Ausgleichszahlungen – das Knarren im Gebälk der Eidgenossenschaft (Teil 2)

Wie viel ist zu viel? Finanzstarke Kantone wollen weniger Ausgleichszahlungen leisten. Dafür gibt es gute Argumente. Wichtiger aber ist, dass sich alle Beteiligten auf verbindliche Regeln einigen.

Steuerparadies mit atemberaubender Natur: Die Zuger habens schön, wären da bloss nicht die hohen Ausgleichszahlungen. (Bild: Keystone)

Zug ist seit Langem schon der finanzstärkste unter den finanzstarken Kantonen. Gemäss dem 2008 in Kraft getretenen NFA (Nationalen Finanzausgleich) muss er heute wie sechs andere so eingestufte Kantone Ausgleichszahlungen an die finanzschwachen Kantone leisten.

In der verschiedene Finanzfragen zusammenfassenden Volksabstimmung, welche 2004 mit einer landesweiten Zustimmung von 64,4 Prozent die Basis für den NFA von 2008 gelegt hat, stimmten drei Geberkantone dagegen; am deutlichsten der grösste Beitragszahler Zug, wo gerade mal 16,3 Prozent Ja sagten.

Auch Schwyz und Nidwalden lehnten ab, doch stimmten dort immerhin 43 (SZ) bzw. 46 (NW) Prozent zu. Daneben gab es Kantone, die ebenfalls davon ausgehen mussten, dass sie zur Kategorie der Geber gehören würden, und trotzdem mit grossen Mehrheiten zustimmten: Basel-Stadt mit 75,5 Prozent, Zürich mit 60,5 Prozent und Genf mit 55,5 Prozent.

Zug wird es zu viel

Schwache Kantone erhalten unter verschiedenen Titeln Hilfe. Zu unterscheiden ist die vertikale Hilfe von der Bundesebene und die horizontale Hilfe von den anderen Kantonen, unterschieden nach Härte-, Ressourcen- und Lastenausgleich.

Dass Starke den Schwachen helfen müssen, entspricht – nach dem Motto «Einer für alle, alle für einen» – einer eidgenössischen Tradition und wird in allen Kantonen grundsätzlich akzeptiert. Das ist im Prinzip auch in Zug nicht anders. Zu reden gibt allerdings die Frage, wie gross die Unterstützung sein soll.

Im August 2015 wurde es dem Zuger Kantonsrat zu viel: Er drohte, in einem Akt des zivilen Ungehorsams einen Teil der vorgesehenen Ausgleichszahlung nicht mehr nach Bern in den Umverteilungstopf zu geben, sondern auf ein Sperrkonto einzubezahlen. Zug ging davon aus, dass von den 320 Millionen Franken, die zu bezahlen waren, 60 Millionen zu viel wären. Auf diesen Anstoss hin rief die Konferenz der Finanzdirektoren eine Arbeitsgruppe ins Leben, die Verbesserungsvorschläge ausarbeitete.

Basel bezahlt 573 Franken pro Kopf

Auch die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog ist der Meinung, dass ihr Kanton jährlich rund 30 Millionen Franken zu viel bezahlt. Im kommenden Jahr könnten es sogar 45 Millionen Franken sein. Wenn man sich das vor Augen führen will, rechnet man, wie viel das pro Kopf ausmacht. Es sind 573 Franken in Basel und 2626 Franken in Zug.

Die Vorstellung des «zu viel» ergab sich aus der nachvollziehbaren Auffassung, dass die Transferkasse überdotiert ist, weil alle Bezügerkantone über der ursprünglich vereinbarten Marke der durchschnittlichen Finanzkraft von 85 Punkten liegen und darum eigentlich gar nicht mehr bezugsberechtigt wären.

