Wir treffen den Zollidirektor im Sitzungszimmer des Verwaltungsgebäudes, das einen neuen Anstrich ganz gut vertragen könnte. Und das damit so ganz anders wirkt als die Tieranlagen dahinter, die grösstenteils sehr proper daherkommen – kein Wunder, denn nicht wenige davon wurden erst in den letzten Jahren eröffnet. Direktor Olivier Pagan kommt unserem Wunsch zuvor und bittet gleich nach draussen zu einem Spaziergang durch die Tierparkanlage.
«Ich gehe regelmässig durch den Zolli, würde es aber gerne noch öfters tun können, um mit meinen Mitarbeitern und den Besuchern in Kontakt treten zu können», sagt er. Und um die Tiere zu sehen? «Natürlich.» Aber nicht nur die Löwen, Flamingos, Elefanten und Co. machen für Pagan den grossen Reiz der Anlage aus; auch über die Parklandschaft spricht er mit Begeisterung. «Ich habe den schönsten Arbeitsort, den man sich denken kann», sagt er. Und es fällt nicht schwer, ihm das zu glauben.
Ein alter Zolli-Hase
Pagan ist, um einen Begriff aus dem Fauna-Jargon zu benutzen, ein alter Hase vor Ort: 25 Jahre arbeitet der 55-Jährige bereits im Zolli, 16 Jahre als Direktor, davor fast zehn Jahre als Tierarzt. Trotz der langen Zeit, die er bereits in Basel tätig ist, klingt ein feiner französischer Akzent beim Sprechen noch immer durch – ein charmantes Überbleibsel aus seiner Kindheit und Jugend im Kanton Neuenburg. Es unterstreicht den sympathischen Auftritt des grossgewachsenen und durchtrainierten Mannes, bei dem nur die angegraute Kurzhaarfrisur verrät, dass er die Fünfzig bereits ein paar Jahre überschritten hat.
Das sportliche Aussehen kommt nicht von ungefähr. Pagan ist in seiner Freizeit – «das ist meist erst nach dem Eindunkeln» – gerne mit seinen Laufschuhen unterwegs, die ihn ein- bis zweimal pro Jahr auch über die Marathondistanz tragen, wie er sagt.
Sehr viel mehr lässt Olivier Pagan über sein Privatleben nicht verlauten. Das liegt daran, dass er sich in seinem Reich nur schwer vom Thema Zoo abbringen lässt. Bis auf ein paar Sätze: Pagan liegen Tiere und die Natur auch privat sehr am Herzen. Zusammen mit seiner Frau, die als Tierärztin im Kleinbasel arbeitet, hält er zwei französische Schäferhunde – oder Beauceron, um die exakte Bezeichnung zu brauchen. Er habe als Kind bereits versucht, Vogeljunge aufzupäppeln, die aus dem Nest gefallen sind. Die logische Folge war das Tiermedizin-Studium in Bern, auf das eine Dissertation über Reptilienkrankheiten folgte.
Und er bezeichnet sich als leidenschaftlichen Segler. Vor seiner Verpflichtung als Zoodirektor haben er und seine Frau sich mit ihrem Schoner von Basel aus auf einen einjährigen Segeltörn begeben: «den Rhein-Rhône-Kanal hinunter und ans Mittelmeer, dann über den Atlantik in die Karibik und wieder zurück».
Beim Spaziergang im Zolli lässt sich der Marathonläufer viel Zeit. Er hält, befragt nach seinen Lieblingsplätzen, bereits wenige Meter nach dem Eingang ein erstes Mal inne.
Viele Tiere leben freiwillig im Zolli
Pagan zeigt auf den mehrstämmigen Flügelnussbaum vor dem Vivarium: «Wir haben viel investiert, haben extra den Boden angehoben, um diesen prächtigen Siebenstämmer bei der Sanierung des Wegs erhalten zu können.» Und er zeigt auf die Kormorane und Graureiher hinter dem Baum. Sie sind wie die zahlreichen Störche, Eisvögel und viele weitere Tiere willkommene Gäste des Zolli. «Über 3000 Tier- und Pflanzenarten haben den Zolli absolut freiwillig als Lebensraum gewählt», betont Pagan.
Aber eigentlich kommen die meisten Besucher ja wegen denjenigen Tieren in den Zolli, die sich nicht ganz so frei bewegen können. Darauf angesprochen, nimmt Pagan sogleich die Rolle des freundlichen, aber bestimmten Anwalts für zoologische Gärten ein. Das mit dem «nicht ganz so frei bewegen» will er nicht stehen lassen: «Die heile paradiesische Welt draussen ist ein romantisierendes Bild», sagt er bestimmt. «Auch das Leben in der freien Wildbahn unterliegt Zwängen und Grenzen.»
