Die Effi Briest des Neubads

Wohnquartier statt Shoppingmeile: Seit Yvonne Peyer mit ihrem Buchladen Olymp & Hades ins Neubad gezogen ist, verputzen die Kinder aus der Nachbarschaft ihr Sackgeld bei ihr.

Yvonne Peyer (r.) und Jeannette Gallus feiern dieses Jahr das 25. Jubiläum von Olymp & Hades. (Bild: Eleni Kougionis)

Effi Briest kannte nichts: Sie heiratete mit 17 Jahren einen doppelt so alten Mann, betrog ihn und verlor darüber alles: Tochter, Freunde, Haus – und am Schluss ihr Leben. Das hat Yvonne Peyer nicht getan, aber auch sie war ziemlich mutig, als sie mit 28 Jahren ihren eigenen Buchladen Olymp & Hades in der Gerbergasse eröffnete. 

Die Kollegen staunten: «Du traust dich in die Innenstadt, dort, wo jeder hinwill.» Ganz genau, Peyer wollte dorthin, wo etwas läuft, und sie wollte es selbstständig tun, ihr Leben selber gestalten. Wie Effi Briest es gerne getan hätte, aber im 19. Jahrhundert nicht konnte – «sie ist mir sehr nahe vom Charakter her». 

Private Gründe, wirtschaftliche Vorteile

Jetzt, 25 Jahre später, steht die Buchhändlerin in einem Sommerkleid am Tresen ihres Ladens. Es gibt nicht viel Platz zwischen Regalen und Büchertischen, nebeneinander stehen geht grad so. 

Eine Kundin verlässt zögernd den Laden, sie hat bezahlt, möchte aber lieber noch nicht gehen. Sie will der Buchhändlerin noch rasch etwas erzählen, etwas Privates, aus der Familie. Es ist so, wie Peyer es haben will: klein und persönlich. 

Und weil sie das so will, zeigte Peyer vor vier Jahren noch einmal Mut, als sie sich entschloss, von der Innenstadt ins Wohnquartier zu ziehen, von der Gerbergasse an die Neuweilerstrasse. Der Umzug hatte private Gründe und bringt wirtschaftliche Vorteile. 

Mail? Karte! Amazon? Olymp & Hades!

Zuerst zum Persönlichen: Peyer hatte die Innenstadt einfach «gesehen». Hinter ihr lagen zwei Jahrzehnte an der Gerbergasse, vor ihr noch 10 bis 15 Jahre bis zur Pensionierung. Zeit genug, um etwas auszuprobieren. «Ich brauchte etwas Neues.» Also suchte sie sich einen neuen Standort – dieses Mal am Stadtrand. 

Quartiere sind cool geworden

In den 90er-Jahren hatten die Quartiere als Gewerbestandorte einen schlechten Ruf. Sie waren zum Schlafen da, fertig. Heute schätzen es die Leute, wenn sie nicht in die Innenstadt fahren müssen, sondern im Quartier einkaufen können.  Der Laden am Neuweilerplatz passte auf Anhieb. Peyer kennt die Leute im Quartier, sie ist im Neubad aufgewachsen und wohnt grad ennet der Kantonsgrenze in Allschwil. «Hier fühle ich mich zu Hause.» 

Am neuen Standort fallen die Kinderbücher auf, die vielen, vielen Kinderbücher, sie nehmen eine ganze Wand ein, mehr als Krimis, Romane und Sachbücher. Neben schlauem Lesestoff für die Kleinen, stehen da auch Sachen wie «Prinzessin Lillifee». «Hauptsache, die Kinder lesen», sagt Peyer. Und das tun sie, in diesem Quartier: «In der Gerbergasse bekamen wir die Kinder fast nicht in den Laden, hier kommen sie von alleine und verputzen ihr Sackgeld.» 

Männer lesen mehr

Dasselbe gilt für die Männer, auch sie kommen im Neubad öfter in den Laden als früher an der Gerbergasse. Und sie kaufen fast so viel Belletristik wie die Frauen.

Lesen die Neubader Kinder und Männer mehr? 

Vielleicht. Im Gotthelf-, Iselin- und Bachlettenquartier leben viele Bildungsbürger, wenige Ausländer, wie der Quartierradar 2016 des Statistischen Amts Basel zeigt, «leider», findet Peyer.

Vielleicht hat die Lesefreude im Neubad aber gar nichts damit zu tun, schliesslich ist der Bildungsstand in der Innenstadt auch hoch. Vielleicht liegt ein Laden im Quartier für Familien einfach eher «auf dem Weg»; mit Kindern ist die Strecke in die Innenstadt weiter als ohne. 

Gerade als Peyer davon redet, kommt ein Knabe mit seinen Grosseltern in den Laden, ein Buch umtauschen.  Soll er das neue Yakari-Fanbuch kaufen? Peyers Mitarbeiterin Jeannette Gallus zeigt ihm eine Auswahl von Büchern, die ihm gefallen könnten.

Yvonne Peyer mag Kinkerlitzchen. Ihre Kundinnen auch.

Den Leuten im Quartier scheint es zu gehen wie Yvonne Peyer: Sie schätzen das Persönliche, sie suchen den Kontakt, auch wenn sie bei Online-Händlern für dasselbe Buch vielleicht weniger bezahlen würden. Zwar beweinen Kulturkritiker immer wieder den Untergang des gedruckten Buchs und das nicht zu Unrecht: Buchhändler haben es schwer, das ist bekannt. Und doch will und will das Buch nicht aussterben. 

Lesen Sie: Die kulturelle Apokalypse verspätet sich. Schon wieder!

Aber bitte mit Persiflage

Mit dem Umzug hat Yvonne Peyer die Fixkosten gesenkt. Die Lage, die kleine Ladenfläche, beides wirkt sich auf die Miete aus. Ein Segen: Ein Jahr nach dem Umzug ins Neubad kam der zweite Euro-Sturz: «In der Innenstadt hätten wir den nicht überlebt», sagt Peyer. Doch am Neuweilerplatz geht es Olymp & Hades gut. 

So gut, dass die Buchhändlerin expandiert, zumindest ein bisschen. Sie hat sich einen zweiten Raum dazugemietet, damit sie ab dem Sommer wieder eine Lehrtochter ausbilden kann. Auch wenn die Zukunft des Buchhandels nicht rosig aussieht: «Die Lehre bietet jungen Leuten eine gute Grundlage.» 

Buchhändler können nicht nur lesen, sie können auch rechnen – das ist in vielen Berufen gefragt. Peyer hat es deshalb nicht gerne, wenn ihr Beruf als intellektuell-schöngeistiges Hobby abgetan wird. Die «bz Basel» schrieb kürzlich über neue Buchläden in der Klybeckstrasse: «Mit Büchern lässt sich heute kaum mehr Geld verdienen.» Peyer beweist mit ihrem Laden das Gegenteil.

Übrigens: Wer nun Lust auf Theodor Fontane bekommen hat, höre auf den Profi: Peyer liest Effi Briest immer parallel zur Persiflage «Die wahre Geschichte der Effi B.» von Dorothea Keuler. «Die beiden gehören zusammen.» Das Buch ist zwar vergriffen, aber Peyer kann es bei einem Antiquariat bestellen. 

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