Die EU wird in nächster Zeit mit sich selber beschäftigt sein. Die Schweiz muss ihre Standortförderung gezielt auf die neue Situation ausrichten, findet die Präsidentin der FDP Schweiz.
Wie wird sich der Brexit auf die Schweiz auswirken? Welchen Einfluss wird er auf die Gespräche der Schweiz mit der EU bezüglich der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative haben? Diese Fragen sind noch nicht abschliessend geklärt. Klar ist, dass die Position der Schweiz gegenüber der EU für eine Neuverhandlung des Personenfreizügigkeitsabkommens zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels nicht vorteilhafter geworden ist.
Im Gegenteil: Es wird schwieriger, bis am 9. Februar 2017 – dem Datum, an dem die Umsetzungsgesetzgebung verabschiedet sein muss – eine Lösung zu finden. Auch ist die EU nun gezwungen, sich über die kommenden Jahre mit einer internen Restrukturierung auseinanderzusetzen und hat dadurch allenfalls weniger Willen, eine Lösung zusammen mit der Schweiz zu verhandeln. Die EU wird in den kommenden Monaten oder gar Jahren in erster Linie mit sich selber beschäftigt sein.
Die FDP steht nach wie vor vorbehaltlos hinter dem bilateralen Weg. Der Bundesrat muss nun im Rahmen seiner Möglichkeiten alles tun, um unsere bilateralen Beziehungen mit der EU zu sichern. Die FDP hat daher den Vorschlag eines Inländervorrangs eingebracht. Dieser soll gezielt in Branchen und Berufsgruppen angewendet werden, welche eine hohe Arbeitslosenquote aufweisen. Befristet müssen in diesen Fokusbranchen für eine offene Stelle Inländer bevorzugt werden. Dieser Ansatz ohne quantitative Höchstzahlen und Kontingente stösst bei der EU mutmasslich auf am wenigsten Ablehnung.
Grossbritannien in die Efta
Zudem muss die Schweiz eigenständig im Bereich der Drittstaatenmigration aktiv werden und die Anforderungen für ein Bleiberecht in der Schweiz für diese Personen strenger ausgestalten. Qualifizierte Fachkräfte, welche die Wirtschaft nachfragt, sind im Interesse der Schweiz und daher samt ihren Familien willkommen.
Aussenpolitisch ist zudem entscheidend, dass die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Grossbritannien, welche bisher über die Verträge mit der Europäischen Union geregelt waren, auf ein neues Fundament gestellt werden. Die Prüfung einer Mitgliedschaft Grossbritanniens in der Efta ist daher wünschenswert. Damit könnte für einen Teil der neuen bilateralen Lücken zwischen Grossbritannien und der Schweiz über die Efta eine Nachfolgelösung gefunden werden.
Der Brexit ist auch wirtschaftlich eine Herausforderung für die Schweiz. Ein unsicherer Euroraum stärkt den Schweizer Franken und fordert damit die Schweizer Exportwirtschaft, den Tourismus und die Schweizerische Nationalbank ein weiteres Mal. Der Entscheid Grossbritanniens kann für unser Land aber auch Chancen bieten, um Firmen neu in der Schweiz anzusiedeln oder neue Geschäftsfelder in unser Land zu holen.
Die rasche Umsetzung der Unternehmenssteuerreform III ist mit dem Brexit noch dringlicher geworden.
Für eine attraktive Schweiz ist es notwendig, dass die Standortförderung sich gezielt auf diese neue Ausgangslage ausrichtet. Die Förderung eines liberalen Finanz- und Werkplatzes und Versicherungsmarktes und die rasche Umsetzung der Unternehmenssteuerreform III sind mit dem Brexit noch dringlicher geworden: So sichern wir Arbeitsplätze in der Schweiz, stärken unsere Wettbewerbsfähigkeit und schaffen Rechtssicherheit.
Attraktive Standortfaktoren und auf lange Frist verlässliche politische Rahmenbedingungen sind wichtiger denn je. In erster Linie aber muss die Politik die Unternehmen in der Schweiz schnellstens von Bürokratie entlasten und unnötige Regulierungen stoppen.
Die FDP hat hierzu bereits vor dem Entscheid der Briten Vorstösse eingereicht, die nun umgehend umgesetzt werden müssen. Die Einführung eines Mehrwertsteuer-Einheitssatzes beispielsweise zwingt sich geradezu auf. Wir fordern das seit Langem. Nun ist es wie nie zuvor angezeigt, dies umzusetzen. Setzen wir diese Massnahmen zeitnah um, stärken wir den Standort Schweiz und können die sich bietenden Chancen nutzen.
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