Vor 25 Jahren begannen die Junkies vom Rhein in Gassenzimmern zu verschwinden

Die «K+A», früher als Gassenzimmer bekannt, gibt es in Basel seit 25 Jahren. Seit dem Ende der offenen Drogenszene hat sich viel verändert. So viel, dass die Problematik vergessen zu gehen droht.

Damals noch ein Novum: ein Basler Gassenzimmer anno 1992. Ein Jahr zuvor wurde bei der Spitalstrasse der erste offizielle Konsumraum eröffnet.

(Bild: STR)

Die «K+A», früher als Gassenzimmer bekannt, gibt es in Basel seit 25 Jahren. Seit dem Ende der offenen Drogenszene hat sich viel verändert. So viel, dass die Problematik vergessen zu gehen droht.

Ende der Achtzigerjahre war da noch nichts mit lauschigen Bars und Cafés. Damals beherrschte die offene Drogenszene die Rheingasse. Heute verschwinden Heroinsüchtige, ältere wie auch jüngere Leute, beim Wiesenkreisel oder beim Dreispitz hinter Türen.

Die Gassenzimmer, inzwischen bekannt als Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) der Stiftung Suchthilfe Region Basel, bestehen seit 25 Jahren. Was einst Gegenstand heftiger Debatten war, ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Stadt. Auch wenn jeder neue Standort – wie zuletzt im Jahr 2013 beim Dreispitz – für Diskussionen sorgt, ist es im Laufe der Jahre wesentlich ruhiger um die K+A geworden.

Heftige Gegenwehr

Ein Blick zurück: Die offene Drogenszene und das HIV-Problem sorgten in den Achtzigerjahren für ein Umdenken. Vorreiter wie etwa Klaus Meyer und sein Team von der Gassenarbeit Schwarzer Peter kümmerten sich um Abhängige, verteilten saubere Spritzen. Der Kampf gegen das Elend spielte sich in einer rechtlichen Grauzone ab: 1988 kam das inoffizielle und halblegale «Sprützehüsli» auf, welches 1989 vom «Fixerstübli» am Lindenberg abgelöst wurde, geführt auf private Initiative vom Verein Virus.

Diese Ideen schafften es, sich zu etablieren. 1989 legte ein Gutachten von Jus-Professor Hans Schultz zur rechtlichen Zulässigkeit von «Fixerräumen» den Grundstein für legale Veränderungen. Diese machten sich allmählich in der Politik breit, während beim Drogenstammtisch der Sinn von Konsumräumen nahegelegt wurde.

Es benötigte allerdings weitaus mehr als einen Tag, um die Weichen für ein Vier-Säulen-Modell (Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression) zu stellen. Der Widerstand aus der Politik wie auch unter Anwohnern gegen die Gassenzimmer war gross, manchmal sogar gewaltig: 1991 etwa, als Unbekannte ein Container-Provisorium bei der  Elisabethenkirche abfackelten.



Ganz andere Bilder knapp ein Vierteljahrhundert später: Ein heutiger K+A. Reiner Heroinkonsum gehört dort heute der Vergangenheit an. Oft ist es ein Cocktail an verschiedenen Drogen, der konsumiert wird.

Ganz andere Bilder knapp ein Vierteljahrhundert später: Ein heutiger K+A. Reiner Heroinkonsum gehört dort heute der Vergangenheit an. Oft ist es ein Cocktail an verschiedenen Drogen, der konsumiert wird.

Im Sommer desselben Jahres eröffnete das erste offizielle Gassenzimmer an der Spitalstrasse. Eine Umgewöhnung – auch für die Drogenabhängigen, die nun in einem geregelten Rahmen konsumieren sollten. «Erst musste auch bei ihnen das Vertrauen gewonnen werden», sagt Horst Bühlmann, jetziger Leiter der K+A. Und auch für die Betreiber war es noch nicht normal, dass sich Suchthilfe, Polizei, Stadtgärtnerei und Sicherheitsfirmen regelmässig treffen. «Damals konnte sich noch kaum jemand vorstellen, dass Polizisten und Sozialarbeiter einmal am selben Strick ziehen werden», sagt Bühlmann.

In den letzten 25 Jahren hat sich auch sonst vieles verändert: Längst ist das K+A nicht nur ein Konsumraum, sondern ein «Rundum-Programm» mit medizinischer Hilfe, Beratung und einer Cafeteria. Auch Freizeitprojekte und Thementage zu Hepatitis- und HIV-Prävention gehören dazu. Verändert hat sich auch die Art des Konsums: «Reine Heroinkonsumenten wie damals gibt es kaum mehr», stellt Bühlmann fest. Ein Cocktail aus Kokain und Heroin ist heute die Regel – nicht selten auch gemixt mit Medikamenten.

