«Ohne Sozialhilfe sässe ich mit meiner Kleinen auf der Gasse»

Wie lebt man als Arme im reichen Basel? Die 20-jährige Mutter Laura Battista erzählt.

«Ich habe nie Zeit für mich.» Laura Battista, 20, alleinerziehende Mutter.

Jara* wird nächste Woche zwei Jahre alt. Sie gibt mir Halt, ohne sie hätte mein Leben keinen Sinn. Ihretwegen mache ich das alles, besuche die Kurse bei «Amie» (der Verein hilft jungen Müttern bei der Lehrstellensuche, die Red.), suche eine Lehrstelle. Sie hält mich davon ab, wieder abzustürzen, sie gibt mir eine Aufgabe. Ich will das gut machen. Jara soll keine Sorgen haben, nicht denken: «Alles ist immer scheisse.» So wie ich.

Während meiner Kindheit war einfach nichts gut. Ausser, dass ich mir sagte: «Sei so, wie du bist, lass dich nicht unterkriegen.» Ich wurde schon in der Primarschule gemobbt. In der Oberstufe ging es weiter. Ich war die Komische mit den auffälligen Kleidern, den Piercings und den farbigen Haaren. Ich fühlte mich einfach nur allein.

«Als Jugendliche dachte ich: Ich bin sowieso Scheisse. Alle hassen mich. Ich bin zu nichts fähig.»

Meine Mama hat ihr Bestes gegeben, als alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Aber ich war halt ein Sandwichkind. Mein ältester Bruder hat immer Scheiss gebaut, und mein kleiner Bruder ist zehn Jahre jünger. Meine Mutter musste zu ihnen mehr schauen, bei mir dachte sie vielleicht: «Die kommt selber klar.»

Die Lehrer schickten mich zum Schulpsychologen, der sagte nur: «Es liegt an dir, du willst dich nicht integrieren.» Nach der Schule vegetierte ich eine Weile vor mich hin. Ich kam nicht auf die Idee, eine Lehre zu machen, ich dachte: «Ich bin sowieso scheisse, alle hassen mich, ich bin zu nichts fähig.» Bis meine Mutter mich aufs RAV schickte und ich in die Jobfactory (Arbeitsplätze für erwerbslose Jugendliche, die Red.) kam.

Ich hätte eine Lehre als Kleinkindererzieherin machen können, aber ich wusste, dass es nichts bringt. Mit 14 Jahren diagnostizierten die Ärzte bei mir eine bipolare Störung, sie sagten: «Medikamente nützen bei dir nichts.» Ich wusste, früher oder später kommt wieder eine depressive Phase und dann kann ich meine Lehre nicht weitermachen.

Kein Vater, keine Alimente

An meinem 18. Geburtstag wurde mir von der Frauenärztin das «Geschenk» gemacht: «Sie sind schwanger.» Der Kack war, dass ich bereits im siebten Monat war. Ich hatte immer meine Periode gehabt, kaum zugenommen, normal gegessen. Hätte ich es früher gewusst, hätte ich abgetrieben. Ich dachte: «Das schaff ich nie, ich krieg mein eigenes Leben nicht einmal auf die Reihe. Ich schiebe es ab.» Ich suchte Pflegeeltern. Aber als meine Tochter da war, wusste ich sofort: «Du kannst sie nicht abgeben, das ist dein Baby.» Ich hatte so krasse Muttergefühle.

Wir lebten bei meiner Mutter und meinen Brüdern. Mein damaliger Freund, der Vater von Jara, kam ein paarmal zu Besuch, aber nur, wenn ich ihm das Zugbillett bezahlte. Er sagte, er suche sich einen Job und miete uns eine Wohnung, aber er unternahm nichts. Irgendwann habe ich ihn verlassen. Ich sagte mir: «Du kennst solche Geschichten von den Männern deiner Mutter. Dann sitzt der auf der Couch und du musst ihn durchfüttern.»

«Niemand sagt einem, worauf man Anspruch hat. Etwa die Karte für den Caritas-Laden. Dort sind Windeln günstiger.»

Ich verliess ihn also. Seither hat er seine Tochter kein einziges Mal besucht. Auch die Vaterschaftsanerkennung hat er nicht gemacht, und er zahlt keine Alimente. Er arbeitet nicht. Meine Tochter und ich ­leben von der Sozialhilfe.

Wenn ich neue Leute kennenlerne, schäme ich mich, das zu sagen. Aber ich bin dankbar für die Sozialhilfe, sonst sässe ich mit Jara auf der Gasse. Allerdings sagt einem niemand, was einem zusteht. Das muss man selber herausfinden, zum Beispiel, dass man Anspruch auf eine Karte für den Caritas-Laden hat. Dort sind Windeln oder Schoppenpulver viel günstiger. Bisher ging ich dafür immer ins Deutsche, ich kann mir doch keine «Pampers» leisten. Oder Winterkleider. Ich hatte Jaras neue Winterkleider schon gekauft und die Kassenzettel zur Sozialhilfe gebracht, als ich herausfand, dass man bei der Winterhilfe gratis Kleider kriegt. Das hätten sie mir sagen können.

Nie Zeit für sich

Seit vier Monaten bin ich jetzt bei «Amie». Morgen darf ich in einem Laden schnuppern, nächste Woche habe ich ein Vorstellungsgespräch im Detailhandel. Ich wäre froh, wenn ich meine Piercings behalten könnte während der Lehre, ohne sie fühle ich mich nackt. Ich will eine Lehre machen, dann hat man Anrecht auf mehr Lohn. Es ist einfach sauschwer, wegen der Arbeitszeiten. ­Läden haben bis 18.30 Uhr offen, aber die Kita schliesst schon um 18 Uhr, und am Samstag hat sie zu. Arbeit­geber denken: «Eine alleinerziehende Mutter fällt sicher oft aus, weil das Kind krank ist und sie niemanden hat.»

Ich habe nie Zeit für mich. Ich habe niemanden, der zur Kleinen schauen kann, damit ich mal rauskomme, auch meine Mutter ist da keine Hilfe. Ich merke, dass ich wieder in eine Erschöpfung falle. Ich habe beim Sozialamt angefragt, ob sie mir zwei Nachmittage mehr Kita zahlen, damit ich mal Zeit für mich habe. Dafür musste ich extra zu einem Arzt, der mir attestiert, dass ich das nötig habe. Ich finde es daneben, dass ich dafür zu einem Arzt muss. Es ist doch logisch, dass man an seine Grenzen kommt, wenn man allein zu einem Kind schaut.

*Namen geändert.

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