«Ich bin zwar stinksauer, andererseits liebe ich dieses Kaff»

Das Z7 wird 20 Jahre alt – doch dem Gründer Norbert Mandel ist nicht zum Feiern zumute. Er fühlt sich von der Prattler Politik verdrängt. Ein Gespräch über Gemeindepolitik, Rock ’n‘ Roll, Masseneinwanderungsinitiativen und Abwanderungsgedanken.

Schon jetzt ist das Z7 von Baustellen umgeben: Vater Norbert und Tochter Melanie Mandel. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Das Z7 wird 20 Jahre alt – doch dem Gründer Norbert Mandel ist nicht zum Feiern zumute. Er fühlt sich von der Prattler Politik verdrängt. Ein Gespräch über Gemeindepolitik, Rock ’n‘ Roll, Masseneinwanderungsinitiativen und Abwanderungsgedanken.

Z7, so heisst das grösste Konzertlokal der Nordwestschweiz, Fassungsvermögen 1500 Personen, Standort Pratteln, Industriegebiet. Seit 20 Jahren betreibt Norbert Mandel die umgenutzte Halle an der Kraftwerkstrasse 7. Livemusik, nichts als Livemusik gibt es hier auf die Ohren. Allein in den letzten zwei Monaten gingen 56 Konzerte über die Bühne. Oft in Nischenbereichen der härteren Rockmusik, von treuen und friedlichen Fans besucht. Für sein Engagement wurde Mandel 2011 mit dem Baselbieter Kulturpreis ausgezeichnet.

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Der Name Z7 steht aber auch für eine Familie: Viele der Angestellten arbeiten seit Jahren hier, auch zwei Kinder von Patron Norbert: Tochter Melanie (30) arbeitet im Ticketing, Sohn Steven (26) im kaufmännischen Bereich. Vater Norbert gibt zwar den Ton an – aber er will sein Know-how weitergeben. Er ist froh um die Verjüngung im Büro, um die Entlastung auch, denn anders wären die 15-Stunden-Abende nicht mehr zu ertragen.

Jetzt kommt zum Alltag besonderer Stress hinzu: Die Ungewissheit, was in Zukunft passiert. Die Gemeinde Pratteln hat der Migros das angrenzende Areal im Baurecht versprochen. Ein Obi soll hier gebaut, die Kraftwerkstrasse geöffnet werden. Das scheint nicht im Einklang mit den Konzertbetreibern zu geschehen. Zeit für einen Ortstermin, bei Kaffee und Zigarette.

Es ist kurz nach 16 Uhr. Norbert Mandel, haben Sie schon gefrühstückt?

Nein, das kommt jetzt noch. Ich habe mir ein Salamibrot bestellt.

Gehen Sie also noch immer dann zu Bett, wenn andere Leute aufstehen?

Leider ja, aber das muss sich jetzt ändern. Ich kann nicht, wie in den letzten zwei Monaten, 60 Mal erst morgens um 6 Uhr ins Bett gehen. Das killt die Gesundheit. Ich muss das ändern, ist aber im Moment noch nicht möglich.

Und Sie, Melanie, Sie treffen Ihren Vater jeweils vor seinem Schichtende?

Melanie Mandel (lacht): Es kam tatsächlich schon vor, dass ich ihn noch antraf, wenn ich am Morgen zur Arbeit erschien.

Nun sitzen Sie, Norbert, hier umringt von jungen Leuten. Stehen die Zeichen auf Veränderung?

Ja, denn ich werde nicht mehr jünger, seit ich das Z7 vor 20 Jahren gegründet habe. Eine motivierte Jungmannschaft ist für mich sehr wichtig, eine, die am selben Strick zieht wie wir. Ich möchte mein Wissen, was das Konzertgeschäft angeht, weitergeben. Aus diesem Grund beziehen wir jetzt auch Büroräumlichkeiten ausserhalb der Konzertfabrik, um konzentrierter arbeiten zu können – weg von den Musikern, den Soundchecks.

Das Back Office des Z7: Gad Fidler, Norbert, Melanie und Steven Mandel. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Sie veranstalten den Rummel selber: 56 Konzerte in zwei Monaten. Gewaltig. Zahlt sich diese Quantität aus?

Ja, im Moment schon. Wir hatten zuvor zwei schwierige Jahre, in denen wir Defizite mit Reserven auffingen. Immerhin kamen wir über die Runden, andere Agenturen wie Free & Virgin oder Taifun Music gingen in Konkurs. Und wir schreiben wieder Gewinn. Was nicht heisst, dass sich jedes einzelne Konzert auch wirklich rechnet. Einige verbuchen wir unter Aufbauarbeit. Mit «Mini Z7» haben wir eine Reihe für Clubkonzerte lanciert. Für diese verkleinern wir die Halle, sodass Bands vor 100 Fans spielen können. Weil es zu schade wäre, diese Gruppen nicht zu buchen. Und weil ich glaube, dass wir auch im Kleinen Aufbauarbeit leisten müssen, natürlich in der Hoffnung, dass sie dann in fünf Jahren die 1500er-Halle füllen.

