Die spinnen, die Baselbieter!

Der Römerschatz von Augusta Raurica ist der grosse Stolz des Kantons – für viele aber auch ein riesiges Ärgernis. Und vor allem ist er auch das grosse Thema unserer Wochendebatte.

Der Römerschatz von Augusta Raurica ist der grosse Stolz des Kantons – für viele aber auch ein riesiges Ärgernis. Und vor allem ist er auch das grosse Thema unserer Wochendebatte.

Die Baselbieter sind gerne speziell. Und vor allem gerne besser als die anderen, die Aargauer, die Solothurner – und die Basler sowieso.

Entsprechend Freude haben sie an Dingen, die was hergeben und Eindruck machen.

Darum haben sie den Städtern ein Spital vor die Nase geklotzt, möglichst hoch oben, auf dem Bruderholz. Darum bauen sie grosse, übergros­se Strassen, aktuell gerade bei Liestal. Und darum sind sie selbstverständlich auch stolz auf Augusta Raurica, die wahrscheinlich am besten erhaltene Römerstadt diesseits der Alpen mit allem, was dazugehört: Theater, Amphitheater, Aquädukt, Taverne, Tempel et cetera, et cetera.

Da war es nur logisch, dass der Landrat dem Regierungsrat vor vier Jahren den Auftrag gab, zu erwirken, dass das wichtigste Kulturgut ihres Kantons auch noch zum Unesco-Weltkulturerbe befördert wird.

Was wäre das für ein Triumph! Das Baselbiet auf einer Ebene mit den Römern und ihrem historischen Zentrum oder den Griechen mit ihrer Akropolis. Und vor allem: besser als alle zusammen, die Aargauer, Solothurner und Basler, die in ihrer gesamten Geschichte noch überhaupt nichts hervorgebracht haben, was Weltkultur­erbe-würdig wäre.

Jetzt geht die Debatte richtig los – bei uns

Mitte Woche hat das Komitee «Ja zu Augusta Raurica» seinen Abstimmungskampf für die Planung eines neuen Arbeits- und Sammlungszentrums in der Römerstadt lanciert. Wir berichteten darüber, zeigten Bilder von den alten, undichten Arbeitscontainern und improvisierten Lagern und lösten damit schon einige interessante Reaktionen aus. Dabei gehen die Meinungen in den Leserkommentaren gleich wie in der Politik auseinander. Die jetzigen Zustände seien unhaltbar, sagen die einen, für alte Steine brauche es keine teuren, neuen Lager, die anderen. Und ein Leser hielt süffisant fest, nach SVP-Norm sei in Augusta Raurica alles bestens. Im Vergleich zu den Exponaten im Zürcher Medizinhistorischen Museum des früheren Leiters Christoph Mörgeli (SVP) könnten sich die Augster Steine noch ganz glücklich schätzen. Sind Sie anderer Meinung? Diskutieren Sie mit: tageswoche.ch/wochendebatte

Das Problem ist, dass in Augusta Raurica schon heute griechisch-römische Verhältnisse herrschen – in negativer Hinsicht. Die 65 Archäologen, Restauratoren, Handwerker und übrigen Mitarbeiter sind dort nur notdürftig untergebracht, in Containern und Holzschuppen, die sie mit Ratten und Mäusen teilen müssen. Weiter erschwert wird die Arbeit unter anderem durch Hitze im Sommer, Kälte im Winter sowie Nässe und Schimmel in allen Jahreszeiten.

SVP-Exot spricht Klartext

«Diese Zustände sind ein Skandal», sagt Georges Thüring. Er ist – seit 44 vor Christus und der Gründung von Augusta Raurica – wahrscheinlich der einzige SVP-Politiker, der dort auf anständige Arbeitsbedingungen drängt. Der Laufentaler ist ein Exot in seiner Partei, aber er kann nicht anders, spätestens seit er die Arbeitsräume von innen gesehen hat. Thüring ist empört: «An einem anderen Ort wäre bei solchen Widerwärtigkeiten schon längst das Kiga gekommen, um den Laden dichtzumachen.»

Nicht besser geht es den rund 1,7  Mil­lionen Fundstücken. Sie sind in Containern und Schuppen untergebracht. «Wir machen uns häufig über die Südländer lustig. Dabei vergammeln aber bald auch unsere Fundstücke genau gleich wie jene in Pompeji», sagte Hansjörg Reinau, Präsident der Stiftung Pro Augusta Raurica.

So weit soll es nicht kommen. Dank eines neuen Arbeits- und Sammlungszentrums für insgesamt 34 Millionen Franken. In einem ersten Schritt sollen Werkstätten, Restaurierungslabors, Archive und ein Werkhof entstehen. In einem zweiten Schritt ist ein Depot für die archäologischen Schätze geplant. Dank der Etappierung ist die Finanzierung gut möglich, ist die Regierung überzeugt, trotz der finanziellen Misere des Kantons.

Ein Luxuspalast für tote Steine?

Dennoch ist bereits der Projektierungskredit von 1,65 Millionen Franken umstritten. Widerstand gab es zuerst im Landrat – von FDP und SVP. Die «toten Steine» bräuchten keinen Luxuspalast, sagten die Politiker der beiden Parteien in der Debatte vom November 2012.

