Nachtschwärmer von jung bis alt, schick bis alternativ wollen nicht einfach nur ein Bier oder zwei trinken. Immer mehr Basler Bars setzen deshalb auf Live-Musik. Eine Woche unterwegs zwischen Theke und Tanzfläche.
Es sah die letzten Jahre nicht gut aus für Livemusik in Basel. Clubs kämpften mit Lärmklagen, dann gab es Wehklagen übers Clubsterben, und schliesslich tönte überall nur noch Techno. Bands schienen mangels Auftrittsgelegenheiten dem Tode geweiht. Doch die Livemusik lebt.
Eine Tour des Bars de Bâle in einer zufällig gewählten Januarwoche zeigt beidseits des Rheins ein erfreulich anderes Bild, jeden Wochentag spielt irgendwo Livemusik. Man wähnt sich beim Angebot in Nashville, Dublin oder Glasgow – den Hochburgen der Pubkonzerte. Doch wird am Rheinknie keine lokal verankerte Musiktradition gespielt: Die Barkonzerte sind stilistisch so unterschiedlich wie die Tresen.
Das Publikum kann so neue Bands entdecken und spendet bei Gefallen grosszügig Gage in den Kollektentopf. Obwohl man nirgendwo Eintritt zahlt, scheint die Rechnung für Musiker und Barbetreiber aufzugehen. Noch. Denn neue Bars werben mit neuen Konzertserien. An manchen Tagen locken drei Serien gleichzeitig – und einmal im Monat können sogar die -Tis-Nostalgiker wieder schwelgen.
Sonntag, Singer Bar: Spirituelles statt Spirituosen
Nicht mal der Sonntag ist heilig. Da lädt seit Jahresanfang die Singer Bar zum Musikater, ein Audio-Zvieri mit klassischer Musik. Heute singt das Ensemble Troxalida Messen und andere Stücke aus dem Mittelalter. Der Flyer mit Info zu den Stücken und Musikern, die mit Laute und Flöte Zwischenspiele liefern, ist in Latein verfasst. So was klassisch Cooles findet man nicht mal in Williamsburg, Home of Hipsters. Wetten?
So gönnt man sich sonntags in der Singer Bar Spirituelles statt Spirituosen und sinniert beim dreistimmigen Halleluja der Sänger über ein Zitat von Satiriker Wiglaf Droste, der seinem Helden nicht nur für die Musik dankbar war: «Ich muss nicht an Gott glauben, das macht Johnny Cash für mich.» Die Rolle des «Man in Black» übernehmen heute Ozan Karagöz (lateinisch: Ausannus Carageus) und seine Sänger und Musiker der Scuola Cantorum Basiliensis.
Sie sind froh, für einmal nicht in einer Kirche zu singen. «Ausserhalb der Konzerthallen sind das meist die einzigen Auftrittsmöglichkeiten für klassische Musiker», so Karagöz, der am renommierten Basler Ausbildungs- und Forschungszentrum für Mittelaltermusik Gesang unterrichtet.
Die beiden Luzerner müssen noch lernen, dass Understatement auf der Bühne nicht cool ist, wenn man Beachtung will. «Heute ist eher flau. An Abenden mit bekannten Bands haben wir schnell über 100 Leute im Publikum», kommentiert Hofstetter fast entschuldigend.
Für die Basel-Premiere einer unbekannten Band an einem Abend unter der Woche mit arktischer Kälte ist das jedoch kein schlechter Wert. Ausserdem startet parallel im Restaurant Union die fünfte Saison mit Barkonzerten, und in der Renée Bar spielt Gipsy Rufina.
Mittwoch, Renée: Herzwärmer gegen die Kälte draussen
Nomen est omen bei der One-Man-Band. Der Italiener ist seit Jahren auf Tingel-Tour durch Europa und spielt bereits zum dritten Mal in Basel, wie Veranstalter Willi Moch weiss. Im Sommer bucht er Bands für Konzerte auf dem Gelände der Marina und dem Freisitz. «Über die Jahre fragen mich immer mehr Musiker nach Auftrittsmöglichkeiten. Mittlerweile kann ich auch im Winter viele passende wie unkomplizierte Orte finden.»
