«Die Gesellschaft macht dich zum komischen Vogel»

Wie lebt man als Armer im reichen Basel? Der 50-jährige IV-Rentner Thomas Lang erzählt.

Jahrelang lebte Thomas Lang in einem Paralleluniversum ohne Kontakt zur Gesellschaft.

Schneeflocken wirbeln durch das Dorf auf der Waldlichtung. Mittendrin ein kleines Haus. Thomas Lang* öffnet die Türe. Weisses Sweatshirt, grüne Baggy-Hose, kahler Kopf und wache Augen, um die 50 Jahre alt. Er führt durch eine Werkstatt die Treppe hinauf: «Das wäre unser Wohnzimmer.» Die Decke ist eine offene Wunde. Ein Holzgerüst, aus dem Isoliermaterial lugt. «Wir haben kein Geld, um das zu reparieren.»

Das Haus gehört Langs Partnerin. Es ist Fluch und Segen zugleich. Ein Segen wegen dem Abstand zu den Nachbarn. Lang hat chronische Bronchitis, wenn er hustet, klingt es, als ob er bellen würde. In Wohnungen, früher, hatte er deswegen Ärger mit seinen Nachbarn: «Ich weckte sie immer auf.»

Lang erhält eine Invalidenrente von knapp 2700 Franken inklusive Ergänzungsleistungen. Auch seine Partnerin lebt davon. Die beiden konnten die letzte Wasserrechnung nicht bezahlen, jetzt droht das Haus verpfändet zu werden.

«Wir zahlen für unser Haus 1100 Franken Zinsen pro Monat. Für so wenig Geld fänden wir nie eine Wohnung.»

Damit wären wir beim Fluch: Langs Partnerin hat Depressionen und kann nicht einer geregelten Arbeit nachgehen. Als Hausbesitzerin bekommt sie aber keine Sozialhilfe.

Lang findet das «einen Witz»: «Wir zahlen 1100 Franken Zinsen pro Monat. Für dieses Geld finden wir keine Wohnung, das käme die Sozialhilfe viel teurer.» Wenn Langs Partnerin das Haus der Sozialhilfe überschreiben würde, bekäme sie Unterstützung. Doch die beiden haben Angst: «Wir wären vollkommen ausgeliefert und könnten Wohnung samt Werkstatt verlieren.»

Panikattacken statt Schlaf

Lang baut Modelle zusammen, konstruiert Multikopter. Seine Partnerin töpfert. Oft auch in der Nacht. «Letzte Nacht konnte ich wieder nicht schlafen, um sechs Uhr hatte ich eine Panikattacke, um sieben Uhr schlief ich dann endlich ein», sagt Lang.

Die Existenzängste begannen schon in der Kindheit. Lang kam in Basel auf die Welt. Nach der Scheidung fanden die Behörden: «Ein Kind gehört zur Mutter.» Als sie ihn verprügelte, veranlassten sie fürsorgerische Zwangsmassnahmen: Er kam ins Heim. Dort komme seine Bronchitis her.

Eines Nachts habe er eine Kissenschlacht gemacht. Zur Strafe steckte ihn die Betreuerin während der Winternacht ins Klassenzimmer, im Pijama. Das Zimmer war ungeheizt. «Seither habe ich Bronchitis.» Er blieb nicht dort, sondern kam von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, von Heim zu Heim.  Irgendwann wurde er schlecht in der Schule. «Bei all diesen Wechseln kam ich nicht mehr mit.»

Als er erwachsen war, kam er raus. Ohne Ausbildung. Und musste sich plötzlich über Wasser halten. «Jahrelang hielten sie mich in einem Paralleluniversum ohne Kontakt zur Gesellschaft. Und plötzlich musste ich in der Gesellschaft existieren. Wie sollte das gehen?»

«Es gibt Glückskinder und Pechvögel. Aber man kann nicht alles darauf schieben.»

Mal ging das, mal nicht. Lang jobbte als Temporärkraft in unterschiedlichsten Branchen. Das funktionierte eine Zeit lang. Doch dann wurde er von der Polizei wegen Hanfs verhaftet. Die Polizei sei immer und immer wieder gekommen, durchsuchte seine Wohnung, wegen des Verdachts auf harte Drogen, obwohl er mit solchen nichts zu tun hatte. Irgendwann kam ein Streit mit der Exfreundin hinzu: «Das machte mich fertig, ich wurde laut.»

Lang steht auf, macht ein paar Schritte. «Es wühlt mich auf, das zu erzählen.»

Lang wurde in die Psychiatrie eingewiesen. Kam wieder heraus, jobbte wieder, hatte wieder Auseinandersetzungen mit der Polizei. Er kam ins Gefängnis, sei in Handschellen gelegt worden, habe noch heute eine bleibende Verletzung davon.

Jetzt kriegt er eben IV. Kürzlich wollte er sich erkundigen, ob er höhere Ansprüche geltend machen könne. «Wir haben Schulden, das Geld reicht einfach nicht.» Er sei von Stiftung zu Stiftung geschickt worden. «Und zum Abschluss wurde ich noch grob angekläfft.» Wenn man arm sei, fühle sich niemand zuständig.

Lang gibt zu: «Es liegt auch an meiner Art: Ich bin direkt, die Leute mögen das nicht.» Aber man müsse sich auch überlegen, woher das komme. «Es gibt auf der Welt Glückskinder und Pechvögel. Man kann nicht alles darauf schieben. Ich habe als Kind nie gelernt, mich einzugliedern. Man wird von der Gesellschaft zum komischen Vogel gemacht. Was einem dann von der gleichen Gesellschaft wieder zum Vorwurf gemacht wird.»

* Name geändert

Dossier Armut in Basel: Betroffene erzählen

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