Der Vaterschaftsurlaub hat es schwer in der Schweiz: Am Mittwoch hat der Bundesrat die Initiative von Travail.Suisse für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub zur Ablehnung empfohlen. Schon vor einem Jahr hatte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative ähnlichen Inhalts bachab geschickt.
Die Argumente gegen den Vaterschaftsurlaub sind wirtschaftlicher Natur. Erstens: Die Finanzierung über die Erwerbsersatzordnung sei zu teuer (420 Millionen pro Jahr). Zweitens: Die Unternehmen könnten es sich nicht leisten, vier Wochen auf ihre Arbeitskräfte zu verzichten. Auch der Basler Arbeitgeberverband, der Gewerbeverband und die Handelskammer beider Basel lehnen einen Vaterschaftsurlaub deshalb ab, entsprechende Vorstösse im Basler Grossen Rat scheiterten.
Die Schweiz ist bald das einzige Land, in dem das Ernährermodell nach wie vor die Familienpolitik prägt.
Anders sehen es die Befürworter. Sie nehmen es den Gegnern nicht ab, dass sie den Vaterschaftsurlaub nur des Geldes wegen ablehnen. Der Bundesrat sei aus ideologischen Gründen gegen den Vaterschaftsurlaub, schrieben sie am Mittwoch. Damit ignoriere die Landesregierung die Bedürfnisse junger Familien.
Noch deutlicher wurde Markus Theunert, Geschäftsleitungsmitglied des Verbands Männer.ch. Er schrieb auf Facebook: «Das sind dann halt die Folgen, wenn Familienpolitik auf Nachkriegsniveau verhandelt wird.» Theunert bezieht sich auf eine Studie der Universität Oxford, welche die Familienpolitik in 18 OECD-Ländern vergleicht. Dabei kam heraus: Die Schweiz ist fast das einzige Land, in dem das Ernährermodell – Papa bringt Geld heim, Mama schmeisst Kind und Haushalt – nach wie vor die Familienpolitik prägt.
Der Schluss ist nachvollziehbar: Nur wenn man davon ausgeht, dass die Mutter in erster Linie für Kind und Haushalt zuständig ist, kann man es legitimieren, dass sie bezahlt daheim bleiben darf, während der Vater bereits einen Tag nach der Geburt wieder arbeiten muss. In anderen Staaten ist diese Sicht überholt. Und zwar nicht nur in Ländern wie Schweden, sondern beispielsweise auch in Deutschland. Nur die Schweiz sieht Babys als reine Frauensache.
Die Ideologie hat natürlich eine wirtschaftliche Basis: Viele Familien können sich das Ernährermodell leisten. Die Schweiz gehört zu den reichsten Ländern der Welt und hat vergleichsweise wenig Ungleichheit. Das macht es für viele möglich, von einem Einkommen zu leben, anders als etwa in Frankreich, wo beide Eltern arbeiten müssen, um durchzukommen.
Alle glücklich, alle froh
Allerdings haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Nationalräte, die den Vaterschaftsurlaub letztes Jahr bodigten, selber gewählt. Sie haben die Familienpolitik bekommen, die sie verdienen. Vielleicht wollen sie es nicht anders: 60 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit, aber nur 17 Prozent der Männer, hat das Bundesamt für Statistik erhoben. Und eine neue Studie hat ergeben: Frauen sind mit einem Teilzeitpensum glücklich, Männer eher weniger.
Man könnte also sagen: Es lebe das männlich dominierte Ernährermodell – und alle sind glücklich!
So einfach ist es aber nicht. Nicht einmal für Vaterschaftsurlaub-Gegner. Denn ein zentraler Akteur in dieser Angelegenheit ist für Gegner wie Befürworter: die Wirtschaft. Ihr fehlen die Arbeitskräfte. Eine der Strategien des Bundesrats, um die Löcher zu stopfen: Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren (Stichwort: Fachkräfteinitiative).
Hausfrauen lohnen sich nicht
Männer-Aktivist Markus Theunert kann deshalb nicht verstehen, weshalb die Regierung gegen den Vaterschaftsurlaub votiert. «Es gibt zwei Massnahmen, die zusammen dazu führen, dass mehr Frauen arbeiten. Erstens: flächendeckende, bezahlbare Kinderbetreuung. Zweitens: Ein Vaterschaftsurlaub, der für Väter reserviert ist.»
Frauen werden von Arbeitgebern oft diskriminiert, 30-Jährige haben es schwer, eine Stelle zu finden oder werden gekündigt, kaum sind sie schwanger – obwohl das verboten ist. Ihre Arbeitskraft geht der Wirtschaft verloren. Gemäss Theunert würde man diese Diskriminierung etwas lindern, wenn die Männer ebenfalls einen gesetzlich vorgeschrieben Vaterschaftsurlaub hätten. «Man würde das Arbeitsmarkt-Risiko einer Schwangerschaft auf den Schultern von Männern und Frauen gleichermassen verteilen.»