Die Stimmung ist auch hier durchaus wohlwollend, aber distanziert, was Moch nervt: «Der Typ ist für mich ein Star.» Den so Gelobten kratzt das nicht. Gipsy Rufina singt an der Gitarre unbeirrt seinen kratzigen Country, Herzwärmer gegen die Kälte draussen. Zwei junge Frauen erliegen dem Charme und stellen ihren Stuhl direkt vor das Mikrofon. Als Gipsy Rufina zu lüpfigeren Melodien auf das Banjo wechselt, hält sie nichts mehr auf dem Hintern. Ihre Tanzlust ist ansteckend, ein paar Umstehende wanken mit.
In der beschwingten Stimmung werden sicher ein paar letzte Biere mehr gezapft, und so wie die Geldsammlung im Champagnerkübel kesselt, wird es dem musizierenden Vagabunden für ein, zwei Tankfüllungen reichen. Den grossen Reibach macht heute aber keiner.
Donnerstag, L’Unique: Apokalyptischer Blues vor Devotionalien
Ein Mann mit Gitarre und Geschichten aus dem Westen gibt es auch am Donnerstag im L’Unique zu erleben. Christian Platz zelebriert seine Songs über Hoffnung, Delirium und Verwüstung. Seinen apokalyptischen Blues garniert der Basler mit Anekdoten seiner Trips auf den Spuren der Musikhistorie.
Musikgeschichte hängt auch an den Wänden der Bar. Das L’Unique ist vollgestopft mit Devotionalien grosser Künstler: goldene Schallplatten, Autogrammkarten und Bühnenkostüme.
Die wichtigste Trophäe des Hauses für die hiesige Szene ist jedoch der mit 5000 Franken dotierte Anerkennungspreis, der das L’Unique seit drei Jahren spendet und der anlässlich des Basler Poppreises des RFV Basel an Künstler geht, die seit mindestens 25 Jahren die Musikszene prägen. Roli Frei, Pink Pedrazzi und Black Tiger wurden schon damit gewürdigt.
Freitag, Hula Club: Zeitreise im Keller
Diese Basler Veteranen sind Jungspunde im Vergleich zu den Herren von den Hula Hawaiians. Ihre erste EP «Chimpanze Rock» war das erste Rock-’n‘-Roll-Vinyl der Schweiz und feiert dieses Jahr das 60-Jahre-Jubiläum. Die Basler Band-Pioniere spielen ihre süssen Südseeschwelgereien jeden Dienstag im Hula Club.
Wer in den Keller steigt, taucht in eine andere Zeit. Die Jacke hängt man an die Garderobe, holt an der Bar Bier und belegte Brötchen, um es sich dann auf einem mit Sitzkissen gepolsterten Stuhl bequem zu machen. Freitags öffnet das Bandlokal nur einmal im Monat, wenn die Tiki Bar aus Kleinhüningen hier in den Wintermonaten Hof hält. «Dann sind wir Gäste im eigenen Laden», amüsiert sich Pedalsteel-Gitarrist Heinz Haag.
Balders Ross locken ein jüngeres Publikum als die Stammgäste in den Hula Club. Klar, lassen es sich die Hausherren nicht nehmen, als Support zu spielen. Vier Hula Hawaiians stehen auf der Bühne mit Palmenstrand-Tapete, von den vielen Fotos im Keller strahlen jedoch bis zu sechs Musiker. «Je nach Gebrechen können nicht alle kommen», kommentiert Haag mit schalkhaftem Lachen. «Wer nicht voll auf dem Damm ist, spart seine Energie für Dienstag.»
