Auch Stadtentwickler Thomas Kessler ist mit manchem im neuen St. Johann nicht zufrieden. Er glaubt aber, dass sich das Quartier bis in einigen Jahren zu einem Modell für die ganze Stadt entwickeln kann.
Mit dem VoltaNord auf dem Lysbüchel-Areal ist ein neuer Stadtteil in Planung. Über dessen künftige Nutzung wird noch debattiert. Bereits abgeschlossen sind die Projekte, die nach dem Bau der Nordtangente dem St. Johann ein neues Gesicht verliehen haben. Doch auch die Folgen der Aufwertung, der Novartis-Campus und die Planungsleichen rund um den Vogesenplatz sorgen für Diskussionen. Der Basler Stadtentwickler Thomas Kessler nimmt im Interview zu diesen Problemen Stellung und erklärt, weshalb er für Basel und insbesondere für das St. Johann nicht von Gentrifizierung sprechen mag.
Herr Kessler, wann waren Sie zuletzt im St. Johann?
Ich bin etwa jeden zweiten Tag dort.
Weshalb so oft?
Weil es eine spannende Entwicklungszone ist. Im St. Johann gibt es einen hohen Nachholbedarf. Zwischen 1970 und 2000 verliessen viele Mittelstandsfamilien das Quartier. Das hat sich inzwischen verändert, die Stagnation der Nullerjahre ist überwunden.
Moment mal: Das St. Johann war jahrelang ein Schwerpunkt der Stadtentwicklung, trotzdem sprechen Sie von Nachholbedarf.
Abgeschlossen ist lediglich der erste physische Teil der Entwicklung, nun muss sich die Bevölkerung den Raum aneignen. Das dauert länger als die Bauerei.
Bei der Frage, wie die Ladenflächen bespielt werden, hört Ihr Einfluss als Stadtentwickler also auf?
Das sind Investorenentscheide. Diese warten auf den Moment, in dem das Kundensegment für die Rentabilität stimmt. Doch langfristig ist es besser, wenn die Räume rasch angenommen werden. Mit einer Quersubventionierung der Erdgeschosse, die es ermöglicht, dass zum Beispiel bald ein Coiffeur einzieht, lebt der Raum und es gibt weniger Fluktuation. Dabei hängt es auch davon ab, ob die Investoren einen Bezug haben zum Ort oder ob sie aus weiter Ferne mit Zahlen operieren.
Sie erhoffen sich vom Naturhistorischen Museum einen Aufschwung. Ist es nicht fahrlässig, ein gut funktionierendes Museum aus dem Zentrum zu reissen und es in die Peripherie zu versetzen?
Das St. Johann ist ein Zentrum. Bis in zehn Jahren wird Basel nicht mehr von der mittelalterlichen Birsigstadt geprägt sein, sondern von Quartieren wie dem St. Johann. Dort befinden sich die Wohn- und Arbeitsplätze. Dank guter Erschliessung durch Tram und Bahn ist das St. Johann auch gut erreichbar. Es ist zudem höchste Zeit, die Altstadt zu entlasten. Die verbleibenden Museen können sich so räumlich besser entwickeln.
Die nächste grosse Stadtentwicklung wird unter dem Namen VoltaNord auf dem Lysbüchel-Areal stattfinden. Was hat man aus den Schwierigkeiten auf der Erlenmatt und im Voltaquartier gelernt?
Bei VoltaNord geht es um die Frage, welche Wirtschaft wir wollen und wie nahe der Wohnraum sich bei den Arbeitsplätzen befinden soll. Generell gibt es in Basel einen Überhang – viele Arbeitsplätze, wenig Wohnraum. Diesen Zielkonflikt können wir nur mit mehr Verdichtung aufheben. VoltaNord ist daher nicht mit der Erlenmatt vergleichbar, dort ging es hauptsächlich ums Wohnen.
Die Stadtentwicklung bringt eben auch Probleme mit sich, Stichwort Gentrifizierung.
Diese Debatte hat in Basel etwas Virtuelles. Ich bekomme regelmässig Anrufe von Studierenden, die mich fragen, bei welchem Gentrifizierungsgrad wir nun angelangt seien. Schon Stufe 4 oder doch erst 3? Basel hatte ein Verdrängungsproblem und zwar zwischen 1970 und 2000, als Tausende von Leuten die Stadt verliessen und junge Familien aufs Land zogen. Heute ist die Luft in Basel aber gleich sauber wie in Therwil. Wenn neue Leute zuziehen, die ihren Arbeitsplatz im Quartier zu Fuss erreichen können, gewinnt die gesamte Bevölkerung. Es ist rührend, wenn vermeintlich Progressive die Konservativen überholen mit ihrer Verherrlichung des Status quo. Im St. Johann wird niemand vertrieben – es findet durch die zusätzlichen Wohnungen eher eine Angleichung an die Struktur von vor 1970 statt. In Basel sind die Menschen ihrem Quartier sehr verbunden. Das heisst, sie verbleiben auch nach beruflichem Aufstieg und Familiengründung im Quartier. Es sind also die Quartierbewohner selbst, die für diese Entwicklung sorgen, da sich die Wohnansprüche mit der Lebensphase ändern. Es hilft dem Quartier, wenn in den Schulklassen nicht nur Kinder von Sozialhilfeempfängern sitzen, sondern auch solche aus dem Mittelstand.
Es gibt handfeste Belege für die Verdrängung: neuer, teurer Wohnraum, steigende Mieten in Altbauten, günstiger Wohnraum, der ganz wegfällt.
Es gibt mehrere Projekte für günstigen Wohnraum. Stossend ist, wenn Menschen wegen einer Renovation ihre Wohnung verlassen müssen und keinen Ersatz oder eine Mietverlängerung erhalten. Das ist aber eine Frage des Umgangs, den der Vermieter mit seinen Mietern pflegt. Solche Einzelfälle sind extrem ärgerlich, doch der Mieterschutz funktioniert in der Regel. Wer aber eine Garantie einfordert, gar nie umziehen zu müssen, ist weltfremd. Im Durchschnitt wird in Basel alle sechs Jahre gezügelt – allein im Kanton sind das 17’000 Wohnungswechsel jährlich auf dem freien Markt. Wir sind garantiert keine Gentrifizierungsstadt. Wir haben sogar eine eher zu geringe Renovationsquote. Deshalb fallen die Mieten für eine boomende Wirtschaftsstadt wie Basel verhältnismässig tief aus – sie sind tiefer als in Winterthur.
Die Hüningerstrasse ging an die Novartis, ein geschlossener Campus beansprucht Teile des Quartiers, davor wurde die Voltamatte «aufgewertet», in den Voltahäusern wohnen Mitarbeiter desselben Unternehmens. Wie gross ist der Einfluss der Novartis auf die Stadtentwicklung?
Wir konnten die Hüningerstrasse gegen den Uferweg abtauschen. Der Rhein ist doch wichtiger als eine kurze Querstrasse. Es ist auch nicht neu, dass Firmengelände geschlossen sind, die Sicherheitsbestimmungen verlangen das. Der Campus ist ein Magnet für Architekturtouristen. Ausserdem geistert oft das Bild herum, die Zuzüger seien alles hoch bezahlte Cracks. Dabei sind das ganz normale Forscher mit Familie. Sie beleben das Quartier und schicken inzwischen auch ihre Kinder dort zur Schule. Das ist ein Gewinn für die ganze Bevölkerung.