Das heisst, die Aufbauarbeit ist Teil Ihrer Strategie.

Richtig. Das Publikum hier dankt es uns auch. Wir hören immer wieder von den internationalen Agenten und Tourmanagern, dass die Schweizer Konzerte am zweitbesten besucht würden – gleich hinter Holland. Die Leute in diesen Ländern lieben offenbar Konzerte. Warum, weiss ich auch nicht. Jedenfalls gäbe es ein Bedürfnis für eine Halle in der Grössenordnung von 4000 Zuschauern.

Die Deutschschweiz hat doch schon zwei grosse Konzerthallen, in Zürich und Basel.

Ja, aber die St. Jakobshalle und das Hallenstadion sind zu teuer für mittelgrosse Konzerte. Sie haben auch keine vergleichbar gute Akustik. Zudem dienen sie Mischnutzungen. Es fehlt eine Halle nur für Konzerte. Die wollten wir hier nebenan bauen, auf Brachland, das der Gemeinde gehört. Doch als wir der Gemeinde das Konzept vor zwei Jahren vorstellen wollten, erfuhren wir, dass die Politiker das Gelände bereits der Migros für einen Obi versprochen haben. Offenbar kamen wir zu spät. Wir wussten aber auch nicht, dass die Zeit für eine Offerte drängte.

Sie sind steuerbefreit, bringen der Gemeinde Pratteln halt auch kein Geld. 

Dafür internationales Renommée. Auf Tournee-Plakaten und T-Shirts taucht Pratteln immer wieder zwischen Paris und Mailand auf. So etwas ist dem Gemeinderat aber noch immer nicht bewusst. Die sind vor 20 Jahren zum letzten Mal bei uns gewesen. Ganz im Unterschied zu den Hunderttausenden Konzertbesuchern. Ein Fan von uns hat es treffend formuliert: Pratteln verwandle sich in eine Geisterstadt, in die man nur noch hinfahre, um Schnäppchen zu jagen. Wir finden, dass es hier mehr braucht als seelenlose Einkaufszentren.

Kultur ist oft ein Kostenfaktor für eine Gemeinde. Auch in Ihrem Fall?

Nein. Wir kosten die Gemeinde nichts. In all den 20 Jahren keinen einzigen Franken. In den Unterhalt der Umgebung haben wir bisher 45’000 Franken und eine Menge Arbeit investiert, vor Jahren etwa sieben Strassenlaternen ersteigert, diese einbetoniert und mit Strom betrieben, den wir von der Autobahn klauten. Alle Laternen liegen jetzt auf einem Haufen und unsere Besucher stehen wieder im Dunkeln. Lieber Gott … lass mich bitte Gemeinderat werden.

Welche Trümpfe gegen die Bauvorhaben haben Sie überhaupt noch in der Hand?

Melanie Mandel: Die Öffentlichkeit. Die Feedbacks bisher waren überwältigend. Ich habe die Kommentare gelesen und bin gerührt. Es ist überwältigend. Wenn es sein muss, dann gehen wir mit unseren Fans auf die Strasse. Die Solidarität der Leute ist auf jeden Fall enorm.
Norbert Mandel: Aber wir müssen das jetzt bündeln, diese Energie. Die Leute müssen beim Gemeinderat protestieren. Alles andere bringt im Moment nichts. Und wir müssen Plakate drucken und auf unsere Situation aufmerksam machen. Denn hier geht es wirklich um unsere Existenz in Pratteln. Wir können versuchen, den Obi wegzukämpfen, oder was Geeignetes und Zahlbares in Pratteln finden – was allerdings schwierig ist.

Was wäre sonst die Alternative?

Naja, eine Möglichkeit wäre der Wegzug. Zum Beispiel ins Fricktal. Oder aber weg, aus der Schweiz. Es gibt eine Gemeinde auf der anderen Seite der Grenze, die uns gerne anwerben würde.

«Am 9. Februar wurde mir mal wieder klargemacht, dass ich kein Schweizer bin.» 

Sie könnten sich also vorstellen, wegzuziehen?

Ungern. Ich bin zwar stinksauer, andererseits liebe ich dieses Kaff. Aber ich muss sagen, dass es mir die Schweiz grundsätzlich nicht einfach macht im Moment.

Inwiefern?

Naja, am 9. Februar wurde mir mal wieder klargemacht, dass ich kein Schweizer bin – und ich habe mich nach dieser Abstimmung ernsthaft gefragt, ob ich in diesem Land noch erwünscht bin. Das ging mir echt nahe, dieses Ja zur Abschottung, gegen die Einwanderer, wie ich ja auch einer bin…

Sie fühlten sich ausgegrenzt?

