«Du wirst zum Häftling. Die können dich plagen, auch wenn du brav bist»

Wie lebt man als Armer im reichen Basel? Der 45-jährige Tramführer Peter Rickenbacher* erzählt.

«Die Leute, die dich beurteilen, haben viel Macht.» Peter Rickenbacher, 45, Tramführer. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Wie viel das war? Hm … Wissen Sie, man versucht, die genauen Zahlen zu verdrängen. Man entwickelt Angst vor der Post. Den Kuverts. Über 70 000, allein die Steuern. Die Steuern sind das Schlimmste. Letzte Woche kam die Abrechnung. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit: «Rest: 0». Null. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Wenn es so weitergeht, bin ich 2019 komplett schuldenfrei.

Das hat dann fast 20 Jahre gedauert. Ich hatte ja Glück. Hatte die ganze Zeit einen Job. Aber nach der Scheidung, ich bin da nicht gut weggekommen, kam alles aufs Mal. Da fing es an. Und die Spirale ging immer weiter. Du wirst sofort zum Menschen zweiter Klasse. Auch für andere Leute.

«Ich habe das Gefühl, die Leute sehen mir an, dass ich Schulden habe. Und Angst, dass ich den Job verliere.»

Freunde von damals habe ich keine mehr. Man zieht sich zurück, in seine vier Wände. Dort ist alles in Ordnung. Ohne meine Kinder, die ich mit aufge­zogen habe, hätte ich es nicht geschafft. Das hinterlässt Spuren, psychische. Du wirst ein anderer Mensch. Du arbeitest zwar, aber es wird ja alles gepfändet. Beim Amt ist Sammeltermin, dort stehen dann alle Verschuldeten in Reih und Glied, warten darauf, dass das Lämpchen grün wird an der Tür. Du wirst zum Häftling. Unselbstständig. Die Leute, die dich beurteilen, haben viel Macht. Sie können entscheiden, ob es hundert Franken mehr gibt. Oder ein paar Hundert Franken weniger. Die können dich plagen, auch wenn du brav bist.

«Man wird die Angst kaum los»

Ich hatte eine Zeit lang Glück. Und dann hatte ich Pech, das war schlimm. Mein Wunsch wäre, dass die Steuern beim Betreibungsamt ins nicht pfändbare Vermögen kommen. Du kommst dort sonst ohne ein Wunder nicht mehr raus. Ein Leben lang. Trotz Job. Die Steuern sind ja Schulden dritter Klasse, die kommen zuletzt dran. Und wachsen ständig. Das muss sich ändern.

Das Mindeste wäre ein freiwilliger Direktabzug vom Lohn. Dann wären die Steuern bezahlt, wenn das Schicksal zuschlägt. Das System sollte man an die heutigen Umstände anpassen. Ich gehe auf die 50 zu. Als ich meinen Job verlor, da hatte ich Glück und fand ­einen neuen. Viele Arbeitgeber sagen «sorry» oder fragen beim Bewerbungs­gespräch ungeniert, ob du Schulden hast.

Seit ein paar Jahren bin ich jetzt Drämmlichauffeur. Ich habe immer noch das Gefühl, die Leute sehen mir an, dass ich Schulden habe. Und ich habe solche Angst, dass ich mich wieder verschulde. Dass ich diesen Job irgendwann verliere. Nein, rational ist das nicht. Ich fahre gut und gern. Aber man wird die Angst kaum los. Ich mache mir viele Sorgen, auch um meine Kinder. Die sind jetzt junge Erwachsene. Hoffentlich geht es ihnen einmal besser.

*Name geändert.

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