Wenn Julia Nothelfer mit ihrem Sohn ein Museum betritt, seien manchmal gleich zwei besorgt prüfende Augenpaare auf sie gerichtet, erzählt die Leiterin des Spielzeugmuseums in Riehen. Dabei sei ihr Kind «super erprobt» was Museen angehe und würde nicht gleich losrennen und Objekte anfassen.
Viele Museen tun sich schwer mit Kindern: Sind sie geduldet? Erwünscht? Gibt es ein Begleitprogramm für sie? Oder wird eine Ausstellung sogar von vornherein für Kinder konzipiert?
In einem Spielzeugmuseum liegt ja nun nichts näher, als dass es dezidiert für Kinder gestaltet ist. Nicht so die Dauerausstellung im Wettsteinhaus, wo tausende Spielsachen aus 200 Jahren in Glasvitrinen stehen. Seit einem Vierteljahrhundert ist sie unverändert. Ganze Miniaturlandschaften, aus Holz geschnitzt, Zinnsoldätchen, Puppen und Häuschen, Kreisel oder Schattenspiele: Hier liegt ein reicher Schatz an Kulturgeschichte. Doch lebendig wird er nicht.
Für Kinder ist die Ausstellung kaum begreifbar, «ist ja auch frustrierend, all das Spielzeug hinter Glas verschlossen. Es fehlt die Erfahrung und die Möglichkeit, selbst anzuknüpfen», sagt Nothelfer.
Noch trauriger ist es um die anderen beiden Teile des Museums bestellt. Das Rebbaumuseum im einstigen Weinkeller des Basler Bürgermeisters Johann Rudolf Wettstein und das Dorfmuseum werden kaum mehr besucht. In letzteres kämen nicht einmal mehr Riehener Schulklassen, sagt die Museumsleiterin.
Frage der Daseinsberechtigung
Es sei klar geworden: «Das Museum muss sich grundlegend verändern, damit es eine Daseinsberechtigung hat», sagt Nothelfer. Zumal es mit den «Spielzeug Welten» ein Museum in der Innenstadt gibt, das ebenfalls Wertvoll-Historisches hinter Glas zeigt.
Die Veränderungen, die sich in Riehen anbahnen, setzen an der Wurzel an und hinterfragen ein ganzes System. Wegbereitend sind die guten Erfahrungen der vergangenen Jahre: Dort, wo die Ausstellungsmacher von der Welt der Kinder ausgingen, nämlich in den Sonderausstellungen und den Aktionen im Hof, da tröpfelten die Familien nicht nur rein, nein, sie strömten.
2016 begeisterte die Ausstellung zu Alice im Wunderland, aktuell die zu Pippi Langstrumpf. 2017 kamen rund 25’000 Besucher, «für unser kleines Team und das kaum vorhandene Werbebudget sind das super Zahlen», sagt Julia Nothelfer.
Das Team gelangte zur Überzeugung: «Wenn das Museum für Kinder klug gestaltet ist, dann ist es auch für Erwachsene toll.»
Rütteln an den Säulen des Museumstempels
Von der handwerklich begabten Reinigungskraft über den Schreiner bis zur Vermittlerin arbeitet das ganze Team an den Sonderausstellungen. Für die Neu-Konzeption haben sie sechs Familien beigezogen, die ihre Bedürfnisse und Ideen einbringen. Bottom-up sozusagen. Hier entscheidet nicht ein «mächtiger» Kurator, es bestimmen alle gemeinsam, auch die Kinder. «Wir wollen an den Säulen des Museumstempels rütteln», sagt Nothelfer lachend.
«In vielen Museen ist es, als müssten Besucher ihren Körper an der Garderobe abgeben und dürften es nur mit dem Geist betreten.»
Das Konzept liegt nun dem Gemeinde- und Einwohnerrat vor. Arbeitstitel: «Dorf und Spiel». Wenn es bewilligt wird, dann wird 2020 umgesetzt und 2021 neu eröffnet. Es sieht gut aus: 450’000 Franken hat Swisslos gerade gesprochen.
