei Weitem nicht. Eigentlich sollten wir, wenn das Museum geschlossen ist, Yoga machen. Viele Mitarbeiterinnen praktizieren Yoga.

Mit Yoga im Museum sprechen Sie sicher neue Besucherinnen an.

Nein, das wäre dann nur für uns. Mit Kopfstand und Kerzen muss man inmitten der Kunst schon etwas aufpassen!

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