Darum wurde 2015 öffentlich darüber nachgedacht, die nächste NFA-Bundesregelung mit einem Kantonsreferendum anzugreifen. Dieses Instrument ist wenig bekannt. Neben dem klassischen Referendum mit 50’000 Unterschriften gibt es die Möglichkeit, dass acht Kantone einen Bundesbeschluss zu einer gesamtschweizerischen Volksabstimmung machen können.

Davon ist in den rund 150 Jahren seit Bestehen dieses Instruments erst einmal – und dann gerade erfolgreich – Gebrauch gemacht worden: 2003 unter der Leitung der damals als Präsidentin der kantonalen Finanzdirektoren auftretenden Eveline Widmer-Schlumpf in einer steuerpolitischen Vorlage.

Stärken sind nicht automatisch ein subjektives Verdienst und Schwächen nicht zwingend ein subjektives Versagen.

Demokratiepolitisch problematisch ist, dass die Geberkantone finanzpolitisch zwar stärker, politisch aber, das heisst numerisch, schwächer sind und von den Nehmerkantonen überstimmt und zu Zahlungen eigentlich gezwungen werden können. Das wirkt sich vor allem im Ständerat aus, weniger im Nationalrat, wo auch die mit Zentrumsleistungen besonders belasteten Städte stärker vertreten sind. Es sind übrigens die Nehmerkantone, die sich zuerst zu einer gemeinsamen Interessenvertretung zusammengeschlossen haben, die Geberkantone zogen diesbezüglich erst später nach.

Gegensätzliche Haltungen zeigen sich auch in einer anderen Variante, nämlich in der Europapolitik, wenn konservative Kleinkantone zwar am Tropf von liberalen Kantonen hängen, zugleich aber mit ihrem Abstimmungsverhalten die Aussenbeziehungen aufs Spiel setzen, die den offeneren Kantonen die Erwirtschaftung des zu verteilenden Gewinns überhaupt erst möglich machen.

Diese Diskussion muss aber zur Einsicht führen, dass Stärken nicht automatisch als subjektives Verdienst und Schwächen nicht einfach als subjektives Versagen bewertet werden dürfen. Es sind eine Art objektiver Zufälligkeiten wie Bodenschätze in der positiven Variante oder Wetterbelastungen in der negativen Variante, die zum Schicksal von Territorien und den darauf liegenden Staatsgebilden gehören. Hinzu kommen die über die tiefere Geschichte determinierten Grenzverläufe, die zu Territorien mit sehr ungleichen Voraussetzungen geführt haben.

Wettbewerb mit ungleichen Voraussetzungen

Was kann Basel dafür, dass es einen Rhein und dass es eine segensreiche Pharmaindustrie hat? Den Rhein kann man mit Hafenanlagen nutzen und man muss ihm in seinem Kantonsabschnitt Sorge tragen. Die Pharma ist als Chemieindustrie recht zufällig ans Rheinknie gekommen. Dass sie sich hier angesiedelt hat, ist kein kollektives Verdienst, schon eher dagegen, dass sie in den letzten Jahrzehnten hier geblieben ist.

Fast mantramässig wird in Föderalismus-Lobpreisungen wiederholt, wie gut es sei, dass zwischen Kantonen ein Wettbewerb zwischen einem besseren oder schlechteren Wirtschaften herrsche. Dies hat aber nur seine Berechtigung, wenn die Konkurrenz-Einheiten etwa die gleichen Voraussetzungen und Kostenfaktoren haben.

Zur Exemplifizierung dieser Problematik steht wiederum der Kanton Zug zur Verfügung, der keine kostenintensiven Kultureinrichtungen, keine Universität, keine Grossbibliothek, kein Grossspital etc. finanzieren muss, deren Dienste aber nutzt.

Finanzausgleiche haben neben der unmittelbaren Hilfe zur Überbrückung von akuten Schwächen die Funktion, die Bezüger langfristig auf das gleiche wirtschaftliche Niveau zu bringen. Dem steht allerdings die Befürchtung (und eine real gegebene Tendenz) entgegen, dass Hilfe nur Hilfsbedürftigkeit verstetigt und den Schwachen den Zwang erspart, sich selber helfen zu müssen.

