«Wir sind doch Menschen mit den gleichen Rechten wie alle!» – «Sind wir das? Jäso»

Im Zentrum Selbsthilfe in Basel trifft sich eine Gruppe von sechs Menschen in Existenznot, vier Frauen, zwei Männer, alle zwischen 40 und 60. Wir setzen uns mit an den Tisch und hören ihnen beim Gespräch über ihre Situation zu.

Mitgehört im Zentrum Selbsthilfe: «Wie spart man 2.30 Franken pro Woche?» – «Ich bin total gut im Stopfen von Abfallsäcken.» – «Wenn Bebbi-Sagg-Füllen eine olympische Disziplin wäre: Ich hätte die Goldmedaille.» (Bild: Hans-Jörg Walter)

«Kürzlich war ich in einem Café. Das kann ich ja normalerweise nicht. Mein Bruder war zu Besuch und hat mich eingeladen. Da hat mich dort tatsächlich eine gefragt, was ich im Café verloren habe, als Sozialhilfebezügerin. Ins Gesicht!»
«Wir sind doch Menschen mit den gleichen Rechten wie alle!»
«Sind wir das? Jäso.»
«Die müssen ja manchmal nicht einmal ­etwas sagen. Man sieht es in ihren Augen. ‹Da kommt die, die von unseren Steuern lebt.› Als würde ich das wollen.»


«Die Leute finden oft, es sei unnötig, mir etwas zu schenken, ich bekomme ja Sozialhilfe, denken sie. Oder sie sagen es mir auch so. Dabei habe ich rein gar nichts.»
«Ich habe die Dezember-Rechnungen ­bezahlt. Jetzt habe ich nichts mehr zum Essen.»
«Ich sollte eine neue Jacke haben. Aber ich kann sie nicht bezahlen.»

«Viele Leute verstehen nicht, wie wenig es braucht. Und dass es jeden und jede treffen kann.»

«Das Umfeld nimmt einen oftmals nicht ernst.»
«Sie wissen halt nicht, wie es ist.»
«Die gehen davon aus: ‹Du hast etwas falsch gemacht, sonst wärst du nicht in dieser Situation.›»
«Typisch. Ich hatte einmal meine eigene Praxis. Was viele Leute nicht verstehen, das ist, wie wenig es braucht. Wie schnell es gehen kann. Und dass es jeden und jede treffen kann.»
«Ich war bei einer grossen Bank. Krise und  zack. Dann kam ein gesundheitliches Problem im falschen Moment dazu. Jetzt bin ich ganz unten. Man verliert total den ­Boden unter den Füssen.»
«Dieses ‹Versager-Denken›, das finde ich so übel. Es braucht ein Ereignis – eine ­Depression, einen Unfall, eine Trennung, einen Todesfall, eine Scheidung, ein wirtschaftlich schwieriges Jahr – und peng bist du in der genau gleichen Situation.»


«Ihr Basler habt es ja schön. Ihr dürft 4000 Franken auf dem Konto haben, oder?»
«Also, du meinst die Sozialhilfebezüger?»
«Ja. In Baselland dürfen wir nur 2000.»
«Welcher Sozialhilfebezüger hat schon 2000 Franken auf dem Konto?» (alle lachen).

«In Basel musst du jeden Monat mit allen Auszügen antanzen. Die wissen alles.»
«Du kannst eh keinen Rappen behalten. Ich habe einmal eine Mietzinsreduktion erhalten. Da dachte ich: Gut, jetzt kann ich endlich Rechnungen bezahlen. Aber die Reduktion wurde gleich eingezogen.»
«So ist Sozialhilfe: Dir steht das Wasser bis über d’Schnuure, und jedesmal, wenn du den Kopf etwas nach oben streckst, hauen sie von oben noch eins drauf.»


«Wenn ich mit jemandem Zmittag essen gehe, habe ich dann zufälligerweise meinen Diät-Tag.»

«Kaffee trinken gehen? Diese Frage stellt sich nie. Die Frage ist, wie man bis Ende Monat durchkommt.»
«Mir läuft der kalte Schweiss runter, wenn mich jemand fragt, ob ich noch etwas trinken gehen möchte. Habe ich noch einen Fünfliber irgendwo? Ein Riesenstress.»
«Wenn ich mit jemandem Zmittag essen gehe, sage ich schon ab und zu Ja. Aber dann habe ich dann zufälligerweise meinen Diät-Tag und trinke im Restaurant ein Wasser.»
«Wisst ihr, was mich am meisten belastet? Ich kann niemanden mehr nach Hause einladen. Kochen für andere liegt nicht drin. Das macht mich fertig. Und man verliert so viele Kontakte.»