In groben Zügen soll es so werden: Eine Etage widmet sich dem Spiel, eine dem Dorf, zwischen beiden gibt es Querverbindungen. In jedem Raum geht es um alltägliche Erfahrungen: träumen, kämpfen, erinnern oder langweilen.
Am Alltag anknüpfen
Der Raum «Kämpfen» zum Beispiel befasst sich mit dem kindlichen Kampf-Spieltrieb. Erwachsene bekommen Antworten auf die Frage, warum ihr Kind unbedingt Pistole oder Schwert braucht, Kinder können in einem Schattenspiel Kampfszenen darstellen. Und Spielzeug aus den Jahrhunderten zeigt, wie sich gesellschaftliche Entwicklungen im Kinderzimmer widerspiegeln. Beispielsweise wurde das Schaukelpferd einst erfunden, um die Buben auf die Zukunft als Soldaten vorzubereiten.
«Träumen» wird komplett von Kindern erdacht. Grosse weisse Kokons laden zum Rückzug ein. Schattenfiguren und Töne tauchen als Träume auf.
Objekte aus der Sammlung kommen in allen Räumen vor, aber nicht mehr wie bisher als Selbstzweck. Sie sollen immer in Bezug zum Tehma des Raums stehen und eine Bedeutung im Jetzt haben.
Im zweiten Teil «Dorf» werden persönliche Erinnerungen und Alltagserfahrungen greifbar. Die Idee ist die, dass die Vergangenheit dabei hilft, die Gegenwart zu begreifen und Zukunftsfragen zu stellen. Zum Beispiel anhand von Riehener Wohnmodellen aus vergangenen Epochen. Besucherinnen werden gefragt, wie das Raumbedürfnis heute aussieht und was es künftig für Wohnformen geben könnte.
«Wenn wir die Geschichte Riehens nicht erzählen, erzählt sie niemand», sagt Julia Nothelfer. Dabei sei die sehr spannend, auch aufgrund der Grenzlage zu Deutschland und der Schicksale zu Kriegszeiten. Damit befasst sich etwa der Raum «Trennen», der Grenzen aller Art auslotet.
Der Rebbau wird nicht mehr mit einem eigenen Raum vertreten sein, sondern in verschiedenen Veranstaltungen vermittelt werden.
Drei Museen in einem
Drei Themen in einem Museum zu vereinen, ist herausfordernd. Das Dorf und das Spiel miteinander zu verknüpfen, empfindet Julia Nothelfer aber nicht als Krux. Denn das Spiel sei für den Menschen als «Homo ludens» nicht nur universelle Erfahrung, sondern auch Antrieb und eng mit dem Leben verbunden.
Zur Grundidee des neuen Museums gehört, dass die Besucher, ob Klein oder Gross, in ihren Bedürfnissen ernst genommen werden. Das beginnt beim Eingangsbereich mit Picknick-Ecke und Küchenzeile zum Zubereiten von Babybreien oder Schoppen. «Es ist doch schade, wenn Familien ihren Museumsbesuch abbrechen müssen, weil das Kind Hunger bekommt», sagt Julia Nothelfer.
«In vielen Museen habe ich das Gefühl, Besucher müssten ihren Körper an der Garderobe abgeben und dürften die heiligen Hallen nur noch mit dem Geist betreten», sagt sie.
Im ersten Ausstellungsraum kann jeder schauen, was er bei sich hat, die Taschen leeren, seine «Objekte» ordnen und fotografieren. «Das klingt vielleicht erstmal banal, aber oft ist es ja so: Die Besucher kommen von irgendwoher, haben den Kopf voll, sind vielleicht noch gar nicht richtig aufnahmebereit für das, was ihnen im Museum begegnet. Der Raum ‹Ankommen› nimmt das ernst», sagt Julia Nothelfer.
Und so drückt dieser Raum etwas aus, das für das ganze Museum in Zukunft zutreffen soll: Du wirst gesehen. Hier geht es um dich.