Grosse Worte, urchige Gesten

Kein Wunder, winken den Rechtsnationalisten erneut Gewinne an den Eidgenössischen Wahlen. Progressiven Kräften fehlte im Wahlkampf ein greifbarer Gegenentwurf zur brüchigen, aber simplen Legende von der nationalen Abschottung.

Was für ein ideologischer Lärm: Was auch immer die Schweiz ausmacht, es ist nicht allein das, was eine Partei zur Stimmungsmache nutzt.

(Bild: Nils Fisch)

Kein Wunder, winken den Rechtsnationalisten erneut Gewinne an den Eidgenössischen Wahlen. Progressiven Kräften fehlte im Wahlkampf ein greifbarer Gegenentwurf zur brüchigen, aber simplen Legende von der nationalen Abschottung.

Es ist Mitte Oktober, die Schweiz steht kurz vor den Eidgenössischen Wahlen, und wir haben einen Wahlkampf hinter uns, in dem das Motiv nationaler Selbstfindung das dominierende Element war. Und wieder waren es die Rechtsnationalisten der SVP, die eine Debatte über das nationale Wir bestimmten. 

Es war die logische Fortsetzung des rechten Wahlkampfs von vor vier Jahren, und das Rezept zeitigt immer noch Wirkung. Hier wird schon gar nicht mehr gross über Positionen oder Haltungen debattiert, nein: Hier geht es um das grosse Ganze. Um das Selbst, gegen das Andere und darum, ein nützliches geistiges Selbstbild dieser Nation zu beschwören. 

Grosse Worte, scheppernde Schellen

So kommen grosse Worte und urchige Gesten zum Zug, auch wenn dabei Symbolik, Moderne und Tradition – ob passend oder unpassend – nach freiem Belieben gemischt werden. Das schreibt Georg Kreis in seinem Essay über das heimatbeschwörende Geläut der im Parteiklang scheppernden Trycheln.

Dieses ideologische Kuddelmuddel tut nicht nur der modernen Kultur der Schweiz unrecht, indem es ein Weltbild rechtskonservativer Wunschvorstellungen zum Idealfall erklärt. Es ist auch gefährlich: Dieser künstliche Rückzug kann nicht von Bestand sein, weil das Bild immer an der Gegenwart zerbricht. 

Gleichzeitig warnt Historiker Jakob Tanner davor, dass sich die direkte Demokratie auszuhöhlen beginnt: Als gut geölte Kampagnenmaschiniere, durch permanente Empörungsbewirtschaftung, und mit «ausgeprägt europa- und fremdenfeindlichem Drall». So dominierte, wen wunderts, das Thema Migration auch diesen Wahlkampf wie kein anderes. 

Versatzstücke aus Blut und Boden

Uns geht es gut, immer noch. Und doch hat die Nation Angst, Wohlstand zu verlieren, Angst vor Veränderung, Angst vor dem Fremden. Diese Angst lässt sich gut bewirtschaften: Die Heterogenität dieses Landes macht es leicht, mit Versatzstücken einer rechtsnationalen Blut-und-Boden-Kultur das politische Klima zu beeinflussen. 

Kein Wunder also, dass uns laut Prognosen am Sonntag ein weiteres Erstarken des rechten und besonders des nationalkonservativen Flügels blüht. Wo ein greifbarer, ebenso einfacher wie valabler Gegenentwurf zur Abschottungspropaganda fehlt, fehlt weitgehend auch der Mut zur Veränderung. Doch trotz aller Warnungen vor den Risiken unserer Demokratie gebührt ihr ein Verdienst: Wenn am Sonntag die Stimmen ausgezählt sind, hat der Wählende das letzte Wort gesprochen.

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