Frauen, arbeitet Vollzeit – Männer, wascht ab
Anders sieht das Elisabeth Schneider-Schneiter, Baselbieter CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Handelskammer. Sie wünscht sich zwar, dass mehr Frauen Vollzeit arbeiten und so finanziell unabhängig werden. einen Vaterschaftsurlaub findet sie dazu aber das falsche Mittel. «Ein paar Wochen Vaterschaftsurlaub erleichtern der Frau den Einstieg in den Beruf nicht», sagt sie. Da müsse man bessere Anreize schaffen. Etwa dafür sorgen, dass es sich für Frauen lohnt, zu arbeiten und die steuerliche Progression nicht ihr Einkommen wegfrisst. Ausserdem fordert sie mehr Tagesschulen, damit die Kinder ganztags betreut sind.
Allerdings appelliert sie auch an die Frauen, ihre Pensen zu erhöhen, das fördert die Karrierechancen. Ausserdem könnten Frauen dann auch mehr Einsatz von den Männern einfordern: «Wenn Frauen hundert Prozent arbeiten, beteiligen sich Männer automatisch auch mehr am Haushalt.» Bei einem Teilzeitpensum erwarteten die Männer dagegen, dass die Frau an den freien Tagen den ganzen Haushalt alleine erledigen würde.
Elisabeth Schneider-Schneiter fordert, auch Frauen selber müssten von traditionellen Rollenbildern lassen.
Wobei, diese Logik geht längst nicht immer auf: In 40 Prozent der Haushalte, in denen Frau und Mann beide Vollzeit arbeiten, erledigen immer noch die Frauen die gesamte Hausarbeit, das zeigen Umfragen. Allerdings sind Frauen daran nicht unschuldig, wenn man Männer-Aktivisten und soziologischen Studien glaubt. Sie kritisieren, Frauen hätten zu genaue Vorstellungen, wie ein Haushalt auszusehen habe und kritisierten ihre Männer, wenn diese die Arbeit nicht zu ihrer Zufriedenheit ausführten.
In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie fordert, auch Frauen selber müssten von traditionellen Rollenbildern lassen. Die Politikerin selber hat als zweifache Mutter immer Vollzeit gearbeitet. «Es waren meist die Frauen, die mir ein schlechtes Gewissen machten und mir vorwarfen, ich hätte zu wenig Zeit für meine Familie.»
Viele Familien mit tieferem Einkommen können sich das Ernährermodell bereits heute nicht mehr leisten.
Sind alle Schweizerinnen und Schweizer so traditionell eingestellt? Kaum. Verschiedene – vor allem grössere – Unternehmen haben in den letzten Jahren einen Vaterschaftsurlaub eingeführt. Bei Roche und Novartis bekommen die Väter sechs Tage bezahlten Urlaub. Das amerikanische Unternehmen Johnson & Johnson in Zug bietet sogar acht Wochen bezahlte Buschizeit. Sie wollen sich auf dem Arbeitsmarkt als attraktive Arbeitgeber positionieren, um so die besten Arbeitskräfte zu bekommen. Hier ist es also die Wirtschaft, die der Politik beim Vaterschaftsurlaub vorauseilt – als grosses Unternehmen tut es weniger weh, wenn man ein paar Tage oder Wochen auf Arbeitskräfte verzichten muss.
Kommt hinzu: Viele Familien mit tieferem Einkommen können sich das Ernährermodell bereits heute nicht mehr leisten. Es ist wohl kein Zufall, dass Frauen mit Migrationshintergrund doppelt so häufig Vollzeit arbeiten wie Schweizerinnen.
Besser wirds nicht
Und es wird wohl nicht besser, wie eine Studie des Beratungsunternehmen McKinsey zeigt. Es hat 25 Länder, darunter auch die Schweiz, verglichen. Fazit: Bei zwei Dritteln der Haushalte könnte das Einkommen in Zukunft stagnieren oder sogar zurückgehen.
Das alles ist für Markus Theunert aber zweitrangig. Ihm geht es beim Vaterschaftsurlaub nicht nur um wirtschaftliche Argumente, sondern um Gerechtigkeit. In der Verfassung steht: Mann und Frau sind in Familie, Ausbildung und Arbeit gleichberechtigt. Theunert argumentiert: «Wir handeln verfassungswidrig, wenn Frauen nach der Geburt Urlaub haben, Väter aber nicht. Genau damit fördern wir das alte Ernährermodell.» In zwei Dritteln der Haushalte erledigen die Frauen die Hausarbeit. Theunert will das ändern. «Das Ziel ist, dass Männer die Hälfte der unbezahlten Arbeit leisten.»
Der Vaterschaftsurlaub wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung.