Seit Jahren werden am Claraplatz die meisten Infostände aufgestellt. Am aktivsten sind momentan Scientology sowie eine wenig bekannte Organisation namens «Gemeinde Jesus Christus erneuert», welche fundamentalistische Positionen vertritt. Um die muslimischen Gruppen ist es hingegen stiller geworden.
Samstags verwandelt sich der Claraplatz zur Muba für religiöse Splittergruppen: Scientologen mit roten Jacken schieben den Passanten einen «Persönlichkeitstest» unter die Nase. Ein junger Mann predigt biblische Worte auf einer Kiste, während gleich nebenan die Zeugen Jehovas den Wachtturm verteilen. Die islamische Gemeinschaft Ahmadiyya legt Broschüren auf, an einem weiteren Infostand bietet eine Familie christliche Comics feil. Früher rührten auch die mittlerweile in Basel abgetauchten Salafisten mit Koranverteilungen die Werbetrommel.
Das Weibeln ist ganz legal: Infostände sind nicht bewilligungs-, sondern lediglich meldepflichtig. Geregelt wird dies in den Richtlinien der Allmendverwaltung: Stände dürfen jeweils während eines Tages pro Woche und Institution aufgestellt werden, kumuliert maximal 20 Tage im Jahr. Dabei sind kommerzielle Produktewerbung und Verkauf untersagt. Sonst gibt es kaum Absagen, sagt Marc Keller, Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements (BVD): «Soweit sich die jeweilige Gruppe an die Richtlinien hält, wird die Nutzung der Allmend nicht verweigert.»
Die «Gemeinde Jesus Christus erneuert» weibelte in letzter Zeit regelmässig auf Allmend. Die vom Sektenexperten Georg Otto Schmid als fundamentalistisch eingestufte Gruppe weigert sich vehement, vor den Medien Stellung zu beziehen. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Fundamentalistische Gruppe als Dauergast
Momentan sind auf dem Claraplatz zwei Gruppen besonders aktiv: Scientology und «Gemeinde Jesus Christus erneuert». Während die Anhänger L. Ron Hubbards – insbesondere wegen der Ideal-Org-Eröffnung – seit über einem Jahr wieder für Wirbel in der Stadt sorgen, ist die andere Organisation nahezu unbekannt, doch sehr präsent.
Auf dem Kalender der Allmendverwaltung ist die «Gemeinde Jesus Christus erneuert» für vier Samstage im Juli eingeschrieben. Über die Mitgliederzahl, die Geschichte und die Leitung dieser Gruppe sind Informationen rar. Dies ändern, will die Gruppe offensichtlich gar nicht: Trotz mehrerer Anfragen verweigern die Standbetreiber das Gespräch mit der TagesWoche und wollen keine Angaben über ihre Tätigkeiten machen.
Wie der Theologe und Religionswissenschaftler Georg Otto Schmid von der evangelischen Beratungsstelle «Relinfo» festhält, ist die «Gemeinde Jesus Christus erneuert» nicht unproblematisch: «Es handelt sich um eine fundamentalistische Gemeinschaft am radikalen Rand der Freikirchenszene.» Typisch dafür sei ein ausgeprägtes Schwarz-Weiss-Denken, die Naherwartung des Weltendes, Missionseifer und ein extremer Dämonenglaube.
Gegen Katholiken, Homosexuelle und liberale Christen
Wie Schmid erklärt, werden Gruppen wie die «Gemeinde Jesus Christus erneuert» von Menschen aufgesucht, aus deren Sicht die etablierten Freikirchen die Bibel zu wenig wörtlich nehmen. Dabei nennt er mehrere Praktiken, die für solche Gemeinschaften charakteristisch sind: Konservative Kleidung, Verbot vieler Hobbys, Beschränkung der Sexualität auf die heterosexuelle Ehe und die Unterordnung der Frau. Ebenso seien in solchen Gruppen eine strenge Erziehung die Regel – manchmal mit Billigung von Körperstrafen und Spielzeugverboten am Sonntag.
Die Strenge hat ihren Reiz, sagt Sektenexperte Schmid: «Damit wirken fundamentalistische Gemeinschaften attraktiv auf Personen, die sich angesichts der Wahlmöglichkeit in modernen Gesellschaften überfordert fühlen und sich klare Vorgaben für die Lebensgestaltung wünschen.» Problematisch sei dabei, dass die Kinder oft in einem abgeschotteten Regelkorsett aufwachsen müssen, das sie nicht selbst gesucht haben.
