Ausweitung der Tanzzone: Das Basler Nachtleben überflügelt Zürich

Von wegen Clubsterben: In Basel boomt das Nachtleben. Neue Clubs wie das Café Singer oder der Schallplatz setzen ebenso auf elektronische Musik wie die etablierten Clubs Hinterhof und Nordstern. Droht jetzt gar ein Überangebot?

Auch bei der Heuwaage gibts Techno auf die Ohren: Der Schallplatz lockt mit einer Kapazität für 1200 Besucher.

(Bild: Eleni Kougionis)

Von wegen Clubsterben: In Basel boomt das Nachtleben. Neue Clubs wie das Café Singer oder der Schallplatz setzen ebenso auf elektronische Musik wie die etablierten Clubs Hinterhof und Nordstern. Droht jetzt gar ein Überangebot?

Manchmal geht es dem Basler Nachtleben besser, als dieses selber meint: Vor einem Jahr noch sorgte der Begriff Clubsterben für helle Aufregung in der Szene. Das Ende von Nordstern und Hinterhof schien absehbar, da beide Zwischennutzungen 2016 auslaufen würden.

Ersatz-Locations waren keine in Sicht. Probleme beim Lärmschutz befeuerten die Befürchtungen, dass das Basler Nachtleben herbe Rückschläge erleiden würde. Zumal die Club-Betreiber bei ihrer Suche nach Ersatz-Locations feststellen mussten, dass es zwar grössere leerstehende Räume in Basel gibt, die Vermieter aber nicht gewillt waren, diese für Partys zur Verfügung zu stellen. 

So glaubten am 31. Dezember viele tanzfreudige Partygänger, dass sie ihre letzte Silvesternacht in den beiden Flaggschiff-Clubs verbringen würden. Ein letzter Rutsch ins Ungewisse.

Die Hinterhof-Lösung: ein Glücksfall, auch für die Stadt

Es sollte anders kommen: Am 10. Januar verkündete die Hinterhof Bar, dass sie sich mit Immobilien Basel-Stadt über einen neuen Mietvertrag einigen konnte. Dieser gibt den Zwischennutzern auf dem Dreispitz grössere Planungssicherheit. Der Club kann fünf weitere Jahre bleiben. Selbst Barbara Neidhart von Immobilien Basel-Stadt sprach dabei von einem «Glücksfall».



Hier kann man sicher noch bis 2021 einen Drink bestellen: die Hinterhof Bar.

Hier kann man sicher noch bis 2021 einen Drink bestellen: die Hinterhof Bar. (Bild: Eleni Kougionis)

Zur gleichen Zeit sickerte durch, dass auch das Nordstern eine neue Lösung gefunden habe: Das Team um Agron Isaku würde künftig seine Partyaktivitäten auf das Unterdeck des Schiffs verlegen. Dessen Betriebskonzept war unter der Ägide der Tiefgang AG seit längerer Zeit nicht mehr aufgegangen.

Der Nordstern leuchtet künftig auf dem Wasser

Am 10. Februar dieses Jahres bestätigte das Nordstern offiziell die Übernahme der «Expostar». Im Juni wird der Club im Innern des Schiffs wiedereröffnet. Damit zieht ein renommiertes Schweizer Techno-Flaggschiff tatsächlich aufs Wasser. Und nicht nur die grossen Investitionen in Umbau (Schallschutz und Akustik) sprechen dafür, dass man den Partykahn auf lange Frist hinaus schaukeln will – sondern auch die Tatsache, dass sich Isaku und sein gastronomischer Compagnon Simon Lutz gar das Vorkaufsrecht für das Schiff gesichert haben.  

Damit wird Ende April zwar Abschied genommen von den bisherigen Räumlichkeiten beim Voltaplatz, die die Industriellen Werke Basel anderweitig nutzen wollen. Das Nordstern aber leuchtet weiter.

Droht jetzt die Gefahr einer Sättigung?

Diese Nachrichten sorgen für Freude beim Ausgehvolk. Und tragen dazu bei, dass man heute, ein Jahr nach den Unkenrufen der Szene – Stichwort Clubsterben – erstaunlicherweise vom Gegenteil reden kann: Von einem veritablen Boom in der hiesigen Clublandschaft. Basel hat ein lebendigeres Nachtleben als zuvor, ja, manche orten die Gefahr einer Sättigung.