Es ist eine Erklärung, die man von Pagan in unterschiedlicher Form immer wieder zu hören bekommt. Er wiederholt sie auch gegenüber der Besucherin, die ihn später auf dem Spaziergang auf die eingesperrten Tiere und insbesondere die engen Platzverhältnisse im Wolfsgehege anspricht. Diesen Punkt bestätigt Pagan allerdings. Die Basler Wölfe hätten wirklich zu wenig Platz. Deshalb habe der Zolli beschlossen, die Haltung dieser Tiere auslaufen zu lassen.
Vor dem Aussterben retten
Uns will er aber die Somali-Wildesel zeigen. Sie haben die «Zwänge und Grenzen» der freien Wildbahn an den Rand des Aussterbens gebracht. Nur noch 300 bis 400 Tiere existierten in freier Natur, was den Zolli als Refugium umso wichtiger mache, sagt Pagan. «Das wunderschöne Tier ist damit ein Paradebeispiel für die wichtige Rolle der zoologischen Gärten bei der Arterhaltung», betont er, wiederum ganz in der Rolle des Anwalts für den Zolli. Nicht ohne Stolz weist er schliesslich darauf hin, dass das internationale Zuchtbuch für die Somali-Wildesel in Basel deponiert ist.
Pagan kennt «seine» Tiere. Mit vielen von ihnen, oder genauer: vielen Vorfahren der heutigen Zolli-Bewohner, hatte er einst als Tierarzt direkten Kontakt. Da gibt es unzählige Geschichten zu erzählen. Bei einem der Wildesel habe er zum Beispiel einmal eine grosse Hautverletzung unter der Mähne untersuchen müssen, die bei der Paarung entstanden sei. «Bei diesen Tieren geht es in diesen Momenten sehr wild zu und her», sagt er. «Sie würden staunen.»
Der Tierpfleger, der das Essen bringt, wird positiver wahrgenommen als der Tierarzt mit dem Blasrohr.
Als Tierarzt hatte Pagan einst auch mit der kürzlich verstorbenen, berühmtesten Bewohnerin des Zolli zu tun: mit der Gorilla-Dame Goma. Sie war 1959 die erste ihrer Art, die in einem europäischen Zoo zur Welt kam und aufgezogen wurde.
«Sie war eine schöne Gorilla-Dame, sie war über viele Jahre meine Patientin», sagt Pagan. – «Mochte Goma Sie?», wollen wir wissen. – «Nein», antwortet Pagan ohne auch nur einen Moment nachzudenken.
Persönlich nimmt er das aber nicht: «Als Tierarzt, der sich mit dem Blasrohr oder der Spritze nähert, bleibt man bei seinen Patienten nicht in bester Erinnerung», sagt er mit einem Lächeln. Der Tierpfleger, der das Essen bringt, werde um einiges positiver wahrgenommen.
Die Rolle als «negativ besetzte Bezugsperson» mag Pagans Entscheid, den Tierarzt-Kittel an den Nagel zu hängen, erleichtert haben. «Zwar habe ich heute weniger direkten Kontakt mit den Tieren, dafür kann ich sie jetzt in absolut entspannter Stimmung beobachten», sagt er und zeigt auf die Gruppe von Rappenantilopen, die sich an diesem sonnigen Morgen zum friedlichen Stelldichein ins Gras gelegt hat.
Eine Existenz ohne Superstars
Goma war ein weltbekannter Star. Medien aus der ganzen Welt berichteten über sie. Eine solche Berühmtheit hat der Zolli gegenwärtig nicht zu bieten. Er hat kein Elefantenbaby, das – wie in diesen Tagen im Zoo Zürich – für Tausende Klicks auf Youtube sorgen würde. Und aus den Pandabären, die in den 2000er-Jahren mal «als Vision» in Pagans Kopf herumschwirrten, wurde nichts. «Wir hätten viel Geld hinblättern müssen, was dem Prinzip der wissenschaftlichen Zoos widerspricht, dass wir untereinander kein Geld verlangen für den Austausch von Tieren.»
«Wenn ich rein auf Spektakel aus wäre, würde ich etwas anderes tun, als einen Zoo zu leiten.»
Bei den Affen halten wir uns auf dem Spaziergang nicht lange auf – zu viele Menschen versperren den Blick auf die Aussengehege, die 2012 eingeweiht wurden. Mit Genugtuung weist Pagan aber auf den vollbesetzten Tummelplatz hin, auf dem die Kinder das Zollileben der Affen nachspielen.
Auch die anderen Klischee-Vorzeigetiere des Zoos wie die Löwen, Nashörner, und Seelöwen lässt Pagan auf dem Spaziergang links liegen. Wichtiger ist ihm, dass wir einen Blick in den Stall des Kinderzollis werfen.
Dass der Basler Zolli ohne schillernde Superstars auskommen muss, kümmert Pagan nach eigenen Angaben nicht sehr. Er freue sich mit den Zürchern über die beliebten Elefantenbabys und hoffe natürlich, dass die grauen Riesen auch in Basel wieder mal für Nachwuchs sorgen werden.