«Einmal hat mir jemand einen Coop- und einen Globus-Gutschein geschenkt. Ein tolles Geschenk. Aber das war so schwierig für mich. Vor allem im Globus! Ich kam mir so dekadent vor, wandelte ewig z­wischen den Regalen, konnte mich nicht entscheiden bei all den teuren Esswaren. Obwohl ich ja 100 Franken hatte!»
«Das ist eine Blockade. Typisch Armutsdenken.»
«Armutsdenken?»
«Ich kann mir mittlerweile wieder etwas leisten, zum Glück. Aber es kommt vor, dass ich mitten in einem Geschäft eine ­totale Blockade habe: Halt, brauche ich das wirklich? – und einfach nicht weitermachen kann. Obwohl ich jetzt ja wieder verdiene. Da kommt man fast nicht los ­davon, von dem Denken.»

«Man wird leider zum Schlechtes-Essen-Einkäufer. Es ist oft billiger, das ungesunde Zeug.»

«Man kauft ja normalerweise das, wofür man Geld hat oder das mit den roten Punkten.»
«Und sowieso in Deutschland.»
«Man wird leider zum Schlechtes-Essen-Einkäufer. Es ist oft billiger, das ungesunde Zeug.»
«Klar. Zum Glück gibt es auch einige Angebote, wo man manchmal falsch verpackte, leicht beschädigte oder fast abgelaufene Sachen günstig kriegt, wenn man arbeitslos ist.»
«Da gibts aber auch manchmal seltsame Verzerrungen. Plötzlich hast du so ausgefallene Luxus-Produkte zu Hause, die ­irgendeinen Fehler haben. Die würdest du nie kaufen. Aber das Budget-Gemüse ist teurer.»


«Lädele, Window-Shopping: Das mache ich nicht mehr. Vorbei. Das Bedürfnis nach Einkaufen hörte bei mir irgendwann einfach auf.»
«Um den Petersplatz an der Mäss oder jetzt um die Weihnachtsmärkte mache ich einen weiten Bogen. Ich weiss genau: Wenn ich da hingehe, dann hätte ich vielleicht gerne etwas. Aber ich kann mir ja nichts kaufen.»
«Ich zappe die Werbung am TV weg. Da sieht man Sachen, die man vielleicht will.»


«Um d’Mäss oder den Weihnachtsmarkt mache ich einen Bogen. Wenn ich da hingehe, hätte ich vielleicht gerne was.»

«Wie spart man 2.30 Franken pro Woche? Nachts aus dem Haus, Container auf, Plastiksäcke raus – und den eigenen Abfall in den nicht gut gefüllten Säcken verstauen. Mir geht es ja seit einiger Zeit wieder besser, ich bin nicht mehr auf Sozialhilfe ­angewiesen. Aber ich kriege diese Gewohnheit nicht mehr los. Ich mache es heute noch manchmal. Vielleicht schäme ich mich ein bisschen. Wobei – eigentlich nicht.»
«Ich bin total gut im Stopfen von Abfall­säcken. Da geht dann rein gar nichts mehr rein.»
«Ich sage dir – wenn Bebbi-Sagg-Füllen eine olympische Disziplin wäre: Ich hätte die Goldmedaille.»


«Ich habe zum Glück eine gute Sozial­arbeiterin.»
«Ja, das muss man schon betonen. Das Menschliche kommt zum Glück nicht ­ immer zu kurz.»
«Aber manchmal schon. Was wir hier für Sachen erlebt und gehört haben …»
«Du darfst die Netten nie loben. Vor allem nicht laut. Die kriegen sonst aufs Dach von ihren Chefs.»
«Es gibt leider auch Riesenarschlöcher.»
«Man kann sehr Pech haben. Es steht und fällt mit den Leuten, mit denen man es im System zu tun bekommt.»
«Wenn man es mit einem Erbsenzähler zu tun bekommt, dann gute Nacht.»

«Also, ohne meinen Sarkasmus hätte ich mir wohl schon längst die Pulsadern auf­geschnitten.»

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