Viel wichtiger wäre es, erst einmal allen Schülern anständige Schulzimmer zur Verfügung zu stellen, in dem sie auch ohne Jacke nicht frieren müssen. Doch leider fehle dem Kanton auch dafür das Geld, wie dies vor allem die Münchensteiner Gymnasiasten in den vergangenen Wintern zu spüren bekamen.

Augusta Rauricas Verantwortliche träumen seit Jahren von einem Museum.

Das waren Aussagen, die teilweise böse Reaktionen provozierten. Christine Gorrengourt (CVP) zum Beispiel erinnerte die FDPler und SVPler daran, dass sie die Subventionserhöhung fürs Theater Basel mit dem Argument gebodigt hätten, das Baselbiet müsse sich um seine eigene Kultur kümmern. Und jetzt? Knausern die Kulturbanausen auch, wenn es um die eigene Heimat geht?

Einig war man sich nur in einem Punkt: dass Augusta Raurica tatsächlich der «Leuchtturm» des Baselbiets sei, einer, der weit über die Region hinausstrahle, wie ein Landrat nach dem anderen sagte.
Bei der Abstimmung setzten sich die Befürworter von links und aus der Mitte schliesslich mit 51 zu 35 Stimmen durch.

4000 Unterschriften für Referendum gesammelt

Das letzte Wort war damit aber noch nicht gesprochen. Die Gegner aus Kreisen der FDP und der SVP ergriffen das Referendum und sammelten in kurzer Zeit fast 4000 Unterschriften. Eine eindrückliche Zahl. Entsprechend zuversichtlich ist die Rechte nun auch im Hinblick auf die Abstimmung vom 9. Juni. Warum sollte das Volk auch bereit sein, so viele Millionen Franken für ein paar alte Steine auszugeben? Für Steine, die Teil der Vergangenheit sind und dem heutigen Menschen nicht mehr viel bringen, wie SVP-Präsident Oskar Kämpfer gegenüber Radio SRF sagte.

Man kann das Ganze natürlich auch anders sehen. So wie SP-Landrat und Historiker Ruedi Brassel zum Beispiel. Bei Augst würden die Fundamente unsere Zivilisation liegen, sagt er. «Das ist auch unsere Kultur. Sie hat unsere Wertschätzung verdient, damit wir sie auch der nächsten Generation weitergeben können.»
Dafür bräuchte es aber wohl sogar noch mehr als ein Sammlungszentrum. Ideal wäre ein neues Museum.

Römerstadt bei Xanten lockt 500’000 Besucher an, Augusta Raurica 46’000.

Eines wie sich zum Beispiel die vergleichbare Römerstadt bei Xanten in Nordrhein-Westfalen leistet. Dort kommen pro Jahr 500 000 Men­schen in den Archäologie-Park mit dem neuen Museum (2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche) und vielen weiteren Attraktionen (römische Handwerker, Restaurant mit alter römischer Küche, Showgrabungen, Spiele und Workshops für Kinder etc.). Zum Vergleich: Ins Museum in Augusta Raurica kamen im vergangenen Jahr nur noch etwa 46 000 Besucherinnen und Besucher. Allzu viel gibt es dort neben dem legendären Silberschatz allerdings auch nicht zu sehen. Dafür fehlt in dem Museümchen mit seinen 130 Quadratmetern Ausstellungsfläche schlicht der Platz.

Kein Wunder, träumen die Verantwortlichen von Augusta Raurica schon seit Jahren von einem neuen Museum. Doch wer soll das zahlen, wenn bereits die eigentlich dringend notwendige Schaffung anständiger Arbeitsplätze und Lagerstätten auf derart viel Widerstand stösst?

Private Gelder fürs Museum

Eine Frage, die ganz offensichtlich auch die Stiftung Pro Augusta Raurica beschäftigt. Sonst hätte sie sich nicht auf die Suche nach privaten Geldgebern gemacht. Leicht werden allerdings auch diese nicht zu finden sein. Und so bleiben der breiten Öffentlichkeit weiterhin all die Schätze verborgen, die Augusta Raurica eigentlich hätte. Die monumentalen Mosaike zum Beispiel, die filigranen Götterstatuen oder die sagenum­worbenen Falschmünzerinstrumente.

Aber so läuft es nun mal im Kanton. Man schätzt die Römer, solange sie einem Ehre und Ruhm bringen. Aber dafür zahlen oder irgendwelche Umtriebe in Kauf nehmen? Lieber nicht. Es ist ein Widerspruch, der sich immer wieder zeigt. Etwa wenn sich die Augster fast so wie die Gallier in «Asterix» über die Römer enervierten, nur weil sie die antiken Ruinen im Boden nicht mit Einfamilienhaussiedlungen überziehen durften. Oder die Anwohner, die sich nicht minder kampfeslustig zeigen, wenn das alte Theater wieder vermehrt bespielt werden soll.

Sparen? Bei der Kultur!

Ebenfalls speziell: Die Bildungs­direktion, die auch bei den Beiträgen an Schulausflüge spart, was im eigenen Museum in Augusta Raurica prompt zu einem Zuschauerrückgang führt.

Aber was soll die Regierung auch machen? Das Geld für die übergrossen Strassen, Spitäler und sonstigen Prestigebauten ist bereits ausgegeben. Nun muss gespart werden. Am besten dort, wo es scheinbar am wenigsten wehtut. Bei der Kultur. Und damit auch: bei Augusta Raurica, der Römerstadt, die das Baselbiet doch eigentlich weltberühmt machen soll.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.05.13

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