«Wenn ich rein auf Spektakel aus wäre, würde ich etwas anderes tun, als einen Zoo zu leiten», sagt er. Und: «Als ausgebildeter Tierarzt ist es für mich heute noch jedes Mal eine kleine Sensation, wenn wir ein Junges gesund zur Welt bringen können.» Das gelte nicht nur für Löwenjungen, sondern zum Beispiel auch für die kleinen Minipigs im Kinderzoo, was die Zollibesucher durchaus zu schätzen wüssten.
Inzwischen sind wir, vorbei an der gerade nur von den vielen Störchen besetzten Elefanten-Aussenanlage, bei den Wanderheuschrecken im Etoscha-Haus angelangt. Tiere, die im Attraktivitäts-Wettstreit gegen Löwen, Nashörner und Menschenaffen keine Chance haben – könnte man meinen. Pagan verweist aber auf eine Publikumsumfrage, in der die Heuschrecken in der Etoscha-Anlage ganz oben auf der Beliebtheitsskala rangierten – noch vor den Erdmännchen, den vermeintlichen Publikumslieblingen!
«Die Natur übersetzen»
Der Zollidirektor fasst dieses Umfrageresultat als grosses Lob auf für die Arbeit des Zoos und für die Bildungsaufgabe, die er sich selber gestellt hat. «Wir wollen als wissenschaftlich geführter Zoo nicht Tiere vorführen, sondern die Natur unter anderem mit Tiergemeinschaften übersetzen, Zusammenhänge aufzeigen, die Menschen für artenschützerisch relevante Themen sensibilisieren», sagt er. Dies alles neben der Bestimmung, dass der Zolli nicht zuletzt auch ein Ort der Unterhaltung, Erholung und Entspannung sein soll.
Dieses Prinzip umreisst Pagan auf dem Spaziergang immer wieder. Insbesondere, als das Gespräch beim Thema Ozeanium anlangt. Am geplanten Meeres-Grossaquarium auf der Heuwaage scheiden sich die Geister. Tierschützer kritisieren, dass für das Ozeanium Korallenfische aus ihrem natürlichen Lebensraum entrissen werden müssten.
«Ich begrüsse es, über Sinn und Zweck des Ozeaniums und den Zolli als Ganzes zu diskutieren», sagt Pagan, «aber nur, wenn die Diskussionen nicht von unhaltbaren Behauptungen und Unterstellungen geprägt sind.» Er sieht im Ozeanium einen Beitrag zum Schutz und keineswegs eine Gefährdung der Meeresfauna. Wie beim Zolli überhaupt gehe es darum, auf die Gefährdung der Lebensräume der Tiere hinzuweisen. «Die Diskussion zeigt aber, dass wir noch viel zu kommunizieren haben», sagt er vor dem Hintergrund, dass dieses Projekt noch durch den Grossen Rat muss und es wahrscheinlich zu einer Referendumsabstimmung kommen wird.
Fans, Gönner und Mäzene
Der regen Diskussion über das Ozeanium kann Pagan aber auch etwas Positives abgewinnen. Er sieht sie nicht zuletzt auch als Zeichen der engen Verbundenheit der Bevölkerung mit dem Zolli. «Es ist eine Verbundenheit, die sich nicht nur bei Mäzenen und Gönnern zeigt, sondern auch bei den sehr vielen Fans aus der breiten Bevölkerung.» Denn auch die zahlreichen Besucher sorgen dafür, dass der Zolli praktisch keine Geldprobleme kennt. Die Einnahmen durch den Ticketverkauf (10,3 Millionen Franken) sowie Spenden und Legate (6,3 Millionen) sind um ein Vielfaches höher als die Subventionen der öffentlichen Hand (1,6 Millionen).
Und wenn der Zolli neue Aussengehege für die Menschenaffen (2012), eine neue Elefantenanlage (2017) oder aktuell eine neue Pinguin-Anlage oder die Erweiterung des Vogelhauses plant, kann er sich auf seine Gönner verlassen.
Auch beim Ozeanium klingelte es bereits früh in der Kasse für den Neubau. Etwas über die Hälfte der benötigten 100 Millionen Franken seien bereits beisammen, sagt Pagan. Die skeptische Bemerkung, dass der Zolli jetzt noch ganze 50 Millionen Franken zusammenkratzen muss, lässt er nicht gelten: «Es ist nichts anderes als grossartig, dass wir ohne Rechtssicherheit und rund sechs Jahre vor der geplanten Eröffnung bereits mehr als die Hälfte des Geldes beisammen haben.» So eine grosse Unternehmung wie den Basler Zolli zu führen, ist schliesslich kein gemütlicher Spaziergang, sondern eher ein Marathon.