Eres Oron traut sich gar, das Ü-Wort auszusprechen: Überangebot. «Basel hat eines im elektronischen Bereich», sagt der DJ, der gemeinsam mit Freunden die Kaschemme betreibt. «Als wir 2014 unseren eigenen Club starteten, kamen Techno-DJs auf uns zu und wir probierten einige Sachen aus. Doch mittlerweile programmieren wir ausgesuchter – und weniger elektronisch, weil uns experimentellere Formate stärker reizen. Stoner Rock etwa funktioniert erstaunlich gut bei uns, auch Old School Hip-Hop», sagt Oron. Allerdings stellt er auch ein bisschen ernüchtert fest, dass der allgemeine Tenor in der Stadt zwar laute, dass überall Techno laufe. «Aber wenn man eine Alternative bietet, kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Leute auch tatsächlich kommen.»



Setzt auch auf Experimente – zum Beispiel Rock: die Kaschemme beim Joggeli.

Setzt auch auf Experimente – zum Beispiel Rock: die Kaschemme beim Joggeli. (Bild: Eleni Kougionis)

Neue Player auf dem Markt: Singer und Schallplatz

Techno, Techno, Techno. Tatsächlich lässt sich in Basel eine Dominanz elektronischer Tanzmusik ausmachen.

Im Dezember eröffneten mit dem Singer und dem Schallplatz gleich zwei Clubs, die mit ihren Kapazitäten gerne Partyvolk anlocken würden. Das Singer findet sich am Marktplatz – dort wo sich jahrelang das Kino Club und ein Striplokal eingenistet hatten. Heute fassen Club und Bar zusammen 400 Leute, eine stattliche Zahl.



Neuer Club im Herzen der Stadt: das Café Singer am Marktplatz.

Neuer Club im Herzen der Stadt: das Café Singer am Marktplatz. (Bild: Eleni Kougionis)

Giuseppe Miele, der Geschäftsführer des Café Singer, ist sich denn auch bewusst, dass das grosse Angebot in Basel die Programmarbeit schwieriger gestaltet. «Wir sehen unsere Ausrichtung grundsätzlich im elektronischen Bereich, möchten nicht nur das buchen, was schon tausendfach zu hören war. Aber wenn sich sechs, sieben Clubs auf denselben Markt konzentrieren, vereinfacht das unsere Aufgabe nicht.»

Das Singer will sich mit seinem Ambiente, seiner zentralen Lage und auch mit seiner Türpolitik abheben: So sind die Clubnächte für Leute ab 23 Jahren gedacht, entsprechend setzt man auch auf ältere DJs wie Quentin Harris oder DJ Spen. Dennoch macht er sich nichts vor: «Wenn das Nordstern am neuen Ort wieder eröffnet, wird dies kurzfristig einen negativen Impact auf die neuen Clubs haben», sagt Miele. Längerfristig werde sich das legen und das Singer seinen Platz behaupten, sagt er optimistisch. «Ich habe noch keine grosse Werbung ausserhalb von Basel gemacht, da ist auf jeden Fall noch Potenzial. Die Stadt selber ist ja klein, aber das Einzugsgebiet nicht zu unterschätzen.»

Basel überflügelt Zürich

Zumal sich dieses Einzugsgebiet auch längst bis Zürich erstreckt. Denn die Limmatstadt, die sich zur Jahrtausendwende noch stolz zu den Partymetropolen der Welt gezählt hatte, sieht sich mittlerweile im Schatten der Basler Technoleuchttürme (aber sagen Sie das bloss niemandem ennet dem Bözberg, die hören es nicht so gerne).

So bedauerten die Veranstalter des schweizweit bekannten Clubs Hive vergangene Woche in der NZZ, dass das Nachtleben in Zürich fast überall zerstört worden sei.

Ganz anders Basel, wo diese Zerstörung abgewendet werden konnte: Hier bedauert man eher, dass die internationalen Rock- und Popmusiker schwer zu kriegen sind, weil deren Agenturen oft der Medien- und Labelhauptstadt «Zurich» den Vorzug geben. Bei den DJs verhält es sich genau umgekehrt: Basel ist in der elektronischen Musik ein Begriff geworden, hier zieht es auch Weltstars an die Plattendecks.

Davon möchte auch der Schallplatz profitieren, der grösste Club der Stadt, wenn man die Besucherkapazität als Messwert nimmt. 1200 Leute passen in die Räumlichkeiten, die früher unter dem Namen Mad Wallstreet oder Mad Max mit Partytunes die Menge anlockten. Der Name Schallplatz mutet berlinerisch an – und offenbart die neue stilistische Ausrichtung.

«Der Kuchen wird für alle grösser.»

Eduardo Vaccari, Schallplatz

Hat es Platz für einen weiteren elektronischen Laden in der Stadt? Ja, meint Eduardo Vaccari, Geschäftsführer des Schallplatz. Er sieht durchaus Vorteile in der hohen Clubdichte der Stadt: «Ich war früher selber Clubber. Da ging man nach Zürich. Heute hat Basel eine starke Clubbing-Community – und die ist froh, wenn die Auswahl gross ist und man in einer Nacht von einem Club zum anderen pilgern kann.»

Dennoch wirkt es mutig, einen neuen Laden etablieren zu wollen. Übernehmen sich die neuen Player nicht? «Die Leute bleiben in Basel, das führt auch zu mehr Publikum, der Kuchen wird für alle grösser», entgegnet Vaccari selbstbewusst.

Ein bisschen skeptischer äussert sich da Agron Isaku vom Nordstern im Interview: «Es gibt Clubs wie den Hinterhof, die auf Nachhaltigkeit und Eigenständigkeit setzen. Andere aber kopieren meiner Meinung nach bestehende Erfolgskonzepte anderer Locations, was ich wenig authentisch finde.» Er bedauert auch die Tendenz des «Preis-Dumping»: unendlich lange Gästelisten oder Preisreduktionen, die den Markt schädigen würden. Zudem kritisiert er, dass manche Clubs bereit seien für gewisse Acts doppelt so viel zu bezahlen wie andere.

«Es geht weniger um die Musik als auch schon.»

Lea Schürmann, Partygängerin

Dass Geld eine grössere Rolle spielt, diese Wahrnehmung bestätigt die Partygängerin Lea Schürmann. Sie ist 22, Jus-Studentin und Mitinitiantin von «Bebbi Wach Uff», einer Gruppe, die sich für den Erhalt des Partystandorts Basel einsetzt. Also eine leidenschaftliche Besucherin von Tanzveranstaltungen. Wobei sie manchmal die Leidenschaft auf dem Dancefloor und hinter dem DJ-Pult vermisst: «Um die Kultur, um die Liebe zur Musik geht es weniger stark als auch schon», sagt Schürmann. «Sehen und gesehen werden ist wichtiger geworden.»  

Die Partyszene habe sich verändert, so ihr Eindruck. Und das nicht nur zum Guten. Zwar ist sie erfreut, dass das Basler Nachtleben keine Abstriche machen musste, ja, sogar um Alternativen reicher geworden ist. «Es passiert was», stellt sie positiv fest. «Aber es scheint mehr ums Geld machen zu gehen als auch schon», sagt Schürmann.

Selbstverständlich würde dies keiner der Veranstalter zugeben. Doch ob sich die neue Entwicklung für alle positiv auswirkt, die Besucher und die zahlreichen Clubs, wird sich erst zeigen. Sicher ist bereits jetzt: Die DJs gehören zu den Gewinnern. Für sie eröffnen sich neue Auftrittsmöglichkeiten. Eres Oron alias DJ Montes von den Goldfinger Brothers kann nicht nur die beliebte Bloc Party im Hinterhof weiterführen, er legt auch im Café Singer auf – nebst den überregionalen Engagements und der Arbeit im eigenen Club, der Kaschemme.

Ein Jahr nach dem grossen Aufschrei bleibt also die Erkenntnis: The beat goes on.
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20 Jahre BScene – am 4. und 5. März pilgern wieder Tausende Konzert- und Partygänger durch die Basler Nacht: Das nehmen wir zum Anlass für eine Neubetrachtung der Clubszene. Weitere Artikel:

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