Es ist Anfang Mai, und noch immer liegt Frost in der Luft: Die Basler Filmproduzentin Stella Händler, ganz in Schwarz, kommt als erstes auf den Journalisten Patrick «patpatpat» Tschudin zu sprechen, dessen Tod am Vortag vermeldet wurde. «Er war gleich alt wie ich», sagt sie nachdenklich. Er war ein Guter.»
Vom Leben, das zu seiner Zeit (oder eben Unzeit) endet, handelt auch der winterliche Kurzfilm «Au revoir Balthazar», der die diesjährige Kurzfilmnacht in Basel eröffnen wird. Der von Rafael Sommerhalder animierte und von Stella Händler produzierte Film erzählt von der ersten und letzten Reise einer Vogelscheuche. Die poetische Geschichte ist frei von falscher Sentimentalität, kein «Feel-Good-Movie» mit einer herzigen Pointe, wie die Produzentin erklärt, und ja, auch ein wenig traurig: «Das Loslassen und Weggehen ist ein Thema, weil es ganz einfach passiert.»
Schweiss, Herzblut und Tränen
Um den grossen Abschied ging es auch im ersten Animationsfilm von Händler und Sommerhalder, der 2004«Herr Würfel» unter ein Klavier bugsierte. Die Basler Produzentin und der Zürcher Animationskünstler kannten sich schon – damals wie heute ausschlaggebend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit: «Für mich sind die Person und die Haltung mindestens so wichtig wie das Thema eines Filmes selbst. Man begibt sich ja zusammen auf einen Weg, der unter Umständen lange dauert.»
Im Fall von «Au revoir Balthazar» begann dieser Weg im Jahr 2010 – sechs Jahre Arbeit für neuneinalb Minuten Film. Dabei nutzte Sommerhalder erstmals die sogenannte Legetricktechnik, bei der Figuren und Kulissen auf übereinander angeordneten Glasscheiben gelegt und Bild für Bild unter einer Fotokamera zum Leben erweckt werden. «Es war ein gewisses Wagnis», gesteht die Produzentin, «aber Inhalt und Gestaltung lassen sich eben nicht voneinander trennen.»
Wer das bezaubernde Making-of zu «Au revoir Balthazar» sieht, kann erahnen, wie viel Schweiss, Herzblut und Tränen in dem kleinen Meisterwerk stecken:
Making «Au revoir Balthazar» from Crictor on Vimeo.
Wagnisse ist Stella Händler schon früher eingegangen, als sie an der Universität Basel noch Deutsch und Romanistik studiert hatte – ohne grossen Enthusiasmus und ohne Abschluss, wie sie lachend zugibt. «Das Ins-Blaue-Studieren lag mir nicht, obwohl ich das Übersetzen von Sprachen mochte.»
Vom luftleeren Vakuum der Akademie zog es die Studentin bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu den Brettern, die vielen die Welt bedeuten. Als Regieassistentin und Ko-Regisseurin am Theater Basel war sie künstlerisch tätig, bevor sie ihre wahre Berufung entdeckte: «Ich erkannte, dass ich nicht meine eigenen Inszenierungen machen muss. Darin ist mein Ehrgeiz unterentwickelt.»
Nach langjähriger Tätigkeit als Kulturveranstalterin wählte Händler deshalb einen Beruf, den man zu Beginn der Neunzigerjahre in der Schweiz noch gar nicht lernen konnte: Sie wurde Filmproduzentin. Hier konnte sie sich voll einbringen und ihre Leidenschaft für das Übersetzen in der Praxis üben, um eine gute Idee in einen guten Film zu verwandeln. «Es ist klassisches Learning by-Doing», erklärt Händler, «wobei ich mich natürlich auch weitergebildet habe, besonders im kaufmännischen Bereich.» Als Produzentin müsse man von vielem eine gute Ahnung haben, ohne dabei selber hinter der Kamera zu stehen oder Juristin zu sein.
Anpacken und loslassen
Stella Händler zwingt den Filmemachern nicht ihre eigenen Ideen auf, entscheidet aber mit, wenn es die Situation verlangt, um die bestmöglichen Rahmenbedingungen für eine künstlerische Vision zu schaffen: «Denn dabei handelt es sich bei den meisten Schweizer Animationsfilmen, die abseits von Disney neue Welten kreieren.» Daneben produziert Händler aber auch Kunstvideos wie die fantastischen Bildwelten von Max Philipp Schmid («Paradies») sowie Dokumentarfilme («Zartbitter»). Das ist nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv. «Auswerten in dem Sinn, dass die Produktionskosten wieder eingespielt werden, lassen sich solche Filme nicht», sagt Händler. Ohne eine Vorfinanzierung läuft da gar nichts.
Die Produzentin machte sich deshalb im letzten Jahr für die Aufstockung der Basler Filmförderung stark: «Wäre der Förderentscheid bachab gegangen, wäre ich vielleicht weggezogen wie viele andere auch.» Dass sie ihren Beruf jetzt noch ändert wie ihre einstige Produktionspartnerin Claudia Frei, die vor vier Jahren ausstieg und heute im sozialen Bereich tätig ist, glaubt Händler allerdings nicht. «Der Beruf verbindet zu vieles, was mir wichtig ist, ausserdem habe ich lange genug ausgeharrt. Über den Punkt des Aufgebens bin ich hinaus.»
«Auch wenn man punktuell kämpfen muss, als ginge es um Leben und Tod, darf das nicht zum Dauerzustand werden.»
Die beruflichen Unwägbarkeiten belasten, nicht nur finanziell. «Wenn das innere Glück davon abhängt, wie es mit den Projekten läuft, können einen die Absagen von Fördergeldern wirklich bodigen.» Auch wenn man punktuell kämpfen müsse, als ginge es um Leben und Tod, dürfe das nicht zum Dauerzustand werden: «Auf die Länge geht das nicht.» Dank eines Mandats an der Hochschule Luzern, wo Stella Händler die Abschlussfilme der Studierenden begleitet, ist wenigstens die monatliche Miete gesichert.
Immerhin stimmt die Work-Life-Balance wieder, seit die 53-Jährige gelernt hat, nicht nur anzupacken, sondern gelegentlich auch einmal loszulassen: Anders als in ihren Dreissigern, die ganz im Zeichen der Selbstausbeutung standen, deklariert Händler ein durchgearbeitetes Wochenende heute als Ausnahme, bucht freiwillig Ferien und nimmt sich Zeit für ihre Nichten und Neffen. Oder, wie jetzt, für die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen, wo Stella Händler im Internationalen Wettbewerb als Jurymitglied erwartet wird.
Beim Abschied von der unermüdlichen Produzentin leuchtet das weisse Blumenmuster unter ihrem schwarzen Mantel auf: Es wird doch noch Frühling in Basel.