Ja, wirklich. Ich hatte am 10. Februar Geburtstag – und feierte den drüben, im Schwarzwald. Da stellte ich mir vor, wie es umgekehrt wäre: Schilder im Schwarzwald, auf denen steht: Schweizer nicht mehr erwünscht.

Das geht Ihnen noch immer sehr nahe.

Ja. Ich habe sogar ein Investment sistiert. Denn zuvor hatte ich mit einem anderen Gelände geliebäugelt, auf der anderen Strassenseite. Dort wollten wir eigentlich einen Club bauen, als Ersatz fürs Mini Z7, weil wir die Halle für grosse Bands freihalten, aber auch kleinere Konzerte machen möchten. Wir waren uns einig mit den Landeigentümern, die Finanzierung stand auch. Doch am Tag nach der Abstimmung habe ich alle Pläne begraben. Ich bin Ausländer und mir verging echt grad die Lust, hier richtig zu investieren. Jetzt kommt Ecopop, auch da wird mir bang. Dann lese ich nebenbei einen Bericht über 50 Musiker, die in unserer Region nicht mehr erwünscht sind. All diese Nachrichten betrüben mich sehr: Das ist nicht mehr meine Schweiz.

Vielleicht sollten Sie, Melanie, in die Politik?

Melanie Mandel: Bis jetzt hatte ich noch nicht so viel damit am Hut. Aber es stimmt, es wird Zeit, dass ich mich stärker damit auseinandersetze.

Norbert Mandel: Die einzige Chance, die ihr habt, um die Zukunft hier mitzugestalten. Wenn Du Einwohnerrätin wärst, würdest du anders wahrgenommen – und das Z7 auch.

Vorerst übernehmen Ihre Kinder immerhin mehr Verantwortung im Betrieb. Was sicher nicht leicht ist, bei einem lautstarken Vater.

Melanie Mandel: Ja, er kontrolliert gerne alles und gibt die Zügel nicht gerne aus der Hand. Ich habe verschiedene Funktionen kennengelernt, ganz früher Hotdogs verkauft, an der Bar gearbeitet, musste mich beweisen. Doch was seine Aufgaben anging, mochte er anfänglich nicht entlastet werden, etwa beim Einkauf. «Das muss ein starker Mann machen», sagte er. Schliesslich bewarb ich mich schriftlich. Und dann nahm er mich ernst. Schon immer stand für mich fest, dass ich in seine Fussstapfen treten möchte. Etwas anderes, ohne Livemusik, wäre kaum vorstellbar für mich. Ich weiss noch genau, wie mir als kleines Mädchen das Z7 vorgestellt wurde: Ich war zehn, wir standen vor der Halle, und er sagte zu mir: «So Kleene, das ist jetzt mein zweites Zuhause.» Da wusste ich, dass das was ganz Spezielles sein musste. Das ist eine Erinnerung, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde.

Stark. Und bis der Generationenwechsel vollzogen ist, wohin führt da die Reise musikalisch? Norbert, Sie haben mal gesagt, dass Sie Uriah Heep noch zehn Jahre buchen können, dann sind die auch in Rente. Der Zeitpunkt naht. Und dann?

Norbert Mandel: Eine gute Frage, die ich mir ständig stelle – und die mir die Jungen hoffentlich bald beantworten werden, in den nächsten Monaten und Jahren.

Einer, der Sie seit Beginn unterstützt hatte, tritt nun ab: Niggi Ullrich, der Baselbieter Kulturchef.

Trauriges Thema.

Warum?

Er war eine wichtige Bezugsperson für mich, um mich zu beruhigen oder mir Dampf unterm Hintern zu machen. Hört zu früh auf, hatten wir uns doch noch in diesem Jahr geschworen, zusammen in Rente zu gehen. Mit 70.

Und machen wenigstens Sie solange weiter?

Ich weiss nicht. Aber ich glaube, mich muss man dereinst aus dem Z7 raustragen. Wo immer das dann sein wird.

Norbert Mandel (1959) wuchs im Kohlenpott auf, nordöstlich von Dortmund. Als Teenager veranstaltete er erste Konzerte im Jugendhaus (seine Mutter unterschrieb die Verträge!), darunter auch eines mit der hoffnungsvollen Band Scorpions.
Nach seiner kaufmännischen Ausbildung führte ihn die Liebe in den 70er-Jahren erstmals nach Basel – auch die Liebe zu grossen Konzerten. 1994 stieg er im Z7 ein, seither führt er die Konzertfabrik. Mandels Tochter Melanie arbeitet ebenfalls im Betrieb, betreut daneben ihren Sohn, der die Primarschule besucht.

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