Junkies werden älter

Zurzeit suchen täglich knapp 200 Leute eine K+A auf. Ein Vergleich mit früheren Jahren ist schwierig. Zeitenweise wurden keine Erhebungen gemacht. Am Anfang jedoch suchten täglich etwa 150 Benutzer die damaligen Gassenzimmer auf. Allerdings waren damals weder die offene Szene am Rhein noch diejenigen am Zürcher Platzspitz und Letten vollständig geräumt. Ab Mitte der Nullerjahre pendelten die Zahlen zwischen 193 und 225 Besucher pro Öffnung und Tag.

Die Besucher sind älter als früher, bei 44 Jahren liegt der Schnitt. Die Jüngsten sind etwa Mitte zwanzig, die Ältesten gehen auf das Pensionsalter zu. Es kommen bei Weitem nicht nur ausgemergelte und bleiche Junkies vorbei. Einigen Männern und Frauen ist die Sucht nicht auf den ersten Blick anzusehen. «Das ist Teil vom Erfolg – die Leute sind im Durchschnitt gesünder», sagt Bühlmann. Die neue Generation, die hat keine Wurzeln mehr in der offenen Drogenszene. Die Zeiten ohne K+A kennt diese nicht.

Drogenszene ist aus dem Blickfeld verschwunden

Auch nach 25 Jahren kursieren noch immer Irrtümer um die Konsumräume: «Manche Leute denken, dass wir Drogen abgeben – ein tragisches Missverständnis», sagt Bühlmann. Dass die Besucher den mitgebrachten Stoff von irgendwoher haben, gehe manchen Leuten einfach nicht in Kopf. Vermutlich verwechselten viele die Diaphin-Vergabe, die heroingestützte Behandlung, vom Zentrum Janus der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) mit den K+A.

Die Standorte Heuwaage und Spitalstrasse gehören der Vergangenheit an. Bis vor wenigen Jahren standen jeweils zwei Räume offen, während der dritte geschlossen blieb, um die Quartiere zu entlasten. Später wurde das Konzept geändert und man konzentrierte sich auf zwei solche Einrichtungen in Basel.

Ob die verbliebenen K+A beim neuen Erlenmattquartier oder im mittlerweile auch bewohnten Dreispitz einmal verdrängt werden? In den nächsten Jahren kaum, glaubt Bühlmann. Es sei schwierig, einen Ort zu finden, der nicht Wohngebiet ist. Im Vergleich zu früher sei zudem die Anzahl Reklamationen von Anwohnern wesentlich zurückgegangen.

Wohin steuert das Basler Modell?

Heute sind die Abhängigen weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Sie haben ein Dach über dem Kopf und finden hygienische Verhältnisse. Für die Problematik an sich hat das auch eine Kehrseite: «Da die Leute keine offene Szene mehr sehen, schwindet das Interesse und der Druck der Öffentlichkeit», stellt Bühlmann fest. «Politiker können sich nicht mehr damit profilieren – damit gewinnt man keine Wahl.»

Basel habe seine Rolle als Vorreiter in der Drogenpolitik verloren, sagt Bühlmann. Zwar haben die K+A auch schon Delegationen aus Frankreich, Australien und der Ukraine empfangen, die das hiesige Modell kennenlernen wollten. Gleichzeitig ist die Basler Politik auch an ihre Grenzen gestossen. Vor vier Jahren äusserte sich Thomas Kessler, der heutige Stadtentwickler und ehemalige Drogendelegierte, der das Vier-Säulen-Prinzip wesentlich mitgeprägt hatte, eher ernüchtert: Die Probleme würden heute lediglich verwaltet.

Bühlmann teilt diese Beobachtung. Einerseits setze die Politik, die sich noch immer weit weg von der Entkriminalisierung befinde, bestimmte Grenzen, andererseits fehle auch die Innovation. Etwa beim Drug-Checking – Mobile Labors, bei denen innert 20 Minuten die Substanz geprüft werden kann. Bei Partys wurde dieser noch junge Präventiv-Ansatz schon angewendet. Ähnliches könnte aber durchaus eine Option für die K+ A sein – wie es etwa schon in Zürich gemacht wird.

Wie es mit den Gassenzimmern weitergeht, hängt aber nicht nur von der Politik ab, sondern auch von den Entwicklungen im Drogenmarkt. Ob vermehrt die Pillen aufkommen oder gar – wie etwa in den USA und Deutschland – der Heroinkonsum wieder zunimmt? Auch wenn überall über Crystal Meth gesprochen wird – Methamphetamine fallen jedenfalls laut Bühlmann noch nicht ins Gewicht.

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Die Kontakt- und Anlaufstellen (K+A) der Suchthilfe Region Basel feiern ihr Jubiläum am Mittwoch, 8. Juni, 17 Uhr, in der Dreispitzhalle. An diesem Anlass werden Soziologe Ueli Mäder und Regierungsrat Lukas Engelberger Kurzreferate halten. Ort: Helsinkistrasse 5, Münchenstein.

 

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