Der Finanzenausgleich war und ist der permanenten Diskussion ausgesetzt, inwiefern die Bezüger nur die «hohle Hand» machen und keine Anstrengungen unternehmen würden, um ihre Situation aus eigenen Kräften zu verbessern.

Über die Grenze hinaus

Warum gerade jetzt diese Debatte? Die Finanzverwaltung des Bundes hat die Ausgleichszahlungen der einzelnen Kantone für das Jahr 2018 ermittelt und bekannt gegeben. Daraus ging hervor, dass Obwalden jetzt in die finanzstarke, die Waadt dagegen in die finanzschwache Kategorie wechseln. Die Berechnungsmodalität wird alle vier Jahre vom Parlament festgelegt. Die nächste Periode wird auf Anfang 2020 in Kraft treten. Bis dann werden allfällige Systemanpassungen diskutiert werden.

In diesem Zusammenhang lohnt auch der Blick auf die Ostmilliarde: Die Schweiz hat den neuen EU-Mitgliedern in den vergangenen Jahren alles in allem eine sogenannte Ostmilliarde für Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt. Dies war 2006 in einer Volksabstimmung mit einer 53,4-Prozent-Mehrheit gegen ein rechtsnationales Referendum gutgeheissen worden.

Jetzt ist diese Beitragsperiode grösstenteils abgelaufen und es stellt sich die Frage, ob es eine Weiterführung gibt. Das Programm ist in diesen Tagen ausgelaufen. Wer für eine Fortsetzung und wer dagegen ist, kann man sich ausdenken. Die SVP hat bereits Ablehnung signalisiert.

Erweitertes Solidaritätsverständnis

Diese Kohäsionszahlungen, wie die Unterstützung auch genannt wird, lassen sich mehrfach rechtfertigen: Sie bilden eine kleine Gegenleistung für die Möglichkeit, am grossen Binnenmarkt partizipieren zu können. Sie fördern die Beziehungen der Schweiz zu den zehn Empfängerstaaten (von Estland über Polen bis nach Malta), und sie helfen schweizerischen Unternehmen, dort Fuss zu fassen.

Es hätte der schweizerischen Grundhaltung widersprochen, dieses Geld einfach in einen grossen EU-Topf zu werfen. Anders als bei den interkantonalen Transferzahlungen wurde der Kredit nicht pauschal ausgeschüttet, er kam klar definierten 324 Projekten zugute. Die Förderung ist zudem einer peniblen Kontrolle vonseiten der Schweiz unterworfen. Die gleichen Kräfte, die diese administrative Begleitung zur Bedingung gemacht haben, machen nun aus der «unverhältnismässigen Bürokratie» ein Argument gegen deren Fortsetzung.

Alles in allem beruhen solche Zahlungen auf einem erweiterten Solidaritätsverständnis. Das heisst auf einer Verbundenheit, die davon ausgeht, dass man eine Schicksalsgemeinschaft ist. Diese Idee besteht mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in der Schweiz bezüglich der Kantone und in den Kantonen bezüglich der Gemeinden. Solche Transferhilfe gibt es auch in Deutschland zwischen den Ländern. Sie ist wohl auch in anderen staatlichen Grossgebilden ein gängiges Prinzip, wonach stärkere Landesteile den schwächeren helfen.

Das Prinzip muss in Regeln umgesetzt werden, damit alle Beteiligten wissen, womit sie rechnen können und rechnen müssen. Die Gültigkeit dieser Regeln sollte von einer gewissen Dauer, zugleich sollten sie aber nicht in Stein gemeisselt sein. Vielmehr sollte es möglich sein, dass sie den sich ebenfalls verändernden Gegebenheiten über Verhandlungen angepasst werden. 

Lesen Sie auch Georg Kreis‘ historischen Rückblick auf die Geschichte der Schweizerischen Ausgleichzahlungen.

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