Sandro Lunin, der neue künstlerische Leiter der Kaserne Basel, hat sich den Nord-Süd-Dialog in Theater und Tanz auf die Fahnen geschrieben. Wie gut das funktionieren kann, war Ende September bei der Saisoneröffnung zu erleben: beim Bühnenmanifest «Museum of Lungs» gegen die schwarz-weisse Klassengesellschaft, das Beteiligte aus Südafrika, Ägypten und Basel zusammenbrachte.
Lunin hat das multikulturelle Welttheater nicht erfunden. Auch andere Theatermacher versuchen, kulturelle Grenzen zu überschreiten. Mit unterschiedlichem Erfolg, wie zwei aktuelle Beispiele aus Basel zeigen.
Lebensgeschichte einer Abenteurerin
Es ist eine aussergewöhnliche Biografie, die die Volksbühne Basel nacherzählt: «Isabelle» lebt als arabischer Junge verkleidet zusammen mit Nomaden. Sie konvertiert zum Islam, raucht Kif und säuft, schliesst sich einer Muslimbruderschaft an, sammelt Liebhaber, überlebt einen Anschlag und heiratet schliesslich einen algerischen Offizier, bevor sie bei einer Überschwemmung in der Wüste (!) stirbt.
Dieses Theaterstück in der Druckereihalle des Ackermannshofs zeichnet die Lebensgeschichte der Schweizerin Elisabeth Eberhardt nach, die es um 1900 herum in die algerische Wüste zog. Die selbstbewusste und unkonventionelle Grenzgängerin zwischen den Kulturen wurde Jahrzehnte später zum Vorbild in der Frauenbewegung.
Als Textvorlage dient ein Stück von Booker-Prize-Träger John Berger (1926–2017) und Nella Bielski. Laut einer Medienmitteilung des Produktionsteams um Anina Jendreyko habe Berger höchstpersönlich der Volksbühne seinen Text angeboten.
Das Multikulturelle ist nicht viel mehr als Aneignung
Die Theatermacherin Jendreyko weiss Themen rund um Migration und Interkulturalität auf einnehmende Art auf die Bühne zu bringen. «Isabelle» schien also in die richtigen Hände gelangt zu sein.
Die Inszenierung erfüllt diese Erwartungen allerdings nicht. Jendreyko beweist mit «Isabelle» zwar ein akkurates Gespür für Personenführung. Und Bühnenbildnerin Martina Ehleiter hat zusammen mit den Videoprojektionen von Nicole Henning einen erstaunlich wandelbaren Raum für die nahtlose Abfolge der stetig wechselnden kurzen Spielszenen geschaffen.
Doch unterm Strich bleibt das Geschehen auf der Bühne distanziert und relativ farblos. Trotz der wunderbaren, orientalisch geprägten Musik von Haki Kilic (Akkordeon und Trommel) und des berührenden Gesangs von Özlem Yilmaz springt der Funke nicht über. Obwohl zum Teil Arabisch gesprochen wird, bleibt der Abend, der als Hinterfragung eurozentrischer Denkweisen gedacht war, den gewohnten Strickmustern des literarischen Theaters des Westens allzu sehr verhaftet.
So sehr «Isabelle» also durch das präzise Setting zu faszinieren vermag, wirklich einnehmend ist das Geschehen auf der Bühne nicht. Das Multikulturelle ist hier nicht viel mehr als Aneignung.
Widerborstige Performance rund um die Weiblichkeit
Literarisches Theater nach üblichen Mustern ist bei Marcel Schwald nicht zu befürchten. Der 42-jährige Basler ist ein Theaterforscher jenseits aller Konventionen, der stets auf der Suche nach neuen Formen und Bühnenästhetiken abseits des Mainstreams ist. So auch bei seinem aktuellen Projekt mit dem sperrigen Titel «Ef_femininity», das er zusammen mit dem Berner Tänzer und Choreografen Chris Leuenberger entwickelt hat.
Im Grundsatz geht es in der Performance in der Reithalle der Kaserne Basel um das Prinzip der Weiblichkeit oder Hyperweiblichkeit und in der Folge davon um den Versuch, sich von den eingespielten Geschlechterrollen zu lösen.
Im ersten Augenblick könnte man meinen, Schwald und Leuenberger wären auf die Trendlinie Transgender, Genderfluidität oder Queering eingespurt. Die beiden Theatermacher gehen aber einen wesentlichen Schritt weiter, indem sie eben einen interkulturellen Umweg einschlagen. Neben Leuenberger stehen, performen und tanzen sich drei Spielerinnen aus der indischen Stadt Bangalore durch persönlich geprägte Erlebnisse mit ihrer Weiblichkeit. Zwei davon sind Transfrauen.
Von rührend-komisch bis wild und brutal
Die Aufführung wirkt jenseits der eingängig choreografierten Tanzszenen teilweise recht widerborstig. Sie weist rührend-komische Momente auf – etwa wenn Leuenberger sich daran erinnert, wie er als Kind auf dem Bauernhof in die Rollen der Tennis-Prinzessinnen Steffi Graf und Gabriela Sabatini schlüpfte. Dann wechselt er abrupt zu brutalen und wilden Momenten, wenn die Performerin Living Smile Vidya die wüsten Narben ihrer missratenen Operationen präsentiert oder wenn Diya Naidu zum Tanz-Furor gegen die ihr aufoktroyierten Weiblichkeits-Vorstellungen ansetzt.
Nicht alles geht auf an diesem Abend, der im Mittelteil Längen aufweist und durchhängt, schliesslich aber zu einem starken Abschluss findet. Aber das ist das Risiko, das man als Theaterforscher eingehen muss, wenn man sich mit soviel Lust am Experiment aufmacht, gleich mehrere Grenzen zu überschreiten. Nämlich die von Geschlechterrollen und der Kulturen.
Alles in allem haben Schwald und Leuenberger zusammen mit den drei bestechend bühnenpräsenten Performerinnen aus Indien eine politisch-theatrale Performance geschaffen, die berührt, zum Teil verblüfft, aber auch verstört. Das ist es, was man erwarten darf und muss von einem Theater, das den Anspruch erhebt, Grenzen zu überschreiten.
Volksbühne Basel: «Isabelle» von John Berger und Nella Bielski. Weitere Vorstellungen am 20., 21. und 23. bis 28. Oktober in der Druckereihalle im Ackermannshof.
«Ef_femininity» von Marcel Schwald und Chris Leuenberger. Weitere Vorstellungen vom 20. bis 22. Oktober in der Reithalle der Kaserne Basel. Im Rahmen des Veranstaltungsschwerpunkts «Lust am Widerspruch» in der Kaserne Basel.