Die «Gemeinde Jesus Christus erneuert» verteilt am Claraplatz die Traktate der «Chick Publications». Wie Schmid erklärt, werden in diesen Comic-Pamphleten Homosexuelle als Besessene dargestellt, Katholiken und liberale Christen als Agenten Satans. Harmlose Aktivitäten wie Halloween führen in den Bildergeschichten direkt in die Hölle, deren Qualen die Chick Produktionen drastisch ausmalen. Ebenso werden, sagt Schmid, in den Comics Esoterik, Islam und Evolutionstheorie als «Lügen Satans» beschrieben.
Eine «satanische Verschwörung»
Die Comics seien selbst unter Freikirchen umstritten: «Viele empfehlen sie wegen ihrer Drastik nicht weiter», sagt Schmid. Andere würden sie selektiv verwenden und liessen etwa diejenigen Ausgaben weg, welche die Katholiken aufs Korn nehmen, um sich bei gewissen Fragen nicht den Schulterschluss mit diesen zu verbauen. Fundamentalistische Gruppen würden hingegen oft den ganzen Satz verteilen.
Auf der Website der «Gemeinde Jesus Christus erneuert» werden zudem Bücher von Rebecca Brown angegeben. Auch diese Referenz sieht Schmid als typisch für den radikalen Freikirchenflügel: «Brown vertritt einen Dämonenglauben, verbunden mit der Vorstellung, dass zahlreiche Krankheiten und Befindlichkeiten durch die Einwirkung böser Geister verursacht werden.». Dabei seien ihre Schriften, in welchen das Bild einer weltumspannenden satanischen Verschwörung entworfen wird, auch bei vielen freikirchlichen Kreisen nicht gerne gesehen.
Passanten fühlen sich von Scientology belästigt
Die zweite sehr sichtbare Organisation hat es bei ihren Werbeaktionen einfacher: Die Liegenschaft an der Unteren Rebgasse 5 gehört dem obersten Basler Scientologen Patrick Schnidrig. Der Tisch mit den Büchern von L. Ron Hubbard steht im Eingangsbereich der Privatparzelle und muss daher nicht registriert werden. «Auf Allmend wäre der Stand hingegen meldepflichtig», sagt Marc Keller. Die Zahl der öffentlichen Werbeaktionen wären dadurch auch beschränkt.
Scientology hat aber auch eine Ausweich-Strategie: Sie betreibt durchaus auch Infostände an anderen Orten, so etwa kürzlich in Riehen und bei der Helvetia-Plastik bei der Mittleren Brücke. Oft geschieht dies unter anderen Labels wie «Narconon» oder «Jugend für Menschenrechte».
Missionieren auf dem Claraplatz stösst nicht überall auf Begeisterung – auch wenn Scientology manchmal als «Drogenpräventionsstand» auftaucht. Urintests werden aber noch nicht gefordert. (Bild: Michel Schultheiss)
An der Unteren Rebgasse ist die Organisation aber nach wie vor am auffälligsten: Von dort aus schwärmen oft mehrere Scientologen aus. Manchmal stehen auf dem Trottoir beim Clara-Migros gleich mehrere Anwerber. Nicht selten müssen Fussgänger einen weiten Bogen um sie machen, wenn sie nicht belästigt werden wollen.
Obowhl rein juristisch das Werben keine Belästigung sei, wie Andreas Knuchel erklärt, Mediensprecher der Justiz- und Sicherheitsdepartements. Es falle nicht unter Paragraph 23a des Übertretungsstrafgesetzes: «Eine unzumutbare Belästigung wäre, wenn ein Mitglied der werbenden Organisation Passanten aktiv stören würden», sagt Knuchel. Dies wäre erst der Fall, wenn die Scientologen einen aktiv Zurückhalten, lange Verfolgen und dauernd Ansprechen.
Dies ist allerdings nur die juristische Wahrnehmung, die Passanten fühlen sich durchaus belästigt: Die letzte Beschwerde zu den Missionsaktivitäten ging laut Knuchel im Januar 2016 ein. Zudem würden sich Leute immer wieder bei den Mitarbeitern des Community Policing Kleinbasel über das Verhalten der werbenden Scientologen beklagen.
Die Werbemaschen von eingeflogenen Scientologen
Manfred Harrer von der «Gewaltfreien Aktion gegen Scientology» beobachtet die Aktivitäten schon lange. «Der Claraplatz ist mittlerweile abgelutscht – die finden hier fast kein Frischfleisch mehr.» Seiner Ansicht nach geht es der Ideal Org schlecht und daher sieht er die Propagandaoffensive als ein letztes Aufbäumen dagegen. Dazu habe Scientology auch Anwerber von ausserhalb nach Basel geholt.
