Guy Lachappelle: «Das gleich kurze Schwert»

Der Direktionspräsident der Basler Kantonalbank rechnet mit keinen negativen Folgen für die Schweizer Wirtschaft. Durch die allfällige Schwäche des Finanzplatzes London wird die Schweiz allerdings auch nichts gewinnen.

«Der Schweizer Finanzplatz wird von einer allfälligen Schwäche des Finanzplatzes London nicht profitieren können»: Guy Lachappelle.

(Bild: Nils Fisch)

Der Direktionspräsident der Basler Kantonalbank rechnet mit keinen negativen Folgen für die Schweizer Wirtschaft. Durch die allfällige Schwäche des Finanzplatzes London wird die Schweiz allerdings auch nichts gewinnen.

Ein Riss geht durch Grossbritannien, um nicht zu sagen: Ein Graben spaltet die Nation. Alt gegen Jung, Süden gegen Norden. Kein einfacher Prozess steht bevor, und für Anleger heisst es jetzt Ruhe bewahren.

Premierminister David Cameron hat noch am Tag des Abstimmungsergebnisses seinen Rücktritt für Oktober angekündigt. Da auch die Meinung der grossen Mehrheit der Parlamentarier nicht das Referendum-Ergebnis widerspiegelt, sind Neuwahlen wahrscheinlich. Es wird einige Monate dauern, bis die Briten selber wissen, wie sie diesen EU-Austritt gestalten wollen, und Europa wird es wohl einige Jahre beschäftigen. 


Nach der Erklärung des Austritts haben die Briten und die EU mindestens zwei Jahre Zeit, sich auf neue Verträge zu einigen. Das ist nur scheinbar eine lange Zeit. Die hohe Komplexität der Thematik macht verlässliche Prognosen praktisch unmöglich. Vorrangiges Verhandlungsthema wird der Verbleib Grossbritanniens im EU-Binnenmarkt sein. Beide Seiten dürften daran ein Interesse haben. Allerdings ist fraglich, ob die EU dafür die von den Briten gewünschte Bedingung der Personenfreizügigkeit aufgibt.

Keine direkte negative Auswirkung

Uns Schweizern ist ja mit Blick auf die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und folglich den bilateralen Verträgen bestens bekannt, dass die EU diesbezüglich eine harte Verhandlungsposition einnehmen wird. Die EU verfolgt klar das Ziel, nationalistische und separatistische Strömungen in anderen EU-Ländern zu verhindern. Dennoch ist auch klar, dass die EU nicht weiterarbeiten kann, als wäre nichts passiert. Es wird ein steiniger Prozess werden, und zwar für alle. Im schlimmsten Fall stehen beide Parteien am Ende ohne gültige Verträge da.


Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Entscheids bleiben abzuwarten. Die Finanzmärkte haben am frühen Freitagmorgen «der Entscheidung» zunächst sehr heftig reagiert. Die europäischen Aktienmärkte sind um bis zu elf Prozent eingebrochen, das britische Pfund hat stark an Wert verloren. Der Druck auf den Euro war dagegen überraschend moderat. Der Wechselkurs sank nur kurzzeitig auf 1.06 Franken je Euro, danach konnte sich dieser wieder deutlicher erholen. Auch dank Interventionen seitens der Schweizerischen Nationalbank.

Doch was bedeutet der Brexit für die Schweiz? Fünf Prozent der Schweizer Exporte gehen nach Grossbritannien. Der EU-Austritt sollte jedoch die Handelsbeziehungen mit Grossbritannien kaum tangieren. Da sich auch die Aufwertung des Frankens bislang in einem sehr engen Rahmen bewegt, rechnen wir seitens der Basler Kantonalbank nicht mit einer direkten, negativen Auswirkung auf die Schweizer Wirtschaft. Wie der Brexit jedoch die Weltwirtschaft beeinflusst, kann heute niemand voraussagen.

Das gleich kurze Schwert

Der Finanzplatz London dürfte einen Teil seiner Bedeutung verlieren. Dies zugunsten von Paris oder Frankfurt. Für den effizienten Vertrieb von Finanzprodukten im EU-Markt ist es zentral, dass ein Produkt in einem EU-Land zugelassen wird, damit es im gesamten EU-Raum ohne zusätzliche Auflagen vertrieben werden kann. Aus diesem Grund werden voraussichtlich Tausende Arbeitsplätze in London abgebaut und an EU-Finanzplätze verlagert.

Leider wird der Schweizer Finanzplatz von einer allfälligen Schwäche des Finanzplatzes London nicht profitieren können, da die Verlagerung in die EU-Länder erfolgt. Auf mittlere Frist haben wir allenfalls einen Verbündeten im Bemühen um einen möglichst freien Marktzugang zur EU. London kämpft dann aufgrund seiner bisherigen Bedeutung mit einem gewichtigeren, schlussendlich aber mit dem gleich kurzen Schwert wie die Schweiz.

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