Wie sich Menschen dem Tod stellen

Die Theater-Installation «Nachlass, pièce sans personnes» von Rimini Protokoll beleuchtet in der Kaserne Basel Geschichten über das Sterben – auf beklemmende und überraschend heitere Art.

Der Countdown läuft: Im Nachbau ihrer Stube erzählt eine alte Frau von ihrer Vorbereitung auf den Tod.

«Wenn Sie das hören, bin ich vielleicht schon tot», sagt die Stimme der alten Frau. Wir, das heisst eine kleine Gruppe von Theatergängern, haben an einem runden Tisch im Nachbau ihrer Stube Platz genommen. Auf dem Tisch liegen Fotos verstreut – Zeugnisse aus dem Leben der Frau, die ihr Alter mit 91 Jahren angab, als die Tonaufnahme entstand. In ihrem Berufsleben hatte sie Eieruhren hergestellt. Zwei stehen auf dem Tisch. Auf ihre Aufforderung hin ziehen wir sie auf, mit einem leisen Ticken läuft die Zeit ab.

Die Stube der Frau ist einer von acht Räumen, die Stefan Kaegi und sein Ausstatter Dominic Huber für die Theater-Installation «Nachlass, pièce sans personnes» nachgestellt haben. Es sind allesamt Schauplätze von wahren, alltäglichen Geschichten über das Sterben.

Protokolle über den Umgang mit dem Ende

Ob die alte Frau noch lebt, erfahren wir nicht. Das Ehepaar aus Stuttgart hingegen, das wir im ehemaligen Büro des Ehemanns besuchen, lässt keine Zweifel zu: «Ich hätte Ihnen gerne einen Kaffee offeriert, aber das geht leider nicht mehr», hören wir den Mann mit schwäbischem Dialekt sagen. Ihr Ziel war der gemeinsame Tod, begleitet von einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz.

Kaegi hat sich als Teil von Rimini Protokoll einen Namen als Spezialist für dokumentarische Stücke gemacht, die ohne Schauspieler, zum Teil ganz ohne Menschen – eben «sans personnes» – auskommen, aber gerade dadurch ganz nahe an der Wirklichkeit sind. Im aktuellen Fall sind es Hörprotokolle von Menschen, die sich dem Tod stellen – zum Teil aus planerischer Voraussicht, zum Teil, weil es an der Zeit ist.

Der 44-jährige Hobbyfischer zum Beispiel muss es, er leidet an einer unheilbaren Erbkrankheit. Der Basejumper tut es, weil sich trotz minutiöser Vorbereitung der Tod bei jedem Sprung in Sichtweite befindet. Der 78-jährige Türke aus Zürich indes plant mit bewundernswerter Gelassenheit die dereinstige Überführung seines Leichnams nach Istanbul. In seinem Gebetsraum vernehmen wir, wie er seinen Sarg bestellt und das Leichentuch anprobiert, wie er den Frachtbereich des Zürcher Flughafens und das Grabfeld auf dem Friedhof in Istanbul besucht. «Für mich ist das alles nicht tragisch», sagt der gläubige Moslem und verabschiedet sich mit den Worten: «Denken Sie an mich.»

Das «Stück ohne Personen» vermittelt sehr intime Begegnungen mit den Menschen, die sich vorstellen – allesamt auf ausgesprochen gastfreundliche Art. Das hat beklemmende Momente, etwa wenn uns ein Mensch, der mittlerweile tot ist, bittet, die Objekte beim Verlassen des Raums wieder an ihren Ursprungsort zurückzustellen. Immer wieder aber ist es überraschend, wie gelassen, ja gar heiter Menschen über ihren Tod sprechen können.

Es ist ein aussergewöhnliches und eindrückliches Theatererlebnis, das lange nachhallt.

«Nachlass, pièce sans personnes»  von Rimini Protokoll (Stefan Kaegi und Dominik Huber). Kaserne Basel. Weitere Vorstellungen bis Sonntag, 8. April (Mi/Do/Fr, um 18, 19.30, 21 Uhr, Sa/So um 17, 18.30, 20 Uhr).

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