Von der Ur-Formation können nur noch zwei Musiker im Diesseits aufspielen. Die heutige Band nennt sich darum eigentlich Hula-Hawaiians-Memories – die Musik des Originals lebt jedoch weiter. Kaum sind die Blumenkränze über die Hemden gestreift, wabern Südsee-Klänge durch den Keller.
Die Band steckt schon mitten im zweiten Set. Es ist erst 22 Uhr, die Stimmung schon feucht-fröhlich und schweissnass. So geht Barparty. Kein DJ schafft das schon um diese Zeit. Sänger Zulu stachelt die animalischen Triebe mit tierischen Texten über Vögel und Würmer weiter an, bevor seine Trompete wieder zum Tanz bläst.
Während den Zugaben wird das Publikum zur Kollekte aufgefordert: «We wanna get rich so we can buy beer to get drunk like the worm in a Tequila.» Der Spendenkessel geht rum, und trotz lauten Zugaberufen gibt es von der Bühne irgendwann nur noch Kusshand und Winken.
Bald zwei Jahre lädt Steffi Klär hier mit ihrer versierten Jazzkapelle monatlich zur Montagsmusik mit Gästen. Beim ersten Set singt sich Klär charmant durch die Standards, beim zweiten wechselt sie nicht minder souverän in die Rolle der Gastgeberin.
Keyboarder Dänu und Trompeter Marco haben denn auch Freude und ein paar Freunde dabei. Die beiden Musiker haben früher zusammen gewohnt und gespielt, bevor Marco mit Mañana Me Chanto durch die Welt tourte. Ist er heute in der Schweiz, bespielen sie Beizen. So kamen sie auch hierher.
Das Konzert der beiden ist eine gemütliche Stubete, das Repertoire gross, und als sich noch ein Bekannter mit Bongos dazugesellt, wird daraus eine Session. Ein weiterer Freund trommelt auf einem Stuhl mit, eine Frau tanzt, doch irgendwann ist der letzte Drink an der Bar geschlürft, die Bar will schliessen.
Dienstag, Atlantis: Wie früher
Geschlossen war lange auch das -Tis, zumindest für Bands. Seit dem Herbst gibt es wieder regelmässig Livemusik im legendären Lokal, bei der «-Tis day»-Serie dienstags sogar gratis – wie früher unter der Woche. «‹Wie früher› kann ich nicht mehr hören», winkt die junge Bookerin Tanja Schmid ab. Heute sorgt die Livemusik nicht für Defizite, sondern für Umsatz: «Bei Konzerten verkaufen wir abends deutlich mehr Essen.»
Die Bookerin sorgt sich aber vor allem um die Bands. Heute spielen I-Van and the Cargo Handlers. Das Publikum ist – wie früher. «Schön, von der Bühne dieselben Gesichter zu sehen, wie vor 20, 30 Jahren im alten -Tis», grüsst Bandleader Ivan Kartschmaroff.
Tatsächlich sind trotz Dauerregen einige gekommen. Man will die Freunde unterstützen, wenn sie schon mal auf den legendären Brettern spielen. Zum Applaus des Publikums und einer Laudatio von I-Van marschieren die Cargo Handlers einzeln auf die Bühne. Als alle in den ersten Blues-Rock-Song eingestimmt haben, klatscht das -Tis den Rhythmus mit.
I-Van wechselt zwischendurch von der Gitarre zur Mandoline und nutzt das erste Schweissabtupfen, um mit dem gestickten Schriftzug auf seinem Frotteetuch für das kommende Bluesfestival zu werben, für das er die Webseite betreut. Man kann fast sicher sein, dort wieder dieselben Gesichter zu sehen, die nun immerhin eine neue musikalische Anekdote aus dem -Tis zu berichten haben.
Bitte nicht noch mehr Publikum
Nach dem ersten Set sagen wir «see you later, alligator» und beenden die Konzertwoche auf Kollekte. Zehn Bands an sechs Abenden, was für eine Ausbeute. Man hätte noch vier, fünf mehr besuchen können. Doch waren ein paar Bars zu weit weg von der Route, um sie zeitlich mit den anderen Konzerten abzugrasen.