Deren Maschen seien immer dieselben: «Sie streicheln zum Beispiel den Hund oder lächeln in den Kinderwagen, um mit den Passanten ins Gespräch zu kommen», sagt Harrer. Zudem wirft er den Anwerbern vor, auch Jugendliche anzusprechen. Solche Szenen hat er mit der Kamera festgehalten.
Kürzlich musste er nach einem Entscheid der Schlichtungsbehörde mehrere Fotos mit den missionierenden Köpfen von seiner Facebook-Seite entfernen. Mit der Forderung nach einem Rayonverbot für Harrer und einer Genugtuung biss der Kläger von Scientology jedoch vor Gericht auf Granit.
Salafisten nennen einen «Zwischenfall» als Grund für ihr Verschwinden
Andere Gruppen, die ebenfalls für Kontroversen gesorgt haben, sind mittlerweile vom Claraplatz verschwunden – so etwa die Gruppe «Lies!» aus Deutschland sowie der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS). «Lies!» wird von der Fachstelle für Sekten «Infosekta» als «hochproblematische Gruppe mit Verbindungen zur extremen salafistischen Szene» beschrieben und ist in Zürich noch immer unterwegs. Der Psychologe Ahmad Mansour meint, dass es bei dieser Organisation nicht einfach um eine Koranverteilung, sondern um Werbung für den IS gehe und stützt sich dabei auf den deutschen Verfassungsschutz.
«Lies!» war eine Zeit lang sehr präsent mit Infoständen auf dem Claraplatz, später standen die Anwerber auch als «Sandwichmänner» in der Freien Strasse und beim Barfi Spalier. Wie Lilo Roost Vischer, Koordinatorin für Religionsfragen beim Präsidialdepartement bestätigt, ist die Gruppe seit etwa einem Jahr nicht mehr in den Basler Strassen zu sehen.
Der IZRS wird von «Infosekta» ebenfalls als «ausserordentlich problematisch und extrem» eingestuft. Obschon er bis vor Kurzem noch bei der Allmendverwaltung eingetragen war, steht sein Infostand seit mehreren Monaten nicht mehr auf dem Claraplatz.
Nach Angaben des IZRS soll ein «Zwischenfall» zu diesen Absagen geführt haben. Einer der wenigen Standbetreiber – ein Konvertit, der auch bei «Lies!» mitweibelte – hat ein Strafverfahren wegen mutmasslichen IS-Sympathiebekundungen am Hals. Bis dato liegt jedoch keine Antwort des IZRS vor, ob dies ein Grund für den Rückzug gewesen sei.
In den letzten Jahren mehr auf der Strasse als vor der Haustür: Die «Zeugen Jehovas» haben ihre Missionsstrategie geändert, was bei Basels prominentestem Religionskritiker für Interesse sorgt. (Bild: Michel Schultheiss)
Wie Evangelikale und Zeugen Jehovas werben
Vermehrt mit Ständen anzutreffen sind die Zeugen Jehovas. Sie haben vor einiger Zeit ihr Vorgehen geändert. Wie «Infosekta» berichtet, setzen sie neben ihrem bekannten Anklopfen an die Haustür vermehrt auf Missionierung auf öffentlichen Plätzen.
Zu nennen wäre noch «Red Box», deren Aktivisten auf einer Kiste predigen. Diese Gruppe wurde von Jacob Bock in Spanien gegründet. «Infosekta» ordnet sie dem evangelikalen Spektrum zu, für die das zwingende Weitergeben ihrer Botschaft ein zentrales Element ist.
Nebst der nicht bewilligungspflichtigen roten Kiste gibt es weitere christliche Missionstätigkeiten ohne Stand: Frauen verteilen etwa die Traktate von «Nimm und lies». Manchmal kommt auch ein Mann vorbei, der sich keiner bestimmten Gruppe zuordnen will, um Kreidebotschaften wie «Jesus macht frei» auf den Boden zu zeichnen.
Die hohe Präsenz von Freikirchen und Sekten lockt aber auch Kritiker auf den Claraplatz: Bisweilen kommt auch ein stadtbekannter Mann mit selbstbedruckten religionskritischen T-Shirts vorbei. Er stellt aber keinen Infostand auf und verteilt auch keine Flyer – viel lieber diskutiert er mit den Vertretern aller hier genannten Organisationen.