Wenn es so etwas wie einen gemeinsamen Nenner unter den Basler Türken gibt, dann ist das ein Fest im April. Internationales Kinderfest heisst die Veranstaltung, seit 1978 wird sie auch in Basel ausgetragen. Mehrere Tausend Kinder und ihre Eltern feierten auch dieses Jahr am 23. April auf dem Marktplatz, ein türkischer Popstar sang auf der Bühne, ein Fahnenschwinger jonglierte mit der Schweizer und der türkischen Flagge. Lokale Politiker zeigten sich, nachdem sie sich hatten versichern lassen, dass der Anlass politisch unverdächtig ist.
In der Vergangenheit blieb das Fest von den innenpolitischen Wirren verschont. Für nationalistisch gesinnte Türken zählt es zum Pflichttermin, egal, welcher Partei sie angehören.
Damit ist es nun vorbei: Eine Organisation namens UETD, eine Lobbygruppe der türkischen Regierungspartei AKP in der Schweiz, hat eine Konkurrenzveranstaltung ins Leben gerufen. Türken in Basel sind deshalb irritiert, die Rede ist von einem «Gesetzesbruch». Namentlich erwähnt werden wollen sie nicht, zu gross ist die Furcht vor Repressalien durch die türkische Regierung und deren Helfershelfer in der Schweiz.
Unter den Zuschauern am offiziellen Kinderfest in Basel befand sich auch der türkische Botschafter in der Schweiz, Ilhan Saygili. Das Fest hatte bislang einen hohen Stellenwert im Jahreskalender der Türkei. Eingeführt hat es Staatsgründer Kemal Atatürk 1920. Es ist auf den Jahrestag der ersten Parlamentsbildung gelegt und richtet sich an die Kinder, um Aufklärung, Bildung und Fortschrittswille zu stärken. Werte, die eher nicht zur jetzigen türkischen Politik passen.
Zumal auch das Erbe Atatürks in der Türkei unter Druck kommt. Das stets auch verklärte Heiligtum türkischer Identität kollidiert mit dem Selbstverständnis des jetzigen Präsidenten. Obertürke, das kann nur einer sein: AKP-Chef Recep Tayyip Erdogan.
Plötzlich gehts nicht mehr gemeinsam
Dessen Schweizer Helfer von der Vereinigung UETD rütteln nun an einem weiteren Fixpunkt der Kemalisten: Einen Tag vor der grossen, von der Stadt bewilligten Feier in Basel luden sie im aargauischen Spreitenbach zu einem eigenen Kinderfest. Mitorganisiert hat dieses die Basler Türkin Cigdem Ipek, Vorstandsmitglied der UETD. Ipek präsentiert sich auf Facebook als glühende Anhängerin Erdogans, vom Fest hat sie mehrere Videos aufgeschaltet. Zu sehen sind Kinder, welche die türkische Nationalhymne vortragen, die singen und tanzen. Dazu viele türkische Fahnen – und die Führrungsriege der UETD in der Schweiz.
Ein Video zeigt Kinder aus Somalia, die ebenfalls einen Auftritt am Fest haben. Mit ihnen wollen die UETD-Leute ihre internationale Ausrichtung dokumentieren und ans offizielle Kinderfest anknüpfen: Auch dort sind immer wieder internationale Gruppen zu Gast.
Am Telefon ist Organisatorin Ipek wortkarg. Sie erklärt, es habe sich um ein Kinderfest der UETD gehandelt, Nachfragen beantwortet sie nicht. Nach wenigen Sekunden hängt Ipek das Telefon auf. Auf Facebook schreibt sie über ihr Fest:
«Die erst 5-Jährige hat unsere Nationalhymne so toll gesungen, dass wir Fans von ihr wurden. Das kleine Kind hat sehr gut verstanden, dass Vaterland, Flagge und Boden für uns wichtiger sind als alles andere, sie hat uns deshalb emotionale Momente beschert. Masallah kleine Prinzessin. Unsere Zukunft ist in sicheren Händen.»
Kontroverse um «Heimatkurse»
Die Organisation des Basler Kinderfestes übernimmt der Türkische Schulverein in Basel. In enger Absprache mit der Botschaft stellt er das Programm zusammen. Der Verein leitet auch die türkischen Sprach- und Heimatkurse (HSK), die vom Erziehungsdepartement gefördert werden, aber in der Hoheit der Botschaft und des Vereins liegen.
Die HSK-Kurse sorgten unlängst für grössere mediale Aufmerksamkeit, als der «Blick» über Kriegsspiele an einer Schulaufführung in der Ostschweiz berichtete. Doch auch da ist die Interessenlage zumindest unklar. Die Regierung Erdogan scheint jedenfalls andere Erwartungen an die türkische Schulbildung in der Schweiz zu haben und plant eigene Schulen.
Der Basler Schulverein äussert sich auf Anfrage nur sehr zurückhaltend zum UETD-Kinderfest: «Wir sind überrascht über diese Veranstaltung und wurden vorgängig auch nicht informiert.» Weitergehende Einschätzungen sind nicht zu erhalten, man fürchtet Probleme mit den türkischen Behörden.
Kritik übt der Verein an der Basler Muslim Kommission (BMK), dem Dachverband sunnitischer Moscheen in Basel. Dass kein Vertreter der BMK am Basler Anlass war, wird als Affront empfunden.
Ärger über Basler Muslim Kommission
Die Führungsriege der BMK steht im Verdacht, enge Beziehungen zur UETD zu unterhalten. Serhad Karatekin amtet sowohl als Sprecher der BMK wie auch der türkisch-islamischen Fetih-Moschee, die über die AKP-nahe Diyanet-Stiftung finanziert wird. UETD-Vorstandsfrau Ipek war bis vor zwei Jahren Mitglied der Fetih-Moschee.
Karatekin erklärt auf die Frage, weshalb die BMK das Kinderfest weder besuchte noch unterstützte: «Die BMK hat grundsätzlich keinen Anlass, sich an solchen Feierlichkeiten zu beteiligen, weil diese keinen islamischen Hintergrund haben.»
Was von aussen plausibel erscheint, ist in der Basler Türkengemeinde ein grosses Politikum. Jede Hin- oder Abwendung wird registriert, jede Aussage genau gewertet. Vor den vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei am 24. Juni geht ein Riss durch die Schweizer Türken. Die Opposition gegen Erdogan und seine AKP wächst.