Andere Bars wollten lieber nicht offiziell besucht werden, da sie schon mehr als genug Konzertbesucher haben und bei noch grösserem Andrang Probleme mit Anwohnern fürchten, oder es fehlt die Bewilligung. Ob es die für Konzerte braucht, wenn sie leise sind und eigentlich niemanden stören?
Für aufwendigere Konzerte braucht es sowieso die Infrastruktur eines Konzertclubs. Nicht jede Band kann in Bars spielen. Ein paar sind schlicht zu laut, andere technisch zu kompliziert. Doch wie sieht die Situation bei den kleineren Clubbühnen aus, sind die Gratiskonzerte für sie eine Konkurrenz?
«Wir können uns das Risiko nicht erlauben, nur auf Kollekte zu setzen.»
«Es kommt auf das Genre und den Abend an», kommentiert Eres Oron von der Kaschemme, dem Club mit einer Konzertkapazität von etwas über 100 Leuten, der momentan das vielfältigste Live-Programm der Stadt bietet. «Spielt bei uns ein Hip-Hop-Act für 20 Franken Eintritt und parallel läuft in einer Bar ein Gratis-Jam, spüren wir das enorm.»
Nur auf Kollekte zu programmieren, funktioniert in einem Club nicht, da die Fixkosten für die Produktionen viel höher sind. «Das Risiko können wir uns nicht erlauben», so Oron. Wirklich gut laufen ohnehin nur Abende mit bekannten Bands – lokalen wie internationalen.
Dennoch hat die Kaschemme immer wieder defizitäre Live-Abende. Doch darüber will Oron, der als die eine Häfte des DJ-Duos Goldfinger Brothers vor allem für partytaugliche Clubmusik bekannt ist, nicht klagen: «Bands sind für die Kaschemme enorm wichtig. Da geht es um Leidenschaft. Ich habe hier Bands und Musik entdeckt, die zumindest für mich persönlich eine grosse Bereicherung waren.»
«Wenn Leute bei Konzerten ohne Eintritt Livemusik schätzen lernen, sind sie auch am Weekend eher bereit, dafür Eintritt zu bezahlen.»
So risikobereit ist der Grossteil des Konzertpublikums nicht. Barkonzerte sind deshalb eine gute Gelegenheit für Bands, neues Publikum zu finden, wie Kristina Hofstetter in ihrer Rolle als Bookerin für die Singer Bar sagt. Und umgekehrt: «Wenn Leute durch Barkonzerte ohne Eintritt Livemusik mehr schätzen lernen, sind sie vielleicht auch am Weekend vermehrt bereit, dafür Eintritt zu bezahlen.»
Es fragt sich auch, ob bei all den neuen Bars mit Livemusik nicht ein Overkill droht wie Anfang letztes Jahr, als ein Technotempel nach dem anderen eröffnete, um wenige Monate danach wieder zu schliessen.
Bars haben den Vorteil, dass sie nicht monothematisch auf Bands ausgerichtet sind. Und sie brauchen auch nur 30 bis 100, nicht 300 bis 1000 Menschen, damit es für alle aufgeht. Trotzdem kann es sein, dass die eine oder andere Bar noch vor dem Ende des Winters wieder mit den Konzerten aufhört.
Schlafstadt Basel? Nun, die Barkonzerte finden zeitig statt, sodass die Augenringe nach dem Barbesuch schlecht auf die Band geschoben werden können.
Kulturstadt Basel? Was die Musikszene betrifft: definitiv. Die Woche auf Tour des Bars de Bâle liess uns nicht nur eine Vielzahl an Konzerten erleben, sondern auch eine unglaubliche Stilvielfalt – gerade von Basler Bands und Musikern. Über die Qualität kann man natürlich streiten, ob bei Bier oder stillem Wasser. Unbestritten aber ist: Den Erlebniswert eines Barbesuchs